Späte Gewohnheiten
Kaum eine Woche in Brigdwater an der Westküste Englands vor Ort, wirft sich jora bereits in sportliche Ausverkäufe und abenteuerlich angehauchte Fußmärsche. Auf seiner ersten Party dort zeigt er, dass er bereits eine britische Tugend verinnerlicht hat und benimmt sich wie ein wahrer Gentleman.
Spätes Aufstehen wird mittlerweile zur Gewohnheit. Die meisten Arbeitstage beginnen erst um 14.00 Uhr und da ich heute sogar frei habe, kann ich mich einfach nicht aufraffen, vor halb zwölf das Bett zu verlassen. Nach ebenso langsamem Duschen, Anziehen und Frühstücken/Mittagessen kann ich meine Supervisorin glücklicherweise abfangen, damit sie mich nach Taunton, der nächst größeren Stadt, mitnehmen kann. Denn hier in Bridgwater scheint es trotz 2 größerer Sportgeschäfte unmöglich zu sein, Trikots für Torhüter zu kaufen.
In Taunton angekommen finde ich direkt einen „Store“ mit Schlussverkauf auf zwei Etagen. Da die Verkäufer jedoch bis auf einen sehr freundlichen Mann in der Schuhabteilung (wenn man davon in einem Geschäft, in dem alles ineinander überzugehen und sich zu überschneiden scheint, sprechen kann…) zu beschäftigt sind, um im Lager nach Trikots zu schauen und im Laden offensichtlich nur noch Torwarthosen zu kaufen sind, mache ich mich nur mit um 50% reduzierten Fußballschuhen, neuen, extrem günstigen Schienbeinschonern, einem nahezu kostenlosen Fußball (etwa zwei Pfund) und einem roten, synthetischem Energiedrink auf den Weg zur Kasse.
Trotz direkter Busverbindung gestaltet sich der Rückweg nach Bridgwater dann jedoch etwas schwierig. Nachdem ich meinen ersten Bus verpasse, weil ich in das Informationsgebäude laufe, um mir einen Fahrplan zu besorgen, ist der nächste Bus zwar pünktlich, doch kurz vor meinem Ziel entscheide ich mich dafür, einige Haltestellen eher auszusteigen, um meine neue Umgebung besser kennen zulernen.
An sich sicher keine schlechte Idee, doch leider ist mir vor dem Verlassen des Busses nicht aufgefallen, dass wir Brigdwater noch gar nicht erreicht haben. So merke ich nach etwa 30minütiger Suche nach vertrauten Plätzen, dass ich mich in einem kleinen Dorf außerhalb befinde. Also mache ich mich auf den Weg ins immerhin noch sechs Kilometer entfernte Bridgwater.
Nachdem ich nach vier Kilometern jede Lust am Laufen verloren habe und meinen Muskelkater vom ersten Fußballtraining in Großbritannien verstärkt spüre, versuche ich mich (erstmals in meinem Leben) als Anhalter. Zu meiner eigenen Überraschung hält bereits das vierte Auto an und eine sehr sympathische, junge, Haschisch rauchende Fahrerin erspart mir die letzten Kilometer Fußmarsch.
Wenn ich mich das nächste Mal langweile, werde ich wohl wieder per Anhalter fahren…
Abends steht dann meine erste Party in England auf dem Programm. Meine Kollegin, Mitbewohnerin und Mitfreiwillige D. ist zu einem Geburtstag eingeladen und nachdem sie etwa 20 Mal die Sim-Karte ihres Handys gewechselt hat, um SMS verschicken zu können, geht es endlich los. Zuerst zu einem Kollegen, den wir abholen und der uns Bier (Foster’s – australisches, kein englisches Bier) spendiert. Später in eine gemütliche Kneipe in der Nähe der Docks.
Allerdings zeigt sich schnell erstmals der wohl einzige bemerkenswerte Nachteil meines Projekts. Da sich S., eines der Mädchen in unserer Einrichtung, keine Einverständniserklärung besorgt hat, um über Nacht wegbleiben zu dürfen, soll einer der beiden Freiwilligen um 22.00 Uhr zurück am Haus sein. Auch unser Manager, der ebenfalls auf der Party ist, kann unseren Wunsch, zu trinken und zu feiern, statt zu Hause auf ein Mädchen zu warten, das mit 100%iger Wahrscheinlichkeit die Nacht auch ohne Erlaubnis irgendwo in Bridgwater verbringen wird, sehr gut nachvollziehen.
Doch er ist leider heute Nacht nicht der Verantwortliche und deshalb legt die Schichtleiterin um 22.00 Uhr endgültig fest, dass entweder Delaine oder ich zurückkommen müssen. Zwar ist Delaine schon zur Gastgeberin gegangen, um sich zu verabschieden, doch sobald sie zurückkommt, biete ich ihr an, für sie die Nachtschicht zu übernehmen. Denn es ist ihre Einladung. Es ist der Geburtstag ihrer Freundin. Es ist zwar auch ihre Schicht. Aber das ist schließlich nicht so wichtig.