Womit man nicht rechnet
Als janhkorte für ein paar Tage nach Hause kommt, bereiten ihm so essentielle Fragen wie die korrekte Begrüßung des Busfahrers Kopfschmerzen. Nur um dann festzustellen: Alles halb so wild.
There is hope
Es war vorletzte Woche am Donnerstag, als ich meine E-Mails checkte. Eine von meiner Mama war auch dabei. Einer der letzten Sätze war: „Wir hoffen, aber wir glauben nicht, dass er sich wieder erholt!“. Die Rede war von Opa. Weniger als 24 Stunden später klingelte mein Handy, und als ich „Mama Mobil ruft an“ sah, wusste ich: Er ist gestorben. Glücklicherweise hatte ich am Abend vorher Dank der Mail genug Zeit, mir den Kopf zu zerbrechen, und jetzt war klar: Ich muss nach Hause. So verbrachte ich von Dienstag bis Samstag der folgenden Woche im ungewohnten Deutschland, nach vier Monaten in Tallinn. Die AXA hat alles geregelt, und wie! Sogar nachdem ich meine Tickets bekommen hatte und eigentlich alles klar war, wurde ich am Vorabend des Fluges noch einmal angerufen: „Hi, Mr. Korte, this is the AXA Assistance calling, we just wanted to see if everything is alright for your flight tomorrow. How do you feel?“…. – How do you feel? Ist das eine Frage, die ein Versicherungsvertreter normalerweise stellt? Eher nicht. Es gibt also noch Hoffnung auf dieser Welt für alle Leute, die sich mit Versicherungen rumschlagen müssen.
Lektion Nr. 48: Wie begrüße ich einen Busfahrer?
So kam es also, dass ich unplanmäßig vier Tage zu Hause verbrachte. Ich habe die Zeit genutzt, um mit meiner Familie zusammen zu sein, Freunde kurz zu treffen, im Supermarkt Adventsspezialitäten einzukaufen, den neu gebauten Kreisel und die dazugehörigen ockergelben Bürgersteige einmal aus der Nähe zu betrachten und einfach nur vor dem Busfahrer zu stehen und mich 30 Sekunden lang zu fragen, wie man eigentlich „Tere“ auf Deutsch übersetzt, wenn es ein Busfahrer ist. „Hey“? – Zu freundlich, und wohl auch eher mehr Skandinavisch oder Englisch als Deutsch. „Guten Tag“? – Zu formell, zu altmodisch für einen 19jährigen EVS-Freiwilligen. „Hi“? – Zu aufdringlich, zu neumodisch gegenüber einem 50jährigen Busfahrer. So entschied ich mich nach langer Reflexion für „Hallo, einmal zum Hauptbahnhof, bitte!“ und fiel damit überhaupt nicht auf. Wozu also die ganze Aufregung innen drin in mir? Ich verbrachte eine echt coole Zeit zu Hause, nur eben drei Wochen vor den eigentlich geplanten Weihnachtsferien.
Dunkelheit
Genauso habe ich mich allerdings gefreut, wieder ins schöne Tallinn zurückzukommen, und da meine Wohnung direkt in der Einflugschneise des Flughafens liegt, konnte ich Siili 27 von meinem Fensterplatz der Estonian Air – Maschine aus prima erkennen. Überraschenderweise haben mich dann auch noch Laure und Anna vom Flughafen abgeholt und bei kalten – 6 Grad Celsius bibberten wir vor uns hin. Jetzt ist das ganze auch schon wieder fast eine Woche her, und ich bin hier ziemlich überrascht, wie schnell wir uns doch dem Tag X nähern – dem 21. Dezember, dem kürzesten Tag des Jahres. Es sind von heute nur noch ungefähr zehn Tage, und so schlimm habe ich die tägliche Dunkelheit noch gar nicht empfunden – von 15.00 Uhr bis 9.30 Uhr ist Nacht.
Vollgefressen und überfüttert
Am Mittwoch war ich im KUMU, dem neuen estnischen Kunstmuseum, das im Februar eingeweiht wird. In dem leeren Gebäude hatten wir eine Tageskonferenz zum Thema „New Masculinity“. Isabelle und Mark, die im AIDS-Center arbeiten, haben mich gefragt, ob ich nicht mitkommen wollte, und so ist es einfach passiert, dass ich in ein mir völlig fremdes Thema hineingeschubst wurde, und es echt liebe! Auf der Konferenz waren eine Menge interessanter Gäste, hauptsächlich nordische Dozenten aus Schweden, Finnland, Island, Norwegen, aber auch ein paar aus Litauen, Estland, Dänemark, Kanada und den USA. Jeder ist auf verschiedene Art und Weise auf den Wandel in der Gesellschaft eingegangen, und über die neue Rolle des Mannes – wie er auf die Emanzipation der Frauen, den Feminismus zu reagieren hat; wie er auf die Informationsgesellschaft, in der der „traditionelle“ Mann mehr und mehr an Wichtigkeit und Überlebensfähigkeit verliert und der neue Mann gebraucht wird, der nicht in den konventionellen Mustern denkt und sich so verhält, und vor allem wie dieser Prozess aktiv begleitet werden kann. Das Ganze war auch noch umsonst, so dass Isa, Mark und ich uns in jeder Kaffeepause und beim Mittagessen ordentlich den Bauch vollgeschlagen haben und immer Kaffee, Tee, Säfte und Wein verzehrten, so dass wir am Ende des Tages kaum noch gehen konnten.
Business as usual
Ansonsten verbringe ich meine Tage damit, im Rahmen der „International Week of Volunteering“ in der Tallinner Uni Studenten das YOUTH-Programme und EVS schmackhaft zu machen; Harry Potter IV im Kino zu schauen, nach langer Zeit endlich mal wieder einkaufen zu gehen und auf dem Weihnachtsmarkt zu schlendern. Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich jetzt in weniger als zwei Wochen schon wieder hier weg muss – und das für drei lange Wochen. Wie werde ich das nur aushalten? Wir werden es sehen und ich erstatte Bericht. Versprochen!
Ein zweites Foto zu diesem Artikel wird noch nachgeliefert!