Bitte anschnallen, es geht nach Australien!
Es fühlt sich an, als wäre es erst gestern gewesen. Meine Eltern fahren mich nach Frankfurt, wir verabschieden uns, ich steige in den Flieger: Über einen Tag dauert die Reise nach Sydney, meiner neuen Heimat für die kommenden 6 Monate. Eine neue Sprache. Eine neue Schule. Eine neue Familie. Erst als es heißt: "Bitte anschnallen, boarding complete," wird mir klar, dass es kein zurück mehr gibt. Ich war gerade mal 16 und auf dem Weg in das größte Abenteuer meines Lebens.
Wir fühlen uns schon so richtig erwachsen, mit 16. Immerhin geht man schon in die Oberstufe. Man darf auch schon bis Mitternacht in den Clubs bleiben. Aber sind wir doch mal ehrlich: Die meisten wohnen noch Zuhause und egal, wie sehr man die Eltern in der Pubertät hasst: Sie sind doch immer für einen da. Genau wie der volle Kühlschrank, der kostenlose Putzservice der Mama und der zuverlässige Taxiservice des Papas.
All das lasse ich nun hinter mir.
Wieder heißt es "Bitte anschnallen", wir setzen zum Landeanflug an. Im "Welcome-"Bereich wartet ein Mann auf mich, mit einem Schild auf dem mein Name steht. Ich folge ihm, erinnere mich noch kurz an die Worte von früher: "Niemals mit Fremden mitgehen!" Aber das zählt in dem Moment nicht, denn ich bin nun für mich alleine verantwortlich.
Eine Stunde Fahrt vergeht. Alle reden Englisch im Radio. Ich verstehe nur die Hälfte, was zum Teil daran liegt, dass der schulische Englischunterricht hauptsächlich aus Grammatik besteht und teilweise daran, dass ich hundemüde bin.
Es ist 6 Uhr in der Früh.
Dann stehe ich vor diesem großen Haus, eine Frau macht auf. Ich kenne sie von einem Foto. Wir hatten auch schon ein paar eMails ausgetauscht. Das ist nun meine neue Mama. Auch sie redet englisch. Ich bringe nur eine "Hello. I am Julia." hervor. Sie lächelt und begleitet mich hinein. Sie weckt ihre Kids - meine Geschwister -, macht Frühstück und schon sitzen wir zu fünft am Tisch. Alle plappern. Ich merke wie sie extra langsam und deutlich reden, damit ich sie verstehe. Am Ende sagt meine neue Mama: "You're family now." Sie lächelt wieder. Da wusste ich, dass alles in Ordnung sein wird.
Ich gewöhne mich an die Sprache. An die Uniformen, die alle in der Highschool tragen. Ich lerne andere Austauschschüler kennen. Und nach und nach Einheimische. Und mit ihnen deren Lebensphilosophie. Ich lande auf der ersten Hausparty, trinke zum ersten Mal Goon*. Wir übernachten am Strand, mit einem kleinen Lagerfeuer und wachen zum Anblick von Delfinen auf. Je wohler ich mich fühle, desto bewusster werde ich mir, an was für einem wunderschönen Ort ich gelandet bin. Das Meer erstreckt sich bis zum Horizont. Die Küste schlängelt sich meilenweit in alle Himmelsrichtungen. Die Luft riecht nach Salz, die Sonne scheint. Das färbt auf die Menschen ab. Sie strahlen geradezu und passen sich dem Leben an, wie Wasser seiner Umgebung. Alle sind entspannt, freundlich.
Alleine auf dem Weg nach Sydney merke ich, dass nach dem Weg fragen in Ordnung ist. Dass Fehler machen in Ordnung ist. Dass sich verlaufen und nicht zu wissen, wo man ist, in Ordnung ist. Ich merke, dass es nachts dunkel ist, aber nicht gefährlich. Umgeben von Bettonriesen, inmitten von 4 Millionen Menschen.
Man lernt nie aus.
Von meiner neuen Mama lerne ich die Waschmaschine zu bedienen, von meinen neuen Geschwistern zu kochen. Von meinem neuen Nachbarn lerne ich, dass man jeden Job bekommen kann, den man will. Man muss sich nur vorstellen Superman zu sein. "Bleib kurz stehen. Atme tief durch. Und dann Brust raus, Kinn nach oben, Hände in die Seite stellen. Du packst das!" Ich verdiene mein eigenes Taschengeld, lerne damit umzugehen und achte im Supermarkt zum ersten Mal auf Preise.
Das halbe Jahr vergeht wie im Flug. Auf einmal heißt es Abschied nehmen. An diesem Punkt habe ich noch immer keine Ahnung, was es bedeutet, erwachsen zu sein. Aber ich bin doch ein wenig schlauer als zuvor. Weiß nun, dass Menschen grundsätzlich gut sind. Dass ich mich in den meisten Ländern in Zukunft zurechtfinden werde und mich in vielen Situationen behaupten kann. Und dass ich ein neues Zuhause mit einer zweiten Familie habe.