Die Zeit fliegt
Janhkorte resümiert, was ihm Estland bisher alles geschenkt hat: „Das Gefühl Freundschaft, das besonders gut tut, wenn man in einem Land bei Null startet und dann jemanden einen Freund nennen darf.“
...und November ist schon abgestürzt! Schon mehr als ein Monat ist seit meinem letzten Eintrag vergangen, und je länger ich warte, desto schwieriger wird es, erst mal alles aufzuarbeiten was im schönen Estland so alles passiert ist.
Ich fühle mich inzwischen pudelwohl hier, und stelle daher auch mit Schrecken fest, wie schnell doch die Zeit vergeht - oder eben fliegt! Im Schnelldurchlauf lasse ich noch mal alles Revue passieren, und muss sagen: Es gab Rückschlage: bei unserem On-Arrival-Training merkte ich, dass in meinem Projekt eine ganze Menge nicht stimmt, und dass ich viel zu ändern hatte. Und ganz viele kleine Alltagserfolge, die einen so glücklich machen. Das ist sowieso das tollste! Dieses Gefühl, etwas erreicht zu haben, zum Beispiel wenn wir im Conversation Club über interessante Themen diskutieren und am Ende auf dem Feedback-Paper steht: „I never thought about that! Jan, you are the best!“. Das Gefühl Freundschaft, das besonders gut tut, wenn man in einem Land bei Null startet und dann jemanden einen Freund nennen darf (und da habe ich schon einige!). Das Gefühl, sich selbst immer besser zu kennen: ein EVS ist die perfekte Zeit, um sich selbst zu entdecken, hat uns unsere Trainerin auf dem On-Arrival gesagt. Und schon am gleichen Abend musste ich entdecken, dass sie so was von Recht hatte.
Dazu kommen die ganzen großen und kleinen Aktivitäten, die sich innerhalb der Zeit sich so auf seinem Konto wieder finden lassen: Ob es einen Kakao trinken ist, wenn es gerade draußen stürmt und Minusgrade bald erreicht werden, oder am Mardipäev (St.Martinstag in Estland) durch die Gassen im Einfamilien-Haus-Vorort Kristiine zu schlendern, und ein paar Kinder singend von Haus zu Haus ziehen zu sehen. Gemeinsam die Mittagspause mit anderen Freiwilligen verbringen, die Mega-Geburtstagsfete im estnischen Nirgendwo erleben; vergeblich versuchen, dem Mann von der Internet-Service-Firma klarzumachen, dass die Verbindung eben doch nicht hergestellt werden kann und doch bitte jemand vorbeikommen möge; zusammen zum Themenabend des europäischen Clubs gehen (Thema Finnland im November), hinterher den billigsten Chinesen der Stadt aufsuchen (bei dem theoretisch ein ganzes Menü gerade mal zwei Euro kostet… so gering ist die Rechnung aber gar nicht mehr, denn wenn man auch mit estnischem „Gehalt“ auskommen muss, ist hier schon recht alles teuer! Ich zum Beispiel bin schon wieder am 24. des Monats mehr oder weniger bankrott und kann mir nur noch ganz kleine Sachen (das Notwendigste eben wie Waschpulver, Milch, Nudeln, Shampoo, Deo) leisten.
Aber die großen Sachen machen auf Freude. Nach der besagten Geburtstagsparty (wo, glaube ich, so nahezu alle estnischen Freiwilligen, etwa 40 an der Zahl, anwesend waren) ging es für mich nach Helsinki, um meinen Freund Jukka zu besuchen, den ich während meines Austauschjahres in Frankreich kennen gelernt habe. Es war echt einer der besten Trips meines Lebens, auch wenn er nur drei Tage dauerte und wir auch gar nicht so viel gemacht haben. Aber es war einfach sehr ereignisreich. Schon der Fährtrip war ein Erlebnis, da so ein Sturm herrschte, dass die Fähren nach mir und am nächsten Tag alle gecancelt wurden, und mein Katamaran aber während der nur 80 Kilometer langen Überfahrt von Tallinn nach Helsinki so übel schaukelte, dass meinen Sitznachbarn allen schlecht wurde .
In Finnland selbst wurde ich von Jukka am Hafen abgeholt, und die nächsten Tage waren toll: In einer finnischen Familie wohnen, in die Sauna gehen (die Esten werden von den Finnen nur als elende Kopierer angesehen, in jeder Hinsicht), in teure Restaurants eingeladen werden, und einfach nur entspannen und sich vom Alltagsstress in Tallinn erholen.
Jetzt bin ich aber in alter Frische zurück und werde in den nächsten Wochen meinen Kindern im Club internationale Weihnachtstraditionen vorstellen. Wir backen Plätzchen, basteln Karten, singen Lieder - ich hoffe, das wird ein Erfolg.
Mehr dazu in Kürze. Hinaus in die Kälte, ich warte auf Schnee!