Von mir und dir
Ein Brief aus Berlin
Mein lieber,
es freut mich, dich wieder zu sehen. Du hast mir gefehlt. Ich weiß, ich weiß, ich bin diejenige, die weggegangen ist. Du bist geblieben und hast eine Weile gewartet. Als ich nicht mehr kam, hast du endlich verstanden, dass ich nicht einfach verrückt geworden bin, sondern dass ich es ernst meine. Dass ich wirklich weg bin.
Ich spüre, du hast dich verändert. Vielleicht hast du mich am Anfang noch vermisst. Aber mittlerweile sehe ich, du hast dich an meine Anwesenheit gewöhnt. Du hast ein neues Leben. Neue Menschen um dich überall. Ich weiß nicht mehr, ob ich in dieses Bild reinpasse. Ob ich jetzt da einen Platz habe. Ob du das überhaupt möchtest.
Ich spüre, es gibt zwischen uns eine Kluft. Bei dir ist das Leben einfach ohne mich weitergelaufen. Ich bin aber auch nicht mehr diejenige, die dich damals verlassen hat. Ich hab einen Teil meiner Persönlichkeit bei dir gelassen. Woher ich jetzt komme, bin ich ein anderer Mensch. Wenn wir uns treffen, schauen wir uns mit Interesse an, dann erzähle ich Sachen, die du nur vom Fernsehen kennst, du erzählst etwas, woran ich mich nebulös von meiner Vergangenheit erinnere. Du verstehst nicht, was ich sage, du denkst, das Leben im Westen sei einfach. Ich verstehe nicht, wie du dich da, im Osten nicht eingesperrt fühlst. Ich rechne schon den Forint zu Euro um und mir fallen deutsche Wörter ein. Mich stören deine Regel und Gebräuche, die ich damals für normal gehalten hab.
Dann finden wir den gemeinsamen Nenner für einen kurzen, schönen Moment. Der Moment ist aber vorbei. Das ist nur Nostalgie. Illusion. Dann merke ich erst, dass wir nichts mehr miteinander zu tun haben. Ist es wirklich nur die Höflichkeit? Könnten wir nicht endlich mal sagen: Es ist vorbei, es ist nur Zeitverschwendung, es ist nicht ehrlich? Ist es nicht?
Sobald der Abschied kommt, bricht ein Teil meines Herzens. Aber als ich mich umdrehe, vergesse ich dich wieder. Auch wenn ich dich ab und zu vermisse. Deine Verrücktheit, deinen Chaos, deine Unberechenbarkeit, deine Schönheit, deine Schmutzigkeit.
Vielleicht war ich wirklich verrückt, dich verlassen zu haben. Nach drei Jahren kann ich schon sagen, ich weiß nicht mehr, ob das die gute Entscheidung war. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals unsicher werde. Dass ich jemals überlegen werde, zu dir zurückzugehen. Dass ich doch und zwar sehr stark zu dir gehöre.
Ich hab aber ein neues Leben, das sich noch formt. Hier ist es anders. Hier hab ich Ruhe. Eine sichere Basis zum normalen Leben. Kalkulierbarkeit. Langeweile. Ich suche noch immer, was genau ich hier, fern von dir mache. Wie ich leben soll, wie ich sein soll, was ich geworden bin, so dass ich alles was mich so lange definiert hab, einfach nicht mehr hab. Das neue Ich, was auch immer das sein soll, ist unklar. Es dauert, bis ich es finde. Wenn überhaupt.
Wer fremd geboren ist, bleibt ewig fremd.
Ich hasse und liebe dich für immer, mein lieber Budapest.