Hamburg - Kopenhagen - Stockholm
minusmalminusistplus fährt mit dem Zug durch halb Nordeuropa seinem Ziel entgegen...
Grenzen sind fließend, wie man sagt. Trennlinien zwischen kind- jugendlich- und erwachsensein sind im Nachhinein nicht auszumachen. Und jetzt, an dieser Stelle dieser neuen Erfahrung erinnere ich mich an Dinge, die lange verborgen lagen. Wolfen-Nord, ein Stadtteil bestehend aus dutzenden Hektar Hässlichkeit, da war ich Kind und jugendlich durfte ich auch werden und ich verschwendete viele Tage mit optimistischen Gedanken an Zukunft und groß schien die untergehende Sonne durchs Fenster und groß musste die Welt sein; noch vor dem Horizont hörte die Stadt auf.
Und dann war plötzlich jener Heilige Abend angebrochen, als meine Mutter verzweifelte und mein großer Bruder stolz seinen Freunden erzählte, dass ich nach Grönland gehen werde. Da war ich 16. Und ich konnte es nicht richtig glauben. Es gab viele Menschen, die Wolfen verlassen haben, weil man seine Zeit nur damit verbringen konnte, nach dem Regen die Regenwürmer zu zählen, die sich in den schmutzigen Pfützen tummelten. Manche Pfützen hielten sich eine ganze Jahreszeit und grüne Algen wuchsen darin tausender grüner Augen gleich. Zugegeben, es gab eine Disko, aber da ging keiner hin.
Es gab niemanden, der aus Wolfen wegziehend nach Grönland ging. Ich war der erste und vielleicht auch der erste. Das war mir zu dem Zeitpunkt nur nicht bewusst, weil ich dachte, dass ich ja wiederkommen werde.
Und jetzt sitze ich im Zug Richtung Stockholm und lass wieder alles hinter mir liegen. Ich hatte einen Job, der mir Spaß machte und die nettesten Kollegen der Welt waren dort, ich war Teil einer Band, die sich anschickt, die Welt zum Tanzen zu bringen, habe die besten Freunde der Welt und werde auf kurz oder lang den Faden verlieren. Und so bewege ich mich einer ungewissen Zukunft entgegen und werde erst im Nachhinein Beweise dafür finden, dass es gut ist, jetzt im Abenddämmerungslicht kleine schwedische Dörfer vorbeiziehen zu sehen.
Die Reise an sich war total unspektakulär. Auf dem Weg von Hamburg nach Kopenhagen schenkte man mir eine Dose Carlsberg – eine Gruppe Engländer war auf dem Weg in die dänische Hauptstadt zum dortigen Qualifikationsspiel ihrer Landesmannschaft und fand auf der Fähre den Biershop. Im selbigen hielt ich Ausschau nach ‘Möwenpisse’ – ein Bier, auf dessen Dose eine Möwe ihre raubtierartigen Zähne fletscht. Auf der Klassenfahrt nach Schweden irgendwann vor 6 Jahren fuhren wir voll auf dieses Zeug ab.
Das geschenkte Bier war dann auch das einzige Highlight der Reise.
Von Schweden sah ich nur den südlichen Teil des Landes – und der sieht aus wie Mecklenburg-Vorpommern. Und dann war es auf einmal dunkel und ich sah nur noch mein Spiegelbild in der Fensterscheibe.
Mein Zug von Malmö nach Stockholm blieb in einem kleinen Kaff 20 Minuten lang stehen – ich wunderte mich zwar, weshalb er nicht weiterfuhr, dachte aber, dass es normal sei, weil sich niemand darüber aufregte. Die Schweden sind alle total entspannt und nehmen so etwas übelst gelassen hin. Und Beinfreiheit hat man in den skandinavischen Zügen. Unglaublich, das ist wie Business Class fliegen.
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