Es war einmal
Dämmerlicht, keine Menschenseele weit und breit, wolkenverhangener Himmel, dazu blattlose Baumgerippe auf öden Feldern, dazwischen verlassene brennende Häuser und eine Totenstille – Endzeitstimmung. Hat es jemals eine unheimlichere Bahnhofssuche gegeben als die von dielene?
So, ich denke, es wird mal wieder Zeit, dass ich was schreibe!
Leider (oder vielleicht auch zum Glück, je nachdem) gibt es nicht besonders viel Spannendes von meinem Leben hier in den letzten Wochen zu berichten. Deswegen werdet ihr jetzt mal mit meinen Alltagsproblemen konfrontiert, wie zum Beispiel meiner heutigen Suche nach dem Bahnhof.
Heute früh hatte ich mich also aufgemacht den Weg zum Bahnhof auszukundschaften, den es angeblich im nächsten Dorf geben soll, da ich morgen ein paar andere Freiwillige in Tapa besuchen will. Der Zug ist deutlich billiger und außerdem auch viel schneller. Ich bin also zu einer einigermaßen anständigen Zeit aufgestanden (da ich immer erst um 16.00 Uhr anfange zu arbeiten, habe ich mir leider angewöhnt, zu spät ins Bett zu gehen, zu lange auszuschlafen und ich liebe es außerdem, den Rest des Vormittags lesend im Bett zu verbringen!) und hab mich für das graue triste Regenwetter draußen gewappnet.
Hier gibt es nicht viele Straßen; es führen eigentlich nur zwei von Sillamäe weg und so war es nicht besonders schwer, die Richtige zu finden. Und los ging’s: Es sollte eine fast zweistündige Wanderung mitten durch die Pampa werden. Ich der einzige Fußgänger weit und breit, nur ab und zu mal von einem Trabbi oder einem vorbeibrausenden LKW überholt... Und dann noch das dämmrige Licht (bei dem Wetter hat man das Gefühl, es wird den ganzen Tag nicht richtig hell, und um vier Uhr wird es ja eh schon wieder dunkel!), der wolkenverhangene Himmel, die braune Landschaft mit den kahlen Baumskeletten - irgendwie gespenstisch!
Irgendwann kam ich an einem einzelnen Haus vorbei, was ja an sich nichts Besonderes ist, aber nebendran war eine brennende Scheune! Der Dachstuhl war schon komplett abgebrannt und es qualmte gemütlich vor sich hin! Und niemand schien sich daran zu stören! Darum ging ich ebenfalls weiter und nach weiteren zwanzig Minuten einsamen Weges, sah ich das "Dorf"; vielmehr, ich sah etwa fünf Häuser und ein paar Schuppen in der Landschaft stehen, ein paar Wäscheleinen, an denen alte Schürzen und Ähnliches hingen. Das erste Haus: eine kleine zerfallene Hütte mit lustigen grünen Türen und Fenstern und zwei großen Briefkästen der "Eesti Post", vor dem zwei weiße Ziegen ihr Mittagsmahl einnahmen.
Wo war ich hier gelandet? Vor 200 Jahren muss es hier schon genauso ausgesehen haben! Langsam begann ich daran zu zweifeln, ob ich hier wirklich einen Bahnhof finden könnte. Aber da ich schon mal da war, beschloss ich weiter zu suchen. Von Ferne hörte ich Hundegebell und ein seltsames Hämmern, ansonsten war nur das Rauschen des Windes zu vernehmen und eine unheimliche, unnatürliche Stille. Ich scheuchte einen Schwarm Tauben auf.
Und - welch ein Wunder - kurz darauf sah ich tatsächlich ein paar Bahngleise, die aber nicht in das Bild des Dorfes, das sich mir bot, reinzupassen schienen. Irgendwie waren sie fehl am Platz, zu neu, zu städtisch. Ich erblickte schon bald ein Haus, das meinen Vorstellungen von einem Bahnhof entsprach, aber als ich näher kam sah ich, dass die Fenster mit Holz zugenagelt waren und an der Tür war ein Schild angebracht: Kauplus (estn.: Laden). Na ja, war wohl nix!
Mir war die Atmosphäre irgendwie nicht ganz geheuer und ich beschloss, an diesem Punkt meine Suche abzubrechen. Ich würde wohl doch den Bus nach Tapa nehmen müssen. Ich drehte also um, und schon nach der ersten Biegung konnte ich die großen Plattenbauten von Sillamäe sehen; was für ein Kontrast! Als ich mich wieder den Rauchschwaden der brennenden Scheune näherte, wurde ich gleich freudig von einem krähenden Hahn begrüßt, aber ich ließ mich nicht beirren und setzte zügig meinen Weg zurück ins 21. Jahrhundert fort.
Okay, das war meine ergebnislose Suche nach dem Bahnhof. Danach habe ich dann erstmal einen warmen Tee gebraucht und ein bisschen Schokolade, und dann ging es auch schon zur Arbeit.
Mit der Arbeit im Waisenhaus sind Peggy und ich leider in letzter Zeit nicht so zufrieden. Klar, die Kinder sind schwierig und können echt anstrengend sein, aber das ist im Moment nicht mal das Problem. Das Problem ist, das wir die Zeit, die wir im Haus dort verbringen, größtenteils mit Putzen beschäftigt sind und das ist ja eigentlich nicht der Sinn unseres Aufenthaltes hier! Wir werden also bald mal ein Gespräch mit Ilja suchen.
Wie schon gesagt, bei mir hat sich in der letzten Zeit nicht besonders viel getan! Mir geht hier im Moment alles viel zu langsam vorwärts und ich werde echt ungeduldig, weil ich in der Sprache kaum Fortschritte mache. Ist wirklich nicht einfach! In mein Leben hier hat sich der graue Alltag eingeschlichen und ich gebe mein bestes im Kampf gegen die Langeweile!
Ich habe jetzt die ersten russischen Kinderlieder gelernt und ich hab es sogar geschafft, mich aufzuraffen und joggen zu gehen! Am Strand entlang, was echt total schön war, auch wenn es mit meiner Kondition nicht mehr weit her ist und ich darum nicht besonders weit gekommen bin.
Am 26. Oktober hatten wir den ersten Schnee! Ich weiß das so genau, weil ich an diesem Tag zum On-Arrival-Training nach Tallinn gefahren bin und mich früh um 6.00 Uhr auf dem Weg zur Bushalte erst noch durch den Schneesturm kämpfen durfte!
Das On-Arrival-Training war einfach nur genial; die fünf Tage in Tallinn zusammen mit den anderen Freiwilligen waren eine super Zeit. Da werden mir denke ich alle, die dabei waren, zustimmen! Auf dem Seminar hab ich endlich auch mal Tallinn gesehen. Die Altstadt ist natürlich wunderschön, aber sobald man die alten Gemäuer hinter sich lässt, bietet sich einem ein ganz anderes Bild. Man sieht nicht selten Menschen im Müll wühlen, ein erschreckender Kontrast!
Das soll es von mir für heute gewesen sein! Macht’s alle ganz gut beim Studium, in der Schule, bei der Arbeit, in Australien, Ungarn, Italien, oder wo auch immer Ihr gerade seid und was Ihr gerade treibt!