Sprachbarrieren und das belgische Wetter
Es gibt ihn tatsächlich - den Moment, in dem man einfach zu sprechen beginnt.
Auch kurz nach zwölf hängt der Nebel noch über Gent, und aus den hohen Fenstern des ICC kann man die Bäume des angrenzenden Parks wenn überhaupt nur schemenhaft ausmachen. Der erste Stock des Gebäudes ist mittelmäßig voll, eigentlich sind hier wohl mehr Studenten aus dem Ausland als Studenten, die ins Ausland wollen, aber der Raum ist trotzdem mit einem stetigen Brummen von Konversationen und mexikanischer Musik aus einem CD-Player irgendwo im dritten Stock gefüllt.
Vom angrenzenden Stand klingt der melodische Ton einer Unterhaltung auf Französisch herüber, und auf der anderen Seite kann sich der einsame Schotte, der Großbritannien vertreten soll, vor Interessenten gar nicht retten, wie es scheint, will jeder ein Jahr in England verbringen. Der Stand der Niederländer hingegen, der Rücken an Rücken mit unserem deutschen Stand steht, ist für die erste Hälfte des Morgens überhaupt nicht besetzt – dann gesellt sich auch von dort fröhliches Geplapper hinzu.
In der halben Stunde, bevor die ersten Gäste eintrudeln, um Fragen über das Leben in unseren Herkunftsländern zu stellen und sich generell über die Möglichkeiten eines Auslandsjahres zu informieren, haben wir uns sprachlich schon völlig verwirrt, und irgendwann lächeln meine Gesprächspartner nur noch verständnisvoll, wenn ich mit meinen deutschen Standkollegen Englisch und mit meiner ungarischen Mitbewohnerin Deutsch spreche. Jetzt, nachdem die ersten Gäste – die nicht mit einem Blick auf die deutschen Papierflaggen weiter in Richtung wärmerer Länder oder auch Skandinavien gewandert sind – auch an unserem Stand hängenbleiben, kommt auch noch Niederländisch zu dem Mix aus Sprachen hinzu. Dass da keine klare Trennung zwischen Niederländisch und Deutsch in meinem Kopf möglich ist, macht es noch schwieriger und gleichzeitig einfacher.
Bis heute hatte ich – von Supermarktbesuchen und der ein-oder anderen Begegnung auf der Straße einmal abgesehen – nicht wirklich Gelegenheit, Niederländisch zu sprechen. Beim Arbeiten ergibt sich eine gewisse Routine, die, wenn auch nicht ganz englisch, doch zumindest so englischlastig ist, dass man sie nicht wirklich als Bereicherung meines niederländischen Wortschatzes betrachten kann, und da von den drei EVSlern in unserem Haus eine Englischkurse statt Niederländischkurse nimmt, ergibt sich auch dort nicht wirklich Gelegenheit, sich an der neuen Sprache zu versuchen. Dementsprechend theoretisch sind meine Sprachkenntnisse, als die erste Interessierte an unserem Stand auftaucht – aber ich versuche es trotzdem.
Wil jij informaties over Duitsland?
Sicher, im Nachhinein gesehen nicht die eleganteste Methode, doch die Frau nickt mit einem Lachen und lässt sich von mir in gebrochenem Niederländisch unsere Broschüre erklären. Danach kommen die Fragen.
Hoe lang leer jij al Nederlands?
Drie maanden, antworte ich, drei Monate lerne ich bereits Niederländisch, und die Frau nickt höflich beeindruckt. Goed, erklärt sie, und zieht mit einem Lächeln von dannen.
Danach geht alles ein bisschen einfacher, die Besucher und das Wechseln zwischen den Sprachen. Kurz muss ich noch ins Spanische wechseln, als ich mich mit den Leuten am Ecuador-Stand unterhalte, und immer wieder Niederländisch – so lange, bis ich nicht einmal mehr Zeit habe, darüber nachzudenken, wie peinlich mir meine mangelnden Sprachkenntnisse und Grammatikfehler doch sind.
Der größte Ansporn, neben dem Verlangen, sich endlich ausprobieren zu wollen in der neuen Sprache, sind wohl auch die anderen EVSler, die sich schon besser verständigen können als ich. Als sich meine Freundin für ein paar Minuten neben mich setzt und fröhlich auf Niederländisch losplappert, muss ich natürlich mithalten. Da interessieren mich auch meine Fehler nicht mehr.
Am Ende des Tages packe ich meine Sachen immer noch lächelnd zusammen, und erzähle jedem, der es wissen will, dass ich heute Unterhaltungen auf Niederländisch geführt habe. Ich kann zwar nicht wirklich sagen, eine Sprachbarriere überwunden zu haben, aber ich versuche es zumindest – und ich, wie mir unsere Praktikantin einige Tage später in gebrochenem Englisch versichert, versuche es gut.