Wo die Zeit langsamer läuft
Das wildromantische Schottland hat sich Trine offenbart: mit seinen hohen Bergen, kräftigen Winden, weiten Wegen, plüschigen Kühen und Schafen und weitverbreiteten Weiden anstelle von bestellten Feldern. Und dass das Leben dort anders tickt, hat sie auch schon festgestellt.
So langsam gewöhne ich mich an das Leben in Schottland. Die Zeit scheint hier langsamer und gemütlicher zu laufen. Nein, Zeit scheint einfach nicht so wichtig zu sein… Das musste ich teilweise auch schon “schmerzhaft” erfahren, wenn ich zum Beispiel zwei Stunden lang im Esszimmer mit den anderen Langzeit-Freiwilligen saß und auf Brian wartete, der sich nach dem allgemeinen Meeting am morgen noch kurz mit uns unterhalten wollte…
Zeit ist halt nicht so wichtig. Und so gewöhne ich mich langsam daran, zu warten. Das hat sicher nur Vorteile, zum Beispiel kann ich dadurch wundervoll meine Geduld trainieren.
Was ich außerdem hier trainiere ist meine Kondition. Es ist nämlich verdammt teuer, hier Bus oder Bahn zu fahren. Mal abgesehen davon, dass die nächste Bushaltestelle etwa zwei Meilen entfernt ist. So habe ich mich mal auf die Probe gestellt und mich auf den Weg nach Stirling gemacht. Mit dem Rad. Und ich musste feststellen, dass eine Stunde hin und eine Stunde zehn Minuten zurück für mich kein Problem waren, zur Verwunderung meiner selbst.
Das der Weg zurück länger dauert, liegt ja auf der Hand: Sich in Schottland mit dem Rad Richtung Norden zu bewegen, kann einfach nur anstrengend sein, ganz im Gegenteil zu einem Weg Richtung Süden.
Nun kann ich auch bestätigen, dass Callandar das Tor zu den Highlands sei, wie man sagt. Das zeigt sich an vielerlei Dingen: Zum einen hört kurz vor Callander die Landwirtschaft plötzlich auf. Die Landschaft ist ab dort übersäht von Weiden, doch man findet kein einziges bestelltes, oder grad auch nicht bestelltes Feld. Weiter Richtung Süden, in der Nähe von Stirling, sieht es dann schon plötzlich wieder fast so aus, wie in meiner Heimat. Ein weiterer Punkt sind die von mir doch so sehr geliebten Highlandcows. Das erste Exemplar dieser Art mit so wunderhübschen Hörnen und dem tollen Plüschfell befindet sich etwa eine halbe Meile nördlich von Callander. Naja, und wenn ich ehrlich bin, es ist einfach nur offensichtlich, dass hinter Callander die Highlands beginnen, aus dem einfachen Grund, dass dort die Berge beginnen.
Es ist klasse hier! Wo man hinschaut Schafe und schwarze Kühe. Ab und an mal Highlandcows oder beigefarbene Kühe, Kälber, die bei ihren Müttern im Gras liegen, plüschige Schafe, die einen beim Vorbeifahren anblöken... Ich mag es hier. Nur Pferde gibt es hier kaum welche.
Während ich in Deutschland allein auf dem Weg von mir zu Haus zur fünf Kilometer entfernten Stadt mindesten 50 Pferden begegne, gibt es hier im Umkreis von sechs Meilen maximal zehn von ihnen: Drei gegenüber von Braendam, drei oder vier in Thornhill und drei in Richtung Callander. Wenn ich mal viel Zeit habe, werde ich bei allen anfragen, ob ich gegen ein bisschen Mithilfe im Stall ab und an mal mit den Pferden umgehen darf. Viel weiter will ich aber auch nicht weg mit den Pferden. Es gibt zwar noch eine Reihe von ihnen hinter Callander und Richtung Stirling, aber das ist mir zu weit, um auch bei schlechtem Wetter hinzufahren, mit dem Rad.
Apropos Wetter: wir haben nun bereits den dritten Tag schönes Wetter, auch wenn es heute nicht so toll ist, wie die Tage zuvor. Gestern hatten wir den ganzen Tag Sonne, heute hängen doch Wolken am Himmel und es weht ein guter Wind. Wobei das hier im Tal echt noch angenehm ist.
Wir waren heute auf dem höchsten Berg hier in der Nähe, dem Ben Ledi, 900Meter hochgelegen. Ich hatte echt Angst, dass ich da oben wegfliegen könnte. Habe ich jemals in Deutschland behauptet, ich würde keinen Wind mögen? Ha, ich glaub, da sprach ich über leichte Brisen. Das, was mir heute um die Ohren peitschte, war unbeschreiblich... Aber nett. Allerdings muss ich sagen, mir gefiel der Ben Áan, so heißt der Berg, auf dem ich vorige Woche war, besser. Er ist zwar nicht so hoch und die Aussicht war nicht sooo gut, was aber vielleicht auch am Wetter gelegen hat. Doch der Weg hinauf war wesentlich interessanter. Zum Ben Ledi hinauf geht man die meiste Zeit auf einem befestigten Weg und durch Graslandschaft. Den Ben Àan hinauf folgt man einem Wasserfall, teilweise geht man sogar in dem Wasserlauf, klettert auf Felsen, durch Wälder. Das ist wesentlich abenteuerlicher. Hingegen ist der Ben A`an auch gute 20 Kilometer von uns entfernt, das bedeutet etwa eine Stunde Radfahren, bevor man auf den Berg klettern kann. Das ist anstrengend.
Genug nun von mir. Ich bin mal gespannt, wie mein erster Family-Stay wird, die kommen am Montag. Die IVS-Freiwilligen sind, bis auf einen, inzwischen alle abgereist und die meiste Arbeit auf dem Hof ist getan. Nun beginnt die wahre Braendam Arbeit...