Eine Fahrt ins Ungewisse
Ein Ort mit Namen "Villa Nova" kann nur am Ende der Welt sein... Erfahrungsgemäss liegt eben dieses Ende der Welt an Wochenenden aber noch weiter weg, als es ohnehin schon ist. Es ist immer wieder faszinierend, wie lang die Wege in der Tschechischen Republik sind. Dieses kleine Land... aber um es zu durchqueren, braucht man mindestens so lange, wie für die Stecke München-Hamburg. Nur, dass man zwischen München und Hamburg nicht halb so viel erlebt.
Ein Ort mit Namen "Villa Nova" kann nur am Ende der Welt sein... Erfahrungsgemäss liegt eben dieses Ende der Welt an Wochenenden aber noch weiter weg, als es ohnehin schon ist. Es ist immer wieder faszinierend, wie lang die Wege in der Tschechischen Republik sind. Dieses kleine Land... aber um es zu durchqueren, braucht man mindestens so lange, wie für die Stecke München-Hamburg. Nur, dass man zwischen München und Hamburg nicht halb so viel erlebt.
An einem Samstagmorgen machen wir uns auf den Weg zu diesem Ort. Die erste Etappe - Busfahrt von Plzen nach Prag - geht ohne Probleme von statten, denn noch befinden wir uns in der Zivilisation. Wir fahren weiter und weiter nach Osten. Das heißt, eigentlich wissen wir nicht, wo wir hinfahren. Nach Nordosten, Richtung polnische Grenze... Die letzte Stadt, die besonders der Österreicherin von uns gut bekannt ist, ist Hradec Kralove, Königgrätz.
Und dann? Wir haben unsere deutsche Gründlichkeit und Organisation nach vier Monaten in Tschechien abgelegt. Nicht, dass dort Chaos herrscht und man sowieso nie etwas planen kann. Nein, die Tschechen sind nur einfach geduldige Leute, für die nichts ein Problem zu sein scheint, die vieles einfach so hinnehmen... Uvidime...Wir werden sehen...Diese Haltung steckt an.
Dann? Wir haben schon lange aufgehört mitzuzählen, wie oft wir von einem kalten, unbequemen Bus in den nächsten umgestiegen sind. Der Schnee wird immer tiefer, die Busbahnhöfe kleiner...Wir bilden uns einfach ein, dass jedes dieser Gefährte uns ein Stück näher ans Ziel bringt, denn es gelingt uns nicht mehr, die Orte, in denen wir uns gerade befinden, auf der Karte zu finden. Immer wieder stehen wir in kleinen Dörfern und wissen nicht weiter, fragen uns aber durch und finden eine Möglichkeit, doch noch ein Stückchen zu fahren. Aber irgendwann ist einfach Schluss, hier beginnt das Ende der Welt: Wir stehen auf einem verschneiten Dorfplatz, gegenüber eine für diesen Ort völlig überdimensionierte gelbe Kirche und überall hängen riesige wunderschöne Eiszapfen. Eigentlich schön, nur leider eine Sackgasse. Von hier gibt es keine Busse mehr, überhaupt, es ist Samstagnachmittag, wir sind bereits sieben Stunden unterwegs es dämmert... Aber uvidime... irgendetwas muss ja noch gehen.
Die Dame im Hotel (!) ist etwas verwundert, als sie von vier Mädels nach einem Taxi gefragt wird. "Hier gibt es keine Taxis." Aha. Aber sie ist freundlich und hat schon den Telefonhörer in der Hand, um uns irgendwie weiterzuhelfen. Von da an beginnt die Situation aus den Fugen zu geraten, denn eine kleine, ältere Frau betritt das Hotel und ein tschechischer Redeschwall ergießt sich über uns. Ergießen... das heißt, eine große Menge Worte pro kleiner Zeiteinheit... Weder verstehen wir, warum die Dame mit uns spricht, noch was sie sagt. Aber sie macht keine Pause, die es uns ermöglichen würde, ihr zu erklären, dass wir nicht verstehen. Schließlich gelingt es uns, irgendwie die Notbremse zu ziehen, oder vielleicht eher die "Unterhaltungs-Ampel auf rot" zu schalten. Denn kaum haben wir es geschafft zu erwähnen, dass wir aus Deutschland und Österreich kommen, geht der Redeschwall schon auf Deutsch weiter.
Faszinierenderweise verstehen wir nun die Worte, nicht aber deren Sinn. Sie würde schon seit 12 Uhr auf uns warten und wir sollten doch ins Museum kommen und warum wir nicht gleich ins Museum gekommen seien, das wäre doch vereinbart gewesen. Aber jetzt seien wir ja da, wir könnten gleich mit ins Museum kommen und vorher noch unsere Taschen ins Auto legen und nachher würde uns ein Mann ins Dorf fahren... wie abgemacht... Wir wissen von keinem Museum. Von keiner Frau. Von keiner Vereinbarung. (Über diese Abmachungen werden wir erst im Nachhinein informiert.)
Aber wir würden alles tun, um irgendwann anzukommen. Also gehen wir brav in ein Heimatmuseum, wo ein paar alte Möbel, Waschmaschinen, Glasscherben und allerhand anderer Kram ziemlich wahllos nebeneinander liegt. Nebenbei hören wir, dass sie Kindergärtnerin war, Sudetendeutsche, dass ausgerechnet das Museum der Kindergarten war, der Fahrer ebendiesen besuchte... und immer wieder, dass wir doch um 12 Uhr im Museum sein sollten. Von der Frau erfahren wir während unserer Exklusivführung alles über Dragon, dem wir nie begegnen werden, über Helena und über das Dorf, dessen Namen wir nicht einmal wussten. Dass sie ihr ganzes Leben dort verbracht hat und sich nun um das Museum kümmert. Aber vielleicht ist sie in Wirklichkeit auch selbst ein Ausstellungsstück... Repräsentantin einer vom Aussterben bedrohten Gattung: "A nice German woman typically from the Sudetes who will enjoy to talk a lot, even if you don t understand anything".
Wir besteigen dann wirklich einen Minibus und werden von einem wildfremden Tschechen mit Wollmütze bergauf und bergab und bergauf und bergab durch einen wiederum tiefverschneiten und stockdunkeln Wald in das Dorf am Ende der Welt gefahren. Wir hoffen zumindest, dass er uns dort hinbringen wird, denn die Straße ist kaum zu sehen und unsere Handys haben mit jeder Kurve weniger Empfang. Aber wir sind völlig willenlos, wehren uns nicht mehr, würden jedem folgen.
Aber der Wald endet tatsächlich - irgendwo, irgendwann. Nach insgesamt acht Stunden Reise halten wir: Es ist stockdunkel und die Schneebälle von Freiwilligen aus ganz Europa begrüßen uns - in Villa Nova.