Bitter
Nicht jeder Aufenthalt in der Fremde endet so, wie es sich die Jugendlichen wünschen. Pauls Aufenthalt in Cork, der ihm bisher viel Spaß und eine Menge schöner Erfahrungen beschert hatte, sollte eigentlich noch etwas andauern. Doch einige unerfreuliche Begebenheiten lassen ihn verfrüht heimkehren.
Ich habe, wie Ihr fleißigen Leser meines Tagebuches schon gemerkt habt, lange nicht mehr geschrieben. (Irgendwie fangen alle meine Einträge so an...) Doch dieses wird leider auch schon der letzte Eintrag sein, da meine Zeit hier schon abgelaufen ist. „Warum so früh? Wolltest Du nicht länger wegbleiben? Musst Du schon jetzt wieder kommen?“ werden sich manche berechtigterweise fragen. Der Grund für meine schnell(er)e Wiederkehr ist ganz einfach: Meine Chefin hat sich gedacht, sie müsse das Kriegsbeil ausgraben und mich rausschmeißen.
Es hat alles ganz harmlos angefangen. Mein weiblicher ‚volunteer coordinater‘ und ich haben eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung der Feuerschutzmaßnahmen im Haus gehabt. Ich war der Meinung, sie widerspreche sich selbst, doch sie war der Meinung, ich befolge ihre Anweisungen nicht.
Einige Zeit später war ich ziemlich gestresst in der Arbeit weil wir über eine sehr lange Zeit hinweg mit zu geringem Personal gearbeitet haben und somit jeder verbliebene Arbeiter schneller rennen musste, um die Dienstleistungen aufrechterhalten zu können. Eines Tages war ich einfach nicht mehr in der Lage, richtig zu arbeiten. Ich habe jedoch keinem unserer Klienten den Kopf abgerissen oder niemanden meiner Kollegen angeschnauzt. Daheim wollte ich auch nicht bleiben, da sonst das restliche Personal im Überschall hätte arbeiten müssen. Nach der Arbeit sind dann meine Mitarbeiter zur Chefin und haben ihre Sorgen geäußert, dass ich eventuell ausgebrannt (‚burnt out‘) sein könnte. Ich vermute, dass sie verstanden hat, dass ich beschissen arbeite.
Das war Ende Mai – und im Grunde der Anfang vom Ende. Als ich vom Urlaub in Rom wiederkam, wurde mir angeboten, Heim zu fahren oder in der Zentrale zu arbeiten und Statistiken zu beenden, welche ich angefangen hatte. Ich habe diese Statistiken auf Excel aufgebaut und mein Herz hing daran. Seit diesem Zeitpunkt wurde mir außerdem auch nicht mehr gestattet, mit Klienten zu arbeiten. Ich habe eingewilligt.
Es gab aber einige Ungereimtheiten in dem Ganzen: Ich bin mir sicher, dass es keinen offiziellen Wisch gab, wo drauf steht dass ich schlecht arbeite. Und ich habe weder eine mündliche noch eine schriftliche Abmahnung bekommen. Viele meiner Kollegen, mit denen ich arbeite, haben auch ihr Unverständnis darüber geäußert. Keiner hatte geglaubt, dass mein Rausschmiss überhaupt zur Debatte stand. Bei Cork Simon hat jeder Arbeiter einen Supervisor, der mit einem arbeitet und eine Stütze sein soll für alle Fragen des Arbeitslebens. Jemand, der versucht, einen weiterzubringen und zu unterstützen, was er auch zu meiner vollen Zufriedenheit gemacht hat. Da frage ich mich, wieso wird jemand, der mit mir (nicht neben mir!) über ein halbes Jahr gearbeitet hat und mich somit ziemlich gut kennt, nicht nach seiner Meinung gefragt.
Drei ganze Tage habe ich in der Zentrale durchgehalten. Ihr wisst nicht, wie anstrengend es ist, Namen und Adressen in den Computer zu hacken, sieben Stunden am Tag. Ach, Briefumschläge habe ich auch gestopft. Nach drei Tagen bin ich zum Arzt und habe ihm das Blaue vom Himmel herunter gelogen, dass ich totalen Stress in der Arbeit habe, kraftlos bin, depressiv bin, etc, etc... Sie hat es, zu meinem Erstaunen, geglaubt und mich für eine Woche krankgeschrieben.
Schlauerweise hockt der Paul dann nicht daheim, sondern fährt für drei Tage nach Conemara. Man hatte mir gesagt, dass es dort landschaftlich sehr schön sein soll. Leider habe ich davon nichts gesehen, da es total neblig war. Und wenn man wandern geht dort, sollte man immer Sandalen dabei haben. Denn irische Wanderwege sind nicht Kiespfade, die auch bei Regen begehbar sind, sondern Markierungspfosten im Sumpf. Wenn dieser so tief ist, dass sich das Wasser von oben in die Schuhe gießt, hilft das beste GoreTex nichts mehr. Und wenn Wasser in Sandalen fließt, fließt es ganz schnell wieder heraus.
Das fand meine Chefin dann nicht so toll, dass ich kraftlos bin und dann irgendwo in die Gegend fahre. Das Argument, ich müsse einfach mal aus der Stadt, um meinen Kopf frei zu bekommen, hat dann auch nicht mehr gezogen. Wie auch immer, sie hat mich endgültig rausgeschmissen. An diesem Zeitpunkt war ich auch ganz glücklich darüber, da ich keine Lust mehr auf irgendwelche Versteckspielchen hatte.
Als ich ihr angeboten habe, meine Statistiken fertig zu stellen, die ich angefangen habe, hat sie beiläufig gesagt, dass ich nicht mehr in die Projekte gehen soll. Ich habe das so aufgefasst, dass ich nicht mehr arbeiten soll/darf/muss und nicht, dass ich mich physisch von den Projekten fern halten soll. Genau das Gegenteil habe ich aber gemacht. Ich bin nach 13.00 Uhr, nachdem KEINE Klienten mehr im Day Center waren, dorthin, um mit meinen Kollegen einen Termin für meine Abschiedsparty zu besprechen.
Das war’s. Die beiden Mädels sind total ausgeflippt und ich lebe jetzt bei Colin, einem Freund von mir.
Jetzt wieder Ungereimtheiten: Ex-Freiwillige kommen nach Cork und hängen stundenlang WÄHREND DER ARBEITSZEIT in den Projekten herum und keiner sagt etwas.
Und am Ende sagt meine Freiwilligen-Koordinatorin: „I always tried to be fair to you!“
Kein Problem! Ich habe einen Monat kürzer gemacht als ich sollte. Mit Cork Simon habe ich abgeschlossen, und komme am Donnerstag, 14. Juli heim.
Man muss aber auch sehen, dass ich vom 26. Mai bis zum 04.Juli DREI Schichten gearbeitet habe. Drei Schichten in sechs Wochen mit acht Tagen Urlaub. Ich kann mich nicht beklagen. Ich weiß gar nicht mehr wann ich richtig früh aufgestanden bin. Ich war mit meinen Arbeitskollegen segeln, fahre nach Dublin zum Kaffee trinken (ist zur Zeit sehr billig, nicht der Kaffee, die Fahrt!) genieße das Leben im mittlerweile ganz annehmbaren irischen Sommer (29°C).
Ich bin eigentlich nicht jemand, der sich vor Arbeit drückt. Ich habe während der gesamten Zeit drei Tage blau gemacht – meiner Meinung nicht wirklich viel – habe versucht, immer zeitig zu sein und immer das mir Möglichste zu geben. Ich habe mehr gemacht, als von mir verlangt wurde. Aber wenn mir jemand auf die Füße tritt wehre ich mich.
Isaac Newton: Actio = Reactio!
Ihr lässt mich am Computer hacken? Dann mache ich was dagegen, zum Beispiel krank.
Doch: Eine Sache habe ich auf jeden Fall gelernt. Es gibt zwei Hebel im Leben: einen kurzen und einen langen. Den langen bedient immer der Chef, somit bleibt nur noch der kürzere für mich übrig.
Das ist auch der Grund warum meine Überschrift „Bitter“ ist. Es war kein schönes Ende. Es war nicht so wie ich es mir vorgestellt habe.
Ich denke ich habe hier Einiges gelernt (und wenn es nur das Hebelgesetz ist), habe einzigartige Leute getroffen, mit denen ich hoffentlich in Kontakt bleiben werde. Eine andere Kultur und eine neues Land habe ich entdeckt und natürlich auch ein kleinwenig meine Sprachkenntnisse aufgefrischt.
Ich hatte eine wunderbare Zeit und wenn ich noch mal am Anfang stehen würde, ich würde es auf jeden Fall noch einmal machen.
Bereut habe ich nichts!