Wann wagt man den Sprung aus dem Nest?
Über verschiedene Mentalitäten im Hinblick auf das "Großwerden".
Ich persönlich habe mich dazu entschieden, nach dem Schulabschluss eine Pause einzulegen. Einen Europäischen Freiwilligendienst kann man in dem Sinne zwar nicht unbedingt als Pause bezeichnen, da man letztendlich schon in einen geregelten Arbeitsalltag eingegliedert wird, und das auch noch in einem mehr oder weniger fremden Land und mit dessen Sprache. Dennoch bietet ein solcher Freiwilligendienst Abwechslung, insofern dass man dem weitgehend lediglich fachspezifischen und monotonen Lernen, das sowohl Schule als auch Uni beinhalten, entgeht und andere Fähigkeiten im Hinblick auf Kommunikation und Integration, sowie soziale Kompetenzen fördert.
Aus meiner persönlichen Erfahrung ein durchaus empfehlenswertes Programm, um sich selber, seine Stärken und seine Schwächen ein bisschen besser kennenzulernen und sich dann später mit diesen neu erworbenen Selbstkenntnissen auf den Pfad der Weiterbildungs zu begeben, sei es der Beginn einer Ausbildung, eines Praktikums oder der Start der Universität.
Schaue ich mich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis um, so fällt mir auf, dass dieses Auslandsjahr (ob sozial, ökonomisch oder umweltorientiert) in Deutschland schon ein fester Bestandteil des Prozesses des Reifens, Bildens und Heranwachsens geworden ist. Natürlich wird dies auch noch nicht von allen praktiziert, da ja auch jeder seinen eigenen Weg zum erwachsen werden finden muss, aber bereits eine eindeutige Mehrheit begibt sich vor der Universität gerne in unbekannte Gewässer.
Ganz ohne Frage wäre es von jedem Freiwilligen oder Traveler unangemessen, sich auf eine solch hohe Stufe zu begeben, die eigene Lebensgestaltung als die „Richtige“ zu bewerten oder gar diejenigen zu kritisieren, die sich dagegen entscheiden. Was ich jedoch reflektieren kann, ist das, was mir meine Mitmenschen kommunizieren und welches Feedback sie mir entgegenbringen.
Betrachtet man die spanische Gesellschaft, so wird schnell deutlich, dass unter den Jugendlichen, sowie den Erziehungs- und Bildungsautoritäten mehrheitlich eine andere Mentalität vorliegt. Viele SpanierInnen bleiben nach dem Schulabschluss an ihrem ursprünglichen Wohnort und beginnen dort, in ihrem gewohnten Umfeld, auch die Universität. So kommunizieren mir regelmäßig junge SpanierInnen, dass dies zum einen eine finanzielle Problematik ist, da in Spanien die Studiengebühren verhältnismäßig hoch ausfallen und der Verbleib in einer eigenen Wohnung schwer zu managen sei. Zum anderen fühlen sie sich teilweise vom Bildungssystem und der traditionellen Familienstruktur in ihrem Wunsch nach einer Auslandserfahrung nicht unterstützt, da man ihnen vermittele, es sei notwendig mit der Weiterbildung zunächst eine sichere Grundlage für die Zukunftsplanung zu schaffen. Doch auch junge Absolventen der Universität vermitteln mir ein ähnliches Bild: Sobald der Abschluss geschafft ist, fühle man sich von der Gesellschaft unter Druck gesetzt, direkt ins Arbeitsleben einzusteigen, um weder zeitliche noch materielle Möglichkeiten zu vergeuden. Merkt man hier vielleicht sogar die Ausmaße der nach wie vor andauernden Wirtschaftskrise und dem damit einhergehenden unsicheren Arbeitsmarkt?
Ich kann jedenfalls nur berichten, dass in Spanien verhältnismäßig wenige Jugendliche und junge Erwachsene vor bzw. während der Universität den Sprung aus dem Nest wagen, und mich und andere Freiwillige für unser soziales Engagement fernab von den gewohnten Strukturen loben und in vielen Fällen sogar beneiden.
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