XX. WJT2005, Samstag: Abenteuerlicher Fußmarsch
Die Stadt wird leerer. Alles drängt zum Marienfeld. Dort, außerhalb von Köln, wird der Papst am Abend um 20.30 Uhr die Vigil (Abendandacht) zelebrieren. Auch spontane Besucher sind noch zugelassen, versichert mir das Weltjugendtagsbüro. Wenn ich mir die Pilger bei meinem Herbergsvater so betrachte, friert es mich schon beim Anblick. Dünn bekleidet und mit Schlafsack und Isomatte wollen sie so eine kalte Nacht im Freien bestreiten. Heilige Gedanken inklusive.
Die Stadt wird leerer. Alles drängt zum Marienfeld. Dort, außerhalb von Köln, wird der Papst am Abend um 20.30 Uhr die Vigil (Abendandacht) zelebrieren. Auch spontane Besucher sind noch zugelassen, versichert mir das Weltjugendtagsbüro. Wenn ich mir die Pilger bei meinem Herbergsvater so betrachte, friert es mich schon beim Anblick. Dünn bekleidet und mit Schlafsack und Isomatte wollen sie so eine kalte Nacht im Freien bestreiten. Heilige Gedanken inklusive.
Ich mache mich dann doch gegen 19:00 Uhr auf den Weg. Die S-Bahn ist kaum befüllt, die Menschenmassen sind längst schon dort. Auch die Weiterfahrt mit dem Pendelbus klappt problemlos. Doch dann wird es abenteuerlich. Die Busse können nicht direkt an das Marienfeld heranfahren, alles ist weiträumig abgesperrt. Mindestens ein Fünf-Kilometer-Fußmarsch ist angesagt. Noch ist es hell und genug Pilger zur Orientierung sind unterwegs.
Mein Freund und ich stehen vor einem Schild, das lediglich Fahrradfahrern den Weg zeigt, das andere sind diverse Firmenanzeigen. Wir folgen der Mehrheit der umstehenden Menschen und rennen geradewegs auf ein dichtes Waldstück zu. Sie scheinen den Weg zu wissen. Vorbei an großen Schlammlöchern, dornigen Sträuchern und Hecken bahnen wir unseren Weg im Dunkel des Abends. Ein junges Paar ist so gar so mutig, sich mit einem Kinderwagen durchzuschlagen. Aber im Grunde ist es eher Verantwortungslosigkeit, denn wie leicht kann man auf diesen unebenen Wegen die Standfestigkeit verlieren. Konzentration ist gefragt.
Irgendwann wird klar, der Weg geht nicht weiter, Zurück ist die einzige Devise. Schnell verliert man sich aus den Augen. Wie im dichten Urwalddschungel versuche ich den Hindernissen auszuweichen. Mein Halstuch dient nun als Seil zwischen mir und meinem Freund. Das SAT 1-Fernsehteam vor uns geht ein Stück mit uns, ansonsten fühlen wir uns ziemlich verlassen.
Als wir auf einmal auch alleine sind, hilft nur noch Schreien. Drei junge Frauen aus Baden-Württemberg bestreiten nun gemeinsam mit uns den Weg. Endlich kommen wir zu einem Johanniter-Zelt. Diese scheinen recht verwundert über uns zu sein. Wir würden uns am Ende des Feldes befinden. Wir berichten noch kurz von den 40 Leuten, die noch irgendwo im Dickicht des Waldes sein müssen.
Querfeldein geht’s nun durch die Wiesen gen Marienfeld. Nach ein bis zwei Kilometern haben wir auch das geschafft. Als wir einen Polizeiwagen erwischen, erzählen wir von den 40 Verschwundenen im Wald. Der Polizist versteht unsere Aufregung nicht. Bei 40 Leuten im Vergleich zu 800 000 Pilgern sei das doch kein Problem. Aha, Menschen als namenlose Nummern zählen nur, wenn sie entsprechend groß in Erscheinung treten.
Vorbei an diversen Imbissbuden macht das ganze eher einem kleinen Volksfest Ehre. Einzelne Leute haben ihre Zelte aufgeschlagen, die anderen schlafen nur in dünnen Schlafsäcken. Der Nebel zieht schon auf, einzelne Sterne leuchten mit dem Vollmond um die Wette.
Vom wirklichen Geschehen mit dem Papst bekommen wir nichts mit. Wir sind auf die entfernt gelegenen Leinwände angewiesen. Richtige Gottesdienst-Stimmung mag da gar nicht erst aufkommen. Manche schlafen schon, andere halten sich wärmend zu dritt in den Armen oder unterhalten sich angeregt. Trotzdem schlagen ich und mein Freund unsere Wolldecke aus und versuchen, einen Hauch göttliche Ruhe und Besinnung zu spüren.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde wagen wir den Rückweg. Diesmal erkundigen wir uns beim Aufsichtspersonal, das so ungefähr den Weg kennt. An unbeleuchteten Wegen vorbei geht es wieder kurz durch den Wald, allerdings auf geebneten Strecken. Einige Frauen, die im Sicherheitsdienst tätig sind, berichten mir von chaotischen Zuständen. Die Busse wären am Vortag mit zweieinhalb Stunden Verspätung gekommen, mit den Massen an Sicherheitsleuten wären sie überfordert gewesen. Ja, wenn’s schon da nicht klappt…
Wieder sind gute sechs Kilometer Laufen angesagt. Mir tut schon die Hüfte weh und ich bin dankbar, dass mein Freund beim Anhalten eines Sanitätswagens Erfolg hat. Dieser nimmt uns dann noch die restlichen drei Kilometer mit; muss aber betonen, dass dies nun nicht in seinen Dienstanforderungen stehe. Auch hier hat das bürokratische Denken in Schwarz-Weiß-Schablonen zugeschlagen…
Die Pendelbusse sind weitestgehend leer, nur zu viert im Bus fahren wir zurück zur S-Bahn-Station. Im Zug unterhalten sich Einheimische mit Pilgern, es herrscht eine gelassene Stimmung mitten um ein Uhr nachts.
Wir haben uns geschworen, nach diesem abenteuerlichen Fußmarsch nicht zum morgigen Gottesdienst zu gehen. Um 2:30 Uhr nachts finden wir dann endlich unsere göttliche Ruhe. Zuhause in einem warmen Bett. Ohne Nebel, Nässe. Aber auch ohne Sterne.