Sa oled Eesti - Du bist Estland

Sa oled Eestimaa. Denn Du bist es, der sich Tag für Tag an die Trolleybushaltestelle stellt und es sieht. Du bist Estland, denn es interessiert Dich inzwischen gar nicht mehr, ob SL Õhtuleht titelt, dass die Nexus-Sängerin Janne heute ihre Schullaufbahn beendet. Du bist Estland, denn Du redest trotzdem darüber, dass es im Präsidentenschloss Kadriorg eine Kadriorgia mit der Präsidententochter gab.

Genauso bist Du Estland, wenn Du dich im Plattenbau mit Sergej in Lasnamäe wohlfühlst, wie auch im Holzhäuschen in Kristiine mit Priit und Heili. Eine kranke Möwe kann vielleicht keinen Baum ausreißen, aber Du schaffst es. Wir sind nur eine Million. Eine Million Menschen kennen sich; entdecke die Möglichkeiten. Du bist die Möglichkeiten. Du bist die eine Million. Du bist Estland.

Unsere Zeit hier schmeckt gar nicht nach Zucker, eigentlich. Das will auch niemand behaupten. Aber wir machen das Beste draus. Es ist schon viel gewonnen. Und wer will schon Zucker, wenn er eigentlich eine Vitaminbombe haben kann? Du nicht, denn Du bist Estland. Du bist mitten in Europa. So scheint es. Manchmal fühlst Du Dich wie im Märchen, in der Altstadt von Tallinn. Doch Estland ist kein Märchen. Und Estland ist nicht die Altstadt von Tallinn. Du bist Estland. Du bist Põlva, Haapsalu und Sillamäe. Auch bist Du Suure-Jaani, Türi und Tapa. Stecke nicht im Moor fest, bewege was. Du bist Estland. Ein Freiwilliger in Estland. Es stört Dich nicht mehr, wenn du mal wieder „Praktikant“ genannt wirst. Auch stört es Dich nicht mehr, wenn Dich Leute, die Dich im Bus anrempeln, nicht Entschuldigung sagen. Du bist ein Teil von allem. Du bist Narva, Du bist Tartu.

Wenn Hare Krishna wieder durch die Straßen zieht, und die Witzige wieder ganz hinten wie in Ekstase umhertanzt, dann weißt Du es. Sie gehören dazu. Du gehörst dazu. Du bist Hare Krishna. Du bist Estland.

Natürlich hast Du Dich nicht für die Fußball-WM qualifiziert, doch Du machst Dir sowieso nichts aus Fußball. Du bist kein Tourist. Denn Du singst mit. Du singst mit bei Tanel Padars „Welcome to Estonia". Must on leib ja valge on viin. Sa pole turist, sa elad siin Sa oled Eesti. Du bist Estland. Dein „Tere“ steht nicht mehr alleine im Raum, denn Du grüßt nicht mehr, wie niemand sonst grüßt, wenn Du die Bäckerei betrittst. Stunden vorbei an grünen Hecken und endlosen Wäldern, denn Du wieder im Bus von Viljandi nach Võru sitzt. Zeit zum Nachdenken. Zeit für Estland. Du denkst nach. Du bist Estland. Schon hast Du zwei Tage deine E-Mails nicht mehr nachgeschaut, schon wirst Du unruhig. Wo ist der nächste WiFi-Hotspot? Internet, bitte. Du surfst im Internet. Du bist Estland. Du isst Kartoffeln einfach nur noch aus Gewohnheit. Nicht, weil Du sie irgendwie magst. Du schaffst den Pfannkuchen im Kompressor ohne Pause. Du bist kein Anfänger mehr. Du bist Estland.

Wenn Gäste kommen, andere neue Freiwillige, zeigst Du ihnen die Stadt. Du kennst den Weg. Du bist der „local“. Du bist Estland. Du singst die Nationalhymne mit, wenn sie mal wieder wie jeden Abend um 18 Uhr in der Nationalbibliothek gespielt wird. Mu isamaa, mu õnn ja rõõm. Du bist Estland. Du hast die ID-kaart. Du hast das ID-pilet. Du bist modern. Du bist Estland. Du kriegst ein unglaublich breites Grinsen, wenn der Busfahrer, den Du sonst nie verstehst, nach „Vabaduse väljak“ Dir auf einmal sagt: „Ja ma soovin teid head suve algust!“ – Er hat Dir einen schönen Sommeranfang gewünscht. Denn Du hast die minus 30 Grad Celsius überlebt, nur Du hattest Schnee von Oktober bis April. Jetzt lächelst Du über Touristen, die denken, sie kennen Estland. Tun Sie nicht. Sie kennen Dich nicht. Denn Du bist Estland. Ein Teil von allem.

Du bist die 30 Grad Celsius im Schatten. Du bist die Weite des Landes. Die Enge der Straßen. Die Kleine der Städte. Du bist der Sommer. Du bist Estland.

Noch sieben Wochen wirst Du Estland sein. Noch sieben Wochen. Und dann? Du bist Estland. Ma soovin teid head suve algust. Sa oled Eesti.