Zaprasamy do radia!
Vor meinem EFD in Olsztyn tauche ich noch ein bisschen ins normale polnische Leben ein - nach drei Jahren bin ich wieder Łódź, wo ich nach dem damaligen Schüleraustausch wieder freudig begrüßt wurde.
Eigentlich sollte dieser erste Eintrag noch zu Hause entstehen, aber das Koffer Ein- und Umpacken hat mir doch wenig Zeit gelassen, um über die eigentlichen neun Monate meines EFDs nachzudenken. Immerhin ließ sich das Gepäck nach einigem Aussortieren gut tragen. Auf der gesamten Strecke wurde mir auch nur einmal beim Einsteigen in den Zug geholfen und zwar von zwei alten Damen (!) in Kutno. Polnische Regionalzüge haben sehr steile und sehr viele Stufen, also haben wir jeweils gegenseitig mitangefasst. Als ich dann Steffen Möllers „Expedition zu den Polen“ hervorholte, erwies sich, dass er immer noch sehr bekannt bei älteren Damen ist (für seine Rolle in der Soap Opera „M jak Miłość – L wie Liebe“). Für die Nachfrage am Bahnhof hatte das Volkshochschulpolnisch gerade noch gereicht, aber für die Erklärung, warum ich mit diesem Buch, voller Polenbegeisterung und einem riesigen Gepäckberg durch die Gegend reise, musste dann eine radebrechende Mischung aus Wörterbuchfetzen, Deutsch und Englisch herhalten.
Bei Monikas Familie funktioniert die Kommunikation glücklicherweise mit normalem Englisch sehr gut. Überhaupt ist es wahnsinnig nett, dass alle gleich auf Englisch umschalten, sobald sie mitkriegen, dass jemand kein Polnisch kann. Über die paar Worte, die ich bisher kann, freuen sie sich trotzdem und sind umso überraschter, wenn ich erkläre, dass ich vorhabe, in den nächsten Monaten wirklich Polnisch zu lernen (mal sehen, wie sich dieser Vorsatz in der Alltagskommunikation umsetzen wird…).
Es ist sehr schön, vor meinem eigentlichen EFD-Projekt noch mal meine ehemalige Austauschschülerin zu besuchen. Nicht nur, dass ich in einem fremden Land erst mal etwas Vertrautes hatte, sondern ich konnte auch etwas vom wirklichen polnischen Alltag mitbekommen. Obwohl ich so ungewöhnliche Sachen erlebt habe, dass man sie kaum als Alltag bezeichnen kann!
Nachdem ich am Dienstag, dem 27. August den ganzen Tag mit dem Zug unterwegs war, gab es nur einen entspannten Abend mit der Familie. Zum Übernachten habe ich wieder das riesige Musikzimmer unterm Dach bekommen. Ich kann also noch richtig Luxus genießen, bevor es in eine eigene kleine Wohnung weitergeht.
Am Mittwoch habe ich Monika zu ihrem letzten Arbeitstag im Studentenradio begleitet, denn auch sie verlässt ihr Zuhause sehr kurzfristig für sechs Monate Richtung Budapest. Dem Sender ZAK 88,8 stehen ein paar Räume in einem Studentenwohnheim in Łódź zur Verfügung. Übrigens ein kleiner Hinweis zur Aussprache dieses seltsam aussehenden Namens: Im Filmmuseum gab es eine süße Erklärung im Vergleich zu einer anderen Filmstadt (Roman Polanski hat übrigens an der hiesigen Filmhochschule studiert): Hollywoodsch. Dieser kleine Städtename, der übrigens einfach nur Boot bedeutet, malträtiert einen nämlich schon mit zahlreichen Sonderzeichen des polnischen Alphabets. Das durchgestrichene L wird wie ein W (z.B. in Whiskey) ausgesprochen; sobald das o einen Akzent trägt, ist es eigentlich ein U und das Z gehört zu den unübersichtlichen Zischlauten, die ich hoffentlich mal unterscheiden kann – ergibt zusammen: Wuutsch.
Bei ZAK stellen sie jedenfalls gerade ungewöhnliche Haustiere vor, dazu bringt der Interviewpartner seiner Lieblinge mit – diesmal …. Schlangen und Eidechsen! Allein die Tierhalterin wäre mit ihrem reptilienhaften Aussehen Attraktion genug: Neben den zahlreichen Piercings rund um den Mund und dem auffälligen Make-up fielen mir sofort ihre Haare auf. Ein Teil stand recht kurz geschnitten wirr vom Kopf ab, den Rest trug sich als geflochtenen Zopf, der sogar noch als Rastalocken bis auf den Boden reichte – und das alles in lila, pink und rosa. Dekolleté und Hals wurden von einem Schlangenhalswirbeltatoo verziert. Ihre Gothickleidung war da recht unspektakulär, aber beim Lachen kamen noch ein paar spitzgeschliffene Eckzähne zum Vorschein. Während sie live im Aufnahmeraum von ihren Tierchen erzählte, führte ihr Begleiter sie uns im Technikraum nebenan vor. In Plastikboxen stapelten sich dort niedliche Echsen und ein paar kleine Schlangen. Sehr lebhaft war die Albinopython, die sich mit ihren anderthalb Metern über die Sessel wandt. Darf man die eigentlich einfach in einem Stoffbeutel durch die Gegend tragen? Doch so ein Anblick war auch für die ganzen freiwilligen Mitarbeiter, die immer wieder reinschauten, recht ungewöhnlich. Danach durfte ich noch an einer Sitzung der Musikredaktion teilnehmen und ganz selbstverständlich über die Musikauswahl der nächsten Woche mitabstimmen, allerdings war nicht so viel nach meinem Geschmack dabei.
Am Donnerstag wollte Monika eigentlich nur einer Bekannten einen Gefallen tun und eine Probe in einem Veranstaltungszentrum fotografieren. Das stellte sich dann als Technikprobe der Band um den berühmten Saxophonisten Jan Wróblewsk heraus. Deshalb waren auch einige Pressefotografen da, die hektisch vor der Bühne hin –und herliefen, um seine Anweisungen aus dem bestmöglichen Winkel festzuhalten. Ihn hat das überhaupt nicht gestört; er trug eine alte Trainingsjacke und wandte sich immer wieder zu den anderen Musikern für kleinere Besprechungen um. Schließlich löste ein weiterer Herr ein wahres Papparrazzi-Geklicke aus. Andrzej Seweryn sollte die Gruppe mit einer Art Sprechgesang begleiten. Der Schauspieler ist in Polen und durch seine Theaterarbeit inzwischen auch in Frankreich sehr bekannt, entsprechend spürte man auch eine gewisse Bühnenpräsenz, die er artig zum Posieren für die Kameras einsetze. Allerdings wirkte er auch deutlich gestresster als Wróblewski, der doch schon recht gebrechlich erschien. Ich werde mich wohl durch Seweryns Filmographie arbeiten, falls ich noch mal im gleichen Probenraum wie er sitzen sollte ;-)
Am Abend ging das musikalische Sonderprogramm mit zwei Konzerten weiter. Monikas Familie war zu einem Hauskonzert bei einer Bekannten eingeladen. Sie hatte ein Musikerquartett eingeladen, während ihrer ersten Tour durch Polen eine kleine Privatvorführung zugeben. Das gutbürgerliche Wohnzimmer war dann also neben Bücherschränken und Antiquitäten auch mit knapp zwanzig Zuhörern auf der einen Seiten und den vier jungen Musikern auf der anderen Seite vollgestopft. Die Barock- und Renaissancestücke wurden von der polnischen Fagottspielerin angekündigt (Monika musste also fast simultan übersetzen), da der Rest der französisch-schweizerischen Gruppe kein Polnisch spricht. Fast zwei Stunden lang konnte ich aus der ersten Reihe sehr glückliche Musiker an Fagott, Altflöten, Geige und Teorba beobachten. Diesem 14-saitigen Zupfinstrument haben schon die französischen Ludwige zum Einschlafen gelauscht. Danach blieben nur ein paar Minuten für französische Lobesworte an die Musiker, weil es zum Open-Air-Konzert der jiddischen Gruppe „Alte Zachen“ weiterging. Monika hatte ihre Freunde vom Radio und aus Schulzeiten gebeten, dort zum Abschied vorbeizukommen. Abgesehen von einer größeren Kälteresistenz (mein gebibbertes, subjektives Urteil) unterschied sich das Publikum nicht von ähnlichen Alternativ-Veranstaltungen in Deutschland. Eine Unterhaltung war aufgrund der Lautstärke eh nur ins Ohr des Nachbarn möglich, so dass sich Monikas Freunde untereinander auf Polnisch anschreien konnten oder sich mir gleich interessiert auf Englisch zuwandten. Das Konzert dauerte nur etwas mehr als eine Stunde, aber da auch der LKW-Verkehr durch die Stadt geleitet wird, dauert der Weg in die Vororte immer entsprechend lange.
Heute abend kommen noch ein paar Freunde der Familie vorbei, um Monika zu verabschieden und am Sonntag brechen wir dann nach Norden und nach Süden auf. Dann folgt auch bald der erste Bericht aus Olsztyn!