Der ganz normale Wahnsinn
Die Briten und der Schnee. Was fällt einem dazu als erstes ein? Klar: Totale Überforderung und absolutes Chaos. Doch das Ganze hat auch seine schönen Seiten: Schneeballschlachten, neue Bekanntschaften auf dem Fußweg zum Supermarkt und das Schmunzeln über die Briten...
Weihnachten! Zeit der Ruhe, Zeit der Besinnlichkeit! - denkste! Tief „Petra“ hat nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Großbritannien für einiges Chaos gesorgt. Da blieben natürlich auch die Valleys im Süden von Wales nicht verschont – im Gegenteil, hier ist es (zumindest meiner Meinung nach) definitiv noch schlimmer als in den größeren Städten.
Aber fangen wir einfach mal chronologisch an. Vom 14. bis 16. Dezember stand der Kurztrip nach Sevilla an, um die glorreiche Borussia siegen zu sehen. Wurde natürlich nix. Doch im Zuge der Geschehnisse vor und nach dem Spiel rückte das Ergebnis sowieso in den Hintergrund. Die Schwere der von den spanischen „Polizisten“ begangenen Straftaten war einfach zu krass, um der Reise im Nachhinein viel Gutes abzugewinnen. Wer immer noch in der Traumwelt lebt, in der die Polizei „dein Freund und Helfer“ ist, lese einfach mal folgende Artikel:
http://www.schwatzgelb.de/2010_21_12_ein-tag-gefaengnis-in-sevilla_1.html
http://www.schwatzgelb.de/2010_21_12_ein-tag-gefaengnis-in-sevilla_2.html
http://www.schwatzgelb.de/2012-12-21_gastautoren_ein-tag-im-gefaengis-in-sevilla.html
http://www.schwatzgelb.de/2010-12-18_imfokus_sevilla-bvb.html
Auch wenn ich am Donnerstag dann noch die schönen Seiten Sevillas entdecken konnte und mir die Architektur der Stadt, insbesondere die Plaza de Espana, wirklich sehr gut gefiel, kann man einfach nicht von einem „schönen Ausflug“ sprechen.
Da für Donnerstag, 17.12., für Südengland/Südwales starker Schneefall angesagt war, machte ich mich dann auch eher mit mulmigem Gefühl auf den Weg Richtung Flughafen, aber mein Flug verließ Andalusien pünktlich und als wir das englische Festland erreichten, war von Schnee keine Spur. Lediglich leichter Regen war angesagt. Selbiges am späten Abend in Merthyr: nirgendwo weiße Flecken, hier regnete es nicht einmal. Also alles nur Panikmache? Denkste! Als ich dann am Freitagmorgen wach wurde und aus dem Fenster schaute, war ich dann ziemlich perplex. Alle Dächer ringsherum waren mit einer 10cm hohen Schneeschicht bedeckt, alle Straßen weiß, Autos komplett zugeschneit. Und das nur knappe 7 Stunden später! Und nun sollten wir hier oben in Dowlais, das oberhalb des Stadtzentrums liegt und somit nur über relativ steil ansteigende Straßen zu erreichen ist, erleben, wie überfordert der Waliser mit Schnee ist. Ich hatte das Ganze in meinem letzten Eintrag ja schon angedeutet. Doch im Gegensatz zum ersten Schnee, der den Verkehr nur für einen Abend lahm legte, brach nun das große Chaos aus.
Von Freitag bis Dienstag habe ich hier keinen einzigen Bus fahren sehen. Bushaltestellen und auf vielen breiteren Straßen auch eine ganze Fahrbahnseite wurden zu großen Parkflächen umfunktioniert, da viele Menschen hier tatsächlich so schlau waren, das Auto irgendwie aus ihren Seitenstraßen herauszuschieben, nur um dann festzustellen, dass auch eine etwas breitere Straße bei 10cm hoher Schneedecke und nicht vorhandenen Winterreifen nicht zu befahren ist. Ich werde wohl nie verstehen, warum der Brite sich kategorisch gegen Winterreifen weigert. Vielleicht will man ja einfach nicht als „Weichei“ dastehen oder was auch immer...
So gestaltete sich hier auch das Einkaufen relativ interessant und wurde zum Highlight der sonst eher langweiligen Tage. Der nächste große Supermarkt ist circa 30 Minuten Fußweg (natürlich streng bergauf) entfernt. Praktischerweise konnte man hier in den letzten Tagen aber stets auf der Straße laufen, da diese eh nicht befahren war. Und zumindest die Hauptstraße bergauf war einigermaßen geräumt. Es war schon ziemlich lustig, auf wie viele Menschen zu Fuß unterwegs waren, um sich mit Essen für die kommenden Tage einzudecken. Und jeder Leidensgenosse, der den Berg mit vollen Einkaufstüten wieder herunterkam, grüßte freundlich und so ergab sich auch der ein oder andere Small-Talk mit den Einheimischen, die so viel Schnee auf einmal hier in Merthyr auch noch nie gesehen haben. Gemeinsames Leid schweißt dann eben auch ein wenig zusammen.
Mein persönliches Highlight war dann der Samstag, an dem ich dann ernsthaft am Verstand der Verantwortlichen der walisischen Eisenbahn gezweifelt habe. Hierzu muss man wissen, dass zwei es aus Merthyr heraus zwei Züge in der Stunde gibt. Zum einen den um 08 und den um 38. Beide Züge fahren über Cardiff. Der eine fährt anschließend nach Barry, der andere nach Bridgend. Am Samstag war aufgrund des Schnees dann die Strecke zwischen Cardiff und Barry gesperrt. Wieso man den Zug dann aber komplett ausfallen lässt und nicht wenigstens für die Strecke von Merthyr nach Cardiff einsetzt, auf der in der Regel sowieso 99% aller Fahrgäste aussteigen, werde ich wohl nie verstehen. Zumal der Bahnsteig in Merthyr sowas von überfüllt war und für die Strecke nach Bridgend trotzdem nur der übliche Zwei-Wagen-Zug eingesetzt wurde.
Der Glanzpunkt walisischer Genialität folgte dann aber am Abend. Der letzte Zug nach Merthyr fährt normalerweise um 22.26. Aufgrund meines unglaublichen Glücks an diesem Tag wurden aber natürlich alle Fahrgäste, die bereits im Zug saßen und auf die Abfahrt warteten, aus selbigem wieder hinausgebeten. Warum? Weil das Signalhorn (!) vereist war. Weltklasse! Immerhin war die Bahn so freundlich, einen Ersatzzug zu stellen, was nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit ist. Nach ungefähr 20 Minuten Wartezeit wurde dann bekannt gegeben, dass der Zug nach Aberdare eben nicht nach Aberdare, sondern als Ersatzzug nach Merthyr eingesetzt würde. Kurz vor der Abfahrt gab es dann im Zug auch noch folgende Durchsage: „Achtung, Achtung! Dieser Zug fährt heute nicht nach Aberdare sonder nach Merthyr Tydfil. Alle Fahrgäste nach Aberdare bitte aussteigen, es wird einen Ersatzverkehr geben.“ Soweit so gut. Als dann fünf Minuten nach der Abfahrt eine weitere Durchsage kam, konnte ich mir das Lachen aber einfach nicht mehr verkneifen: „Achtung, Achtung, an alle Fahrgäste mit dem Reiseziel Aberdare: Bitte steigen sie in Pontypridd aus, dort wartet vor dem Bahnhof ein Schienenersatzverkehr auf sie.“ (Pontypridd liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen Cardiff und Merthyr). Blöderweise konnten diejenigen Fahrgäste, die der Durchsage vor der Abfahrt gefolgt waren, dies nicht mehr hören. Ich hoffe für die entsprechenden Personen trotzdem, dass sie noch irgendwie nach Aberdare gekommen sind.
Der ganz normale Wahnsinn hier in Wales! Aber sobald man sich einmal daran gewöhnt hat, macht man schnell das beste daraus. So haben wir unsere freie Zeit hier für einige Schneespaziergänge, Schneeballschlachten oder zum Schneemannbauen genutzt und uns den Rest der Zeit über die britische Unfähigkeit amüsiert.
Und da das Gröbste nun vorbei ist und auch die Busse endlich wieder fahren, bin ich recht optimistisch, dass ich morgen Abend auch meine Weihnachtsparty bei Samuel in Ebbw Vale besuchen kann. Da meine Mitbewohner, zumindest die beiden, die über die Feiertage in Wales bleiben, die absoluten Weihnachtsmuffel sind, werde ich dort morgen zwar alleine hinfahren müssen. Aber es wird trotzdem eine sehr internationale Runde, da Samuel (ein portugiesischer Volunteer aus dem letzten Jahr, der hier geblieben ist) einige seiner Mitbewohner aus dem vergangenen Jahr eingeladen hat.
Ich werde mich dann nach Weihnachten oder – was wahrscheinlicher ist – erst im kommenden Jahr wieder melden, da nach Weihnachten ja ein wenig Sightseeing in Südwales mit Katrin auf dem Programm steht. Also bis dahin, Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins Jahr 2011. Oder wie der Waliser sagen würde: Nadolig Llawen a Blwyddyn Newydd Dda !