Estland zur Probe
Nach erfolgloser Suche nach einem vernünftigen Reiseführer für Estland, meldete sich svenschka kurzerhand zu einem Workshop in Tallinn, um mehr über Land und Leute zu erfahren. Trotz einiger Widrigkeiten hatte sie insgesamt eine positiv aufregende Zeit und freut sich jetzt umso mehr auf ihren Freiwilligendienst, der im September startet.
Hier ist mein erster Tagebucheintrag! Ich werde wahrscheinlich ab dem 4. September 2005 für sechs Monate meinen Europäischen Freiwilligendienst in einem Jugendzentrum in Jüri, Estland, antreten.
"Warum gerade Estland?" "Wo zum Henker ist Estland?" "Was willst du denn bei den Russen?" Diese mehr oder weniger freundlichen Ausrufe und Vorurteile konnte ich mir in den letzten Monaten zur Genüge anhören.
Ja, aber warum eigentlich Estland? Im Prinzip war das auch nur Zufall. Ich wollte, nach bestandenem Abitur, doch einmal etwas von der Welt sehen und vielleicht auch ein bisschen für die Welt tun. Ein Au Pair kam für mich auf keinen Fall in Frage, ich wollte irgendwie mehr. Also wurde ich nach nur ungefähr 40 Bewerbungen und knapp zwei Monaten intensiver Beschäftigung mit den eigentlichen Bewerbungen auch in Estland angenommen – für den Europäischen Freiwilligendienst. Auch die Anträge der Nationalagenturen wurden genehmigt und nun stehe ich hier: Knappe zwei Wochen noch, dann bin ich weg.
Weg. Und doch da, nur eben ein paar hundert Kilometer weiter ;-).
Estland? Ich bin sehr zufrieden mit diesem Land. In Deutschland hört man natürlich nicht viel von den drei neuen baltischen Mitgliedstaaten der EU. Gerade das reizt mich auch - ist es nicht genau das, was ich vermitteln wollte? Die Menschen in Deutschland auch einmal über Andere aufklären?
Zuerst musste ich mich aber selbst aufklären: Auf der Suche nach einem Buch über Estland stolperte ich schon über die ersten Steine: Es wurden höchstens mal Reiseführer für alle baltischen Länder zusammen angeboten - na ja, gut, aber ich wollte doch schließlich ein halbes Jahr nach Estland, nicht nach Lettland und Litauen. Internetseiten sind auch eher knapp bestückt mit Informationen.
Das alles ließ mir keine andere Wahl: Ich bewarb mich für ein Workcamp in Estland, wurde auch angenommen und fuhr am 1. Juli mit dem Schiff von Rostock nach Tallinn, lebte dort vom 2. Juli bis zum 6. Juli in einem Hotel in Kopli, dem verrufensten Tallinner Stadtteil. Ausgebrannte Autos standen auf der Strasse, die Hotelangestellten waren sehr unfreundlich. Mein Start in Estland war nicht gerade rosig. Und da sollte ich also so lange bleiben?
Am 6. Juli trafen sich die Campteilnehmer um 17.20 Uhr am Busbahnhof von Tallinn. Checkout im Hotel war allerdings schon um 12.00 Uhr, und vom Warten hatte ich nach 26 Stunden Schiffsfahrt definitiv genug. Gegen 17.00 Uhr traf ich Carlos und Miguel aus Spanien (Madrid), dann erschienen Jana und Zuzana aus der Slowakei (Bratislava) und Brett aus England, sowie Lisa aus Deutschland (Berlin). Zu spät kam nur unser „Küken“, Jakob aus Dänemark, der den Bus Richtung Kõpu, unserem Camport in Viljandimaa, verpasst hatte.
Lisa und ich waren zuerst geschockt, der Zustand der Toiletten, das ganze Gebäude in dem wir untergebracht waren - es war schrecklich. Der Campleader war gerade einmal 17 Jahre alt, hatte keinen Plan von irgendwas und bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir anfingen zu arbeiten (am nächsten Morgen) wussten wir nicht, was wir eigentlich tun sollten. Wir waren nicht sehr begeistert und hatten schnell die Nase voll.
Das Wichtigste, was ich in meiner Zeit in Estland gelernt habe, ist Gelassenheit. In Deutschland muss eben alles immer irgendwie perfekt sein, in anderen Ländern ist das nicht selbstverständlich. Und so musste ich mich erst einmal an die estnische Gelassenheit gewöhnen. Aber nach zwei Tagen war ich froh, dass die Toilette wenigstens abspülte - was eben nicht immer selbstverständlich war.
Eine kleine Anekdote am Rande: Unsere estnischen Gastgeber wussten seit einem Jahr, das wir kommen, wann wir kommen und was wir zu arbeiten hatten. Trotzdem gab es zum Graben nur zwei Schaufeln für acht Teilnehmer. Es wurde direkt jemand losgeschickt, um sechs weitere Schaufeln zu besorgen, die kamen allerdings auch erst ganz gemächlich drei Tage später.
An sich war die Zeit in Estland wundervoll, wir hatten Glück mit dem Wetter und wir hatten Glück mit unserer Gruppe. Wir waren Kanu fahren, Kiiking (das ist der estnische Nationalsport), besuchten Pärnu und Tartu und hatten viele Barbecues und Begegnungen mit einheimischen Jugendlichen. Wir haben sogar eine Yahoo Group gegründet, weil wir uns wirklich gut verstanden und es einen sehr tränenreichen Abschied gab.
Bis zum 20. Juli war ich im Camp, danach noch bis zum 23. in Tallinn mit Carlos, den ich dann nach Helsinki gebracht habe, weil seine Rückreise von dort weiterging. Ich bin dann einen Tag später von Tallinn aus abgereist, wieder mit dem Schiff, weshalb ich auch erst am 25. Juli in Rostock ankam.
Was klasse war: Carlos und ich lebten in Tallinn in einem Appartement für die Langzeitvoluntäre. So viele Menschen, wie wir da kennengelernt haben: Deutsche, Spanier, Ungarn, Franzosen, Belgier, Griechen... Teilweise haben wir zu elft im Dreizimmerappartement gewohnt. Es war eine schöne und aufregende Zeit, die ich sehr misse.
Wundervoll ist auch, dass ich viele estnische Kontakte geknüpft habe und diese auch pflege, schließlich dauert es nicht mehr lange, bis ich wiederkomme. Außerdem hatte ich in den letzten Tagen die Möglichkeit, mit einigen Langzeitvoluntären (ebenfalls alle EVS) zu sprechen, Erfahrungen auszutauschen und mich irgendwo auch mental auf meinen Dienst vorzubereiten. Katrien aus Belgien werde ich wiedertreffen, denn sie bleibt noch bis Februar in Estland.
Als nächstes geht es am 1. September zu meinem Ausreiseseminar, von wo aus ich zwei oder drei Tage später nach Estland abreisen werde.