Zeitraffer
Schon fast ein Monat ist vergangen, seit ich meine Heimat verlassen habe, um in das Abenteuer EVS (European Voluntary Service) zu starten. Hier ist schon so viel passiert und ich habe schon so viel erlebt, dass ich mittlerweile gar nicht mehr genau weiß, was überhaupt alles und tatsächlich anfangen musste, Tagebuch zu führen. Manches Mal musste ich schon meinen eigenen Blog fragen, um selber wieder Bescheid zu wissen.
Aber von Anfang an:
Ich bin Ulla, 19 Jahre alt und habe im Juni mein Abitur gemacht. Und eine Sache ist mir in der Sekundarstufe II ganz klar geworden: Ich will definitiv nicht direkt im Anschluss studieren. Daher hatte ich mich schon in der 11. Klasse auf die Suche begeben nach Möglichkeiten, was ich nach der Schule tun könnte, um so viele Erfahrungen wie nur möglich über mich und die Welt mitzunehmen. Entschieden habe ich mich für einen Europäischen Freiwilligendienst und zwar in Lettland.
Jetzt bin ich angekommen. Also mittlerweile wirklich angekommen. Die ersten Tage und sogar Wochen war ich praktisch noch Gast, aber selbst jetzt fühle ich mich ab und zu Mal wie ein Tourist.
Am 1. Oktober bin ich ins Flugzeug gestiegen. Gemeinsam mit Christin, die genau wie ich gerade die Schule beendet hat und jetzt einen EVS in Lettland zu machen. Wir haben uns erst auf unserem Ausreiseseminar Anfang August kennengelernt, weil wir die gleiche Entsendeorganisation und zufälliger Weise auch die gleiche koordinierende Organisation haben und daher nun in einer Wohnung wohnen dürfen. Und darüber bin ich echt froh, wir saßen schon viele Abende gemeinsam am Tisch und haben uns stundenlang unterhalten, einfach über alles, was hier gerade passiert. Genauso froh bin ich aber, dass es hier auch andere Freiwillige gibt: eine Italienerin, einen Franzosen und einen Weißrussen. Es folgen in den kommenden Tagen noch ein Portugiese und eine weitere Italienerin. Wir sind also eine bunt gemischte Runde und üben uns fleißig im kulturellen Austausch.
Hier in Lettland wohne ich in Gulbene, einer kleinen (wirklich kleinen!) Stadt, glücklicherweise genau im Stadtkern, 2 Minuten zu Fuß bis zur Bücherei und dem Kulturcenter, 5 Minuten bis zur Bushaltestelle, 30 Sekunden bis zum Supermarkt, denn der steht direkt vorm Haus. Als Freiwillige „arbeite“ ich aber (sofern man das überhaupt so nennen darf) in einer Grundschule im Dörfchen Tirza, 45 Minuten Busfahrt von Gulbene entfernt. Dort bin ich zurzeit im dazugehörigen Kindergarten beschäftigt, war ab und an schon unterstützend im Englischunterricht dabei und beginne ab Mitte November eine kleine Band aufzubauen. Arbeiten will ich es eigentlich gar nicht nennen, weil ich bisher eigentlich nur Faxen gemacht habe, also im positiven Sinne. Malen, Basteln und Tanzen mit den Kindergartenkindern ist wirklich herzerweichend schön und auch meine Schwätzchen mit der Englischlehrerin, der Biologielehrerin oder meiner Mentorin, der Sekretärin der Grundschule, sind kurzweilig und machen Spaß. Zwischendrin trinke ich Tee, esse Schokolade und habe Mittagspause vor meinem PC. So lässt es sich hier wirklich leben.
Stück für Stück schaffe ich es auch, mich der hiesigen Mentalität anzupassen, die da lautet „We will see“. Langes Vorherplanen kennt hier Keiner, Events werden zwei Tage vorher besprochen, einen Abend vorher noch mal umgeplant und laufen letztendlich noch mal ganz anders ab. Normaler Weise echt nicht so mein Ding, aber ich bin ja schließlich hier, um etwas Neues kennenzulernen.
Neues erlebe ich auch in meiner ersten „eigenen“ Wohnung, die ich mit Christin teile. Die ersten zwei Wochen wohnte auch noch der Weißrusse bei uns, der aber jetzt in eine andere Wohnung umgezogen ist, in die dann der Portugiese mit einzieht, zu uns zieht dann im November die Italienerin. Jedenfalls, ganz der Mentalität entsprechend, braucht die Wohnung noch ein Weilchen, bis sie sich Wohnung nennen darf. Wir haben uns mittlerweile ein Heizgerät zugelegt, weil die Heizungen nicht funktionieren, und uns Bettwäsche gekauft, denn die gab es hier nicht. Richtige Bettdecken gibt es übrigens nach wie vor nicht, wir begnügen uns mit schichtenweisen Überdecken. Aber inzwischen haben wir sogar eine Waschmaschine gekriegt. Nur angeschlossen ist sie noch nicht, sie steht jetzt noch eine Weile im Weg rum, bis sich einer drum kümmern kann. Dieser eine kann vielleicht – hoffentlich – auch unseren Backofen reparieren, denn der geht auch nicht. ABER: so Stück für Stück kommt ja alles zusammen. Plan ist es, in unseren 10 Monaten, die wir hier verbringen werden, die Wohnung immer weiter aufzumuffeln, bis man irgendwann mit ihr angeben kann.
Ich fühle mich hier jedenfalls richtig gut aufgehoben, habe tolle Menschen kennengelernt und bin bereit, hier weitere 9 Monate zu verbringen. Was ich bisher schon unternommen habe, steht übrigens hier.
Mit besten Grüßen aus dem frostigen Lettland!