Von Algerien nach Deutschland
Herr R und seine Familie sind von Algerien nach Deutschland geflüchtet und versuchen nun hier ein "normales Leben" zu führen. Doch vor allem der ungeklärte Aufenthaltsstatus steht der Familie bei der Integration im Weg.
Der Flüchtlingsstrom aus den arabischen Ländern nach Europa ist ein aktuell sehr präsentes Thema. „Der UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) konstatierte im Sommer 2013, dass die Zahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen weltweit den höchsten Stand seit 1994 erreicht habe.“ „Innerhalb der EU hat die Attraktivität Deutschlands als Zielland 2013 weiter zugenommen.“ (Steffan und Gerhard 2014:1,2)
Trotzdem muss berücksichtigt werden, dass die Schutzquote Deutschlands deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt.
Flüchtlinge werden von Politik und Gesellschaft oft als Migranten die Probleme und Lasten mit sich bringen betrachtet. Während die Flüchtlingszahlen steigen, die Unterbringungsmöglichkeiten knapp werden und über Regelungen diskutiert wird, bleibt die individuelle Migrationsgeschichte einzelner Flüchtlinge oft unberücksichtigt.
Ich habe mich mit Herrn R über seine Migrationsgeschichte unterhalten, der vor 4 Jahren mit seiner Frau und seinen drei Söhnen aus Algerien nach Deutschland migriert ist.
In Deutschland hat die Familie noch einen vierten Sohn bekommen. Die Kinder sind nun 3, 5, 7 und 11 Jahre alt. Noch immer hat nur Frau R eine Asylberechtigung. Vater und Söhne bewegen sich auf dem Status der Duldung in Deutschland.
Insgesamt ist Herr R mit der Situation hier in Deutschland zufrieden, sagt er. In Algerien war er mit der Regierungssituation und vor allem mit seiner Arbeitssituation unzufrieden. In Deutschland erhoffte er sich neben mehr Gerechtigkeit, eine Zukunft für seine Kinder, einen Arbeitsplatz und auch Hilfe für seine Frau, die in Algerien unter einem Trauma litt. Vor der Flucht hatte Herr R Informationen über die Situation von Flüchtlingen in Deutschland eingeholt und auf Grund dessen den Wusch entwickelt speziell nach Deutschland zu migrieren. Hier versprach er sich viele Möglichkeiten für sich, seine Kinder seine traumatisierte Frau.
Die Familie hat die Flucht lange geplant und den ersten Versuch schon 2001 gestartet. Für die Flucht musste die Familie in Algerien alles aufgeben und verkaufen. Als großes Problem benennt Herr R, dass es sehr teuer sei, überhaupt nach Europa zu gelangen. Auch mussten Sie Rückschläge einstecken. Herr R wurde in Marokko festgenommen und mit seiner Frau anschließend zurück nach Algerien geschickt. Ohne Papiere gelang der Familie 2011 die Schiffsreise nach Frankreich und anschließend die Busreise nach Deutschland. Vorerst kam die Familie für 47 Tage in der Flüchtlingsunterkunft in Karlsruhe unter, von der aus sie dann weiter nach Stuttgart in ein Flüchtlingsheim der Caritas geleitet wurden.
Die größte Schwierigkeit nach der Ankunft in Stuttgart war für die Familie die Wohnsituation. Zuerst lebten sie in einer Flüchtlingsunterkunft zusammen mit einer anderen Familie. Es gab nur sehr wenig Platz aber selbst jetzt, wo sie eine eigene Wohnung in Stuttgart Mitte haben, ist der Platz vor allem für die vier Kinder zu klein. Sie können sich in dem kleinen Zimmer und dem Mehrfamilienhaus nicht entfalten und müssen leise sein um die Nachbarn nicht zu verärgern. Für Frau R sind die vielen Treppen ein Problem bei Haushaltsaufgaben.
Vor allem das Angebot an Sprachkursen war für Herrn R ohne bewilligten Asylantrag, nicht ausreichend. Er bekam nur einen Basiskurs über wenige Stunden. Anders seine Frau. Sie hatte regelmäßig über lange Zeit Deutschunterricht. Eine weitere Belastung stellt die Ungewissheit über den Aufenthaltsstatus von Herrn R und seinen Söhnen dar. Die Behördengänge nehmen viel Zeit in Anspruch und es gibt keine Gewissheit, wann die ganze Familie deutsche Pässe haben wird. Von dem Aufenthaltsstatus hängt auch die Arbeitssituation der Familie ab. Herr R betont, dass die Familie vom Bundesamt genügend Geld zum Leben habe, er sich aber wünsche endlich selbst sein Geld zu verdienen und nicht mehr auf Hilfen angewiesen zu sein. Auch ist es von der Entscheidung des Bundesamtes abhängig, ob er nun einen einfachen Putz-job annehmen dürfe oder nicht.
Herr R erklärte mir, dass er und seine Familie sich an die deutsche Kultur anpassen wollen und auch gerne nach den Regeln hier in Deutschland leben möchten. Die Familie lebt den muslimischen Glauben, erlaubt den Kindern aber Einblicke in den christlichen Glauben.
Besonders lobte Herr R die Unterstützung der zuständigen Sozialarbeiterin. Sie hat ihnen unter anderem bei der Wohnungssuche und vielen bürokratischen Angelegenheiten geholfen. Der regelmäßige Kontakt zu der Sozialarbeiterin hilft der Familie immer noch sehr. Auch hat die Familie Freunde aus Arabien, die ihnen vor allem in der Anfangszeit halfen und nun entwickelten sich auch Freundschaften zu deutschen Mitbürgern.
Als größten Wunsch nennt Herr R, dass er bald einer geregelten Arbeit nachgehen kann, unabhängig sein kann und bald ein familiengerechtes Haus für die Familie kaufen kann. Herr R möchte mit seiner Familie in Deutschland ein normales Leben führen können. Dafür sind jedoch erst die Asylbewilligungen aller Familienmitglieder nötig.
Der Status der Duldung steht der Familie bei der optimalen Integration in Deutschland im Weg. Die Familie bleibt vom Staat abhängig und kann so kein „normales Leben“ in Deutschland zu führen.
Wie auch Herr R und seine Söhne, haben viele Flüchtlinge in Deutschland keine Asylberechtigung sondern lediglich die Duldung, die sie vor der Ausreise bewahrt.
„Die verhältnismäßig geringe Zahl von Abschiebungen ist damit zu erklären, dass viele ausreisepflichtige Ausländer im Besitz einer Duldung sind. Duldungsgründe sind häufig das Fehlen von gültigen Identitätspapieren, sowie gesundheitliche oder familiäre Gründe. In Deutschland stellt lt. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Zahl der Erstantragsteller des Jahres 2013 mit insgesamt 109.580 Erstanträgen und einem „erheblichen Zuwachs“ um 69,8 % (im Vergleich zum Vorjahr) den höchsten Wert seit dem Jahr 1996 dar.“(Steffan und Gerhard 2014)
Der Landeshauptstadt Stuttgart wurden im Jahr 2013 vom Land Baden-Württemberg 761 Flüchtlinge zugewiesen. (Steffan und Gerhard 2014)
Flüchtlinge sind in Deutschland von nahezu allen Maßnahmen der Sprachförderung des Bundes ausgeschlossen. Beispielsweise können sie aufgrund von fehlendem gesicherten Aufenthaltsstatus nicht oder nur eingeschränkt an Integrationskursen oder an berufsorientierten ESF-BAMF-Kursen teilnehmen.(Steffan und Gerhard 2014)
„Von den afrikanischen Staaten zählten in den Jahren 1986 bis 1996 Algerien, Ghana, Nigeria, Togo und die Demokratische Republik Kongo (ehemals Zaire) mindestens je einmal zu den Hauptherkunftsländern, seit 1997 trifft dies noch auf Algerien und Nigeria zu.“ (BAMF 2014a)
Im Jahr 2011 wurde in Deutschland über 515 Asylanträge algerischer Staatsangehöriger entschieden. Damals erhielt keine Person eine Anerkennung als Asylberechtigte/er. Drei Personen erhielten Flüchtlingsschutz und für zwei wurde ein Abschiebungsverbot festgestellt. Die Gesamtschutzquote lag damit bei nur 1 %. (BAMF 2014a)
Die Hauptreligion in Algerien ist der Islam. Aktuell gibt es in Deutschland und anderen Ländern Europas viele negative Meinungen zum Islam und so auch zu muslimischen Migranten. Oft wird die muslimische Religion mit dem islamischen Fundamentalismus gleichgesetzt, der aktuell zu Krieg, Unterdeckung und Terrorismus führt.
Laut dem BAMF leben jedoch über 4,3 Mio. Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. „Muslime stellen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland die drittgrößte Glaubensgemeinschaft dar.“ (BAMF 2014b)
Die arabischen Länder Marokko, Tunesien, Algerien, Libyen, Ägypten und Syrien befinden sich seit 2010/2011 in einer Phase des Umbruchs. 2011 kam es zu vielen Protesten und Massendemonstrationen, gegen die autoritär geführten Regime und die politischen und sozialen Strukturen. Viele der Hoffnungen auf mehr Freiheit, Demokratie und soziale Teilhabe blieben bis heute unerfüllt. Diese Unruhen ließen auch Algerien nicht unberührt.
Zwar sind in Algerien nicht Zustände wie in Tunesien oder Ägypten zu erwarten aber verbreitete Korruption, ungerechte Verteilung der Einnahmen aus Erdöl- und Erdgasverkäufen, mangelnde Infrastruktur und die hohe Arbeitslosigkeit gut ausgebildeter junger Menschen bedrücken die das Leben der Menschen in Algerien. Auch sind Traumatisierungen des Bürgerkriegs von 1991 – 1997 noch in der Bevölkerung spürbar. Diese Vergangenheit sei, laut dem BAMF, „der Grund, warum die Menschen sich nicht landesweit massenhaft an Protesten beteiligten, wie dies in den Nachbarstaaten zum Teil der Fall war.“ (BAMF 2012) Ein weiterer Grund könnte sein, dass islamistische Terroristen der Organisation al-Qaida im Lande aktiv sind. 2011 wurden viele Demonstrationen durch Polizeigewalt stark beschränkt oder gar aufgelöst. Proteste in neuerer Zeit erfolgen nicht auf Grund von Forderungen nach mehr Demokratie, sondern richten sich gegen die Arbeitslosigkeit, die allgemein schlechte soziale Lage sowie den Mangel an Wohnungen. Bei Protesten kam es immer wieder zu Festnahmen.
Auch wurde ein neues Mediengesetz erlassen, nachdem bestimmte Themen zensiert werden müssen. Betroffen sind Themen, die Algeriens nationale Identität, Souveränität, Sicherheit und wirtschaftlichen Interessen schaden könnten. Hierfür drohen Strafen bis zu 3.000 € und bei Nichtzahlung Haft. Bei Menschenrechtsorganisationen stößt diese Regelung auf auf starke Kritik.(BAMF 2012)
„Das BAMF schätzt die Lage in Algerien nicht vergleichbar bedrohlich mit der in Tunesien oder Libyen ein. Die Lage sei durch soziale Ungleichheiten und Arbeitslosigkeit geprägt jedoch seien Bemühungen zur Verbesserung der Lage von Seiten der Regierung zu verzeichnen.“(BAMF 2012)
Menschen wie Herr R und seine Familie sollten dieselben Möglichkeiten haben wie wir. Wenn sie diese in ihrem eigenen Land nicht haben und sie bereit sind ihr altes Leben aufzugeben und eine ungewisse Flucht anzutreten, sollten wir ihnen hier in Deutschland nicht zusätzlich Steine in den Weg legen. Das wichtigste ist, dass wir die Menschen willkommen heißen. Ich hoffe aber, dass vor allem die Politik bald auch Maßnahmen ändert und Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißt.
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