Indian Summer (Halt! Doch nicht! Oder doch?)
Die kleinen Besonderheiten einer Zugfahrt auf dem Balkan, Wanderlust und die Frage, ob jeder eine Statue seiner selbst haben sollte.
Ich dachte ja schon, der Sommer in Vranje sei endgültig Vergangenheit. Aber jetzt zweifle ich, dass hier überhaupt noch mal so etwas wie Winter Einzug halten soll. Muss auch nicht. Meine Winterjacke liegt in Dresden. Es ist warm! Ein wunderbares warm! Nicht zu viel, nicht zu wenig. Die Bäume sträuben sich noch, ihre leuchtenden Herbstfarben anzunehmen, aber man kann sie schon erahnen.
[Nachtrag: Während des Verfassens dieses Artikels änderte sich das Wetter mehrere Male. Vor zwei Tagen lief man im Nikki in die Stadt. Heute hat es dann geschneit.]
Da in meiner Organisation gerade nicht viel passiert, muss ich mich größenteils anderweitig beschäftigen und bin froh über jede Möglichkeit, die Stadt mal zu verlassen. Also ging es nach Skopje, wenn auch nur für einen hektischen Tagesausflug, um Sanjas Freund aus Manchester dort abzuholen. Das erste, was ich vom Zentrum sah, ließ meinen Atem stocken. Ich war geblendet von den nagelneuen, weißen Fassaden und den riesigen Säulen, die einen darüber nachdenken ließen, ob man sich denn überhaupt in Mazedonien befindet und nicht in Rom. Alles natürlich auf dem ersten Blick als unauthentisch entlarvt. Und was gab es da denn bitte an Statuen? Ich meine, wie viele Statuen kann denn eine Stadt überhaupt ertragen? Man flaniert und entdeckt hinter jeder Ecke mindestens zehn weitere Abbilder von irgendwelchen wichtigen Leuten. Alle stehen sie in der Stadt herum (und ich verwende hier mit Absicht das Wort „herum“, da ich mir nicht erklären kann, welchen Nutzen sie alle haben), viele von ihnen auf Brücken, andere wild im Zentrum verteilt. Dabei ist jede von ihnen unterschiedlich groß. Ich meine, hat denn hier jeder Einwohner das Recht, nach seinem Ableben als Statue verewigt zu werden? Will vielleicht jemand eines Tages auch täglich an meinem Abbild vorbeigehen müssen? Das ist an sich schon alles ziemlich surreal. Der Gipfel jedoch ist ein übergroßer, auf einem Brunnen stehender (bzw. reitender) „Alexander, der Große“, beobachtet von seinem, die Faust in die Höhe streckenden übergroßen Vater auf der anderen Seite des Flussufers. Was für ein Theater. Die Sonne brannte, es blendete, irgendwas fietschte ganz unangenehm und neben mir befand sich eine nervöse Sanja, die unaufhörlich nach WLAN suchte, um ihren Freund zu erreichen, der wohl irgendwo anders in der Stadt herumirrte. Viele nervöse Minuten und einen starken Espresso später war klar, dass sich Scotty immer noch am Bahnhof aufhielt, um auf uns zu warten. Viel Zeit war verschwendet, aber letztendlich landeten wir zusammen im zauberhaften Çarshia e Vjetër, dem albanischen Viertel von Skopje, in welchem die Zeit irgendwann mal stehen geblieben ist. Da saßen wir nun in einer der kleinen Pflastersteingassen und genossen Tee, Baklava und Kadaif. Sanja brachte unseren internationalen Cocktail noch ganz gut auf den Punkt:
„Macedonian capital
Irish papers
Greek sweets
Turkish tea
German lady drummer
British dear scum bag
Serbian girl waiting for Bulgarian passport
Waiting Agent 007 to join us“
In den kleinen Gässchen lässt es sich ganz gut aushalten und man könnte stundenlang hier sitzen und das Treiben beobachten. Neben den zahlreichen Teestuben bieten viele Handwerker ihre Güter, wie Schmuck oder Teppiche, oder auch Abzeichen und Uniformen aus den Weltkriegen an. Zwischen traditionell albanischer Musik dringt auch ab und zu ein Pophit aus den 90ern durch. Den Sonnenuntergang schauten wir uns von der Festung aus an, wo wir auch deutlich die muslimischen Abendgebete aus den Lautsprechern der Moscheen vernehmen konnten, welche mich unverzüglich in einen orientalischen Gefühlsteppich wickelten. Ein Wahnsinnsblick über die Stadt bietet sich außerdem. Ich komme sicher wieder.
Der eigentliche Grund für Scotty's Besuch war eine Party in Leskovac, für die er als Drum'n'Bass- DJ eingeladen war. Da für mich nun mittlerweile jede Party, auf der kein Turbofolk gespielt wird, einen Reiz darstellt, war ich mit von der Partie und die Zugfahrt dahin sollte einer meiner vorläufigen Höhepunkte in Serbien werden. Raus aus der Realität, rein in den Emir Kusturica- Film. Ja, ich weiß, Emir Kusturica ist nicht das beste Beispiel für authentische Balkanfilme, aber immerhin kennt ihn jeder.
So ungefähr sah das dann aus, mit dem Zug
Im Zug, der im Schneckentempo durchs Morava-Tal bummelte, befanden sich allerhand verrückte Menschen, zu denen wir uns auch zählen konnten. Das Ticket für unsere Sechs-Mann-Gruppe wurde in Form eines 1000 Dinar-Scheins, welcher direkt in die Tasche des Schaffners wanderte, gelöst. Rauchen ist zwar offiziell verboten, aber das interessiert hier keinen. Fenster aufgerissen und serbische Landluft inhaliert. Aus einem anderen Abteil tönten Trompeten. Ein besonders begeisterter, aber betrunkener Fahrgast wollte dabei unbedingt den Ton angeben und dirigierte die jungen Roma. Im Nebenabteil saß ein etwas abgehalfterter älterer Mann, der mir zuzwinkerte und mich offensichtlich versuchte, in sein Abteil einzuladen. Ich musste schmunzeln und fand seine verzweifelten Anmachversuche fast schon charmant. Die Drum'n'Bass-Party, war dagegen eher unspektakulär, aber immerhin eine willkommene musikalische Abwechslung. Es wurde getanzt. Wie offensichtlich auf jeder Undergroundparty in der serbischen Provinz tauchten pünktlich um 12 die gern gesehenen Polizeibeamten auf. Musik aus, Licht an. Ok, die Party ist also schon gelaufen? Trotzdem geht keiner heim? Stattdessen wurden ziemlich willkürlich Personalien von Gästen aufgenommen, um danach wieder die Party zu verlassen. Licht aus, Musik an. Alle feiern weiter. Mir ist die Lust dann leider vergangen.
An einem wunderschönen Herbstsonntag machten wir endlich die lang geplante Wandertour in die Berge. Mit dem Bus ging es sonntags aus dem Tal in die Berge, bevor die Tour in die zauberhaften serbischen Wälder startete. Die bereits bunt gefärbten, riesigen Buchen haben hier ganz besonders schnörkelige Formen. Jeder einzelne von ihnen streckt seine langen Äste von sich, um zum Klettern einzuladen. Jeder Zentimeter dieser Waldlandschaft würde allen Fantasyautoren der Welt genug Inspiration für ihr nächstes Buch bieten. Und Pilze! Die gibt es hier im Überfluss. Da sich meine Pilzkenntnisse schon im heimatlichen Einzugsbereich darauf beschränkten, möglichst nur diejenigen zu sammeln, die einen Schwamm unter ihrem Hut haben, fiel es mir hier besonders schwer, zwischen ess-, ungenießbar und giftig zu unterscheiden. Ich habe das Sammeln meinen Begleitern überlassen, die sich zeitweise komplett in den Pilzfeldern verloren hatten, weshalb wir auch zwischendurch den Weg verpassten und ein bisschen hilflos umherirrten. Durchdrungen wurde die unglaubliche Stille des Waldes lediglich von Jägern, die auf der Suche nach ihrer nächsten Mahlzeit waren. Größte Vorsicht ist geboten, wenn einmal ein weißer Hase vorbei springt. Es sollte dringendst vermieden werden, diesem ins Dickicht zu folgen, sollte es auch noch so verlockend sein. Verlaufen ist hier fast vorprogrammiert und das macht sogar einen gewissen Reiz aus. Für einen kurzen Moment verloren wir die Orientierung. Ein Teil der Gruppe war im Pilzsammelrausch zurück geblieben. Der Rest war schon vorausgegangen. Für einen kleinen Augenblick war ich allein hier. Um mich herum nur Gräser, Bäume, blendende Sonnenstrahlen und komplette Stille. Ein bisschen Angst, ein Schnaufen aus dem Dickicht und die Story war perfekt. Beinahe wünschte ich mir, dass genau in diesem Moment irgendwas passiert, was meine Geschichte zum Leben erwecken könnte. Die Pilze, die durchweg mit Lamellen versehen waren, wurden ganz Lo-Fi abends auf dem Balkon von Srbijslav gegrillt. Dass zwei aus unserer Gruppe diesem Happening keinesfalls beiwohnen wollten, sollte mich erst mal nicht weiter stören. Eher nervös machten mich Srbijslav's besorgte Eltern, bei denen er, und das sei an dieser Stelle nur so nebenbei erwähnt, mit seinen 35 Jahren momentan wohnt. Wir wüssten ja gar nicht, was wir da essen, hieß es. Ich vertraute da aber voll und ganz Nenad, der zur seltenen Spezies der studierten, oder halb studierten Geographen gehörte, die ja bekanntermaßen über umfangreiches, fachübergreifendes Wissen verfügen und sicher einschätzen können, welche Sorte Pilze genießbar sind. Ich ließ mich auf dieses Abenteuer ein und verspürte schon eine kleine Freude, als ich gesund und munter den nächsten Tag begehen konnte.
Nicht so sehr gefreut habe ich mich über einen Besucher, der unbemerkt und wohl schon seit mehreren Tagen meine Gastfreundschaft ausnutzte. Nur kurz hervorgelugt hat er, um zu sehen, wie die Herrin des Hauses wohl aussehen mag, die ihm hier Unterschlupf bietet. Klein, aber unverkennbar mit Merkmalen eines Skorpions ausgestattet, ließ Herr Gast mich sprachlos werden und machte jede Reaktion unmöglich. Das war nun auch das letzte Mal, dass ich ihn zu sehen bekam. Ich nehme an, er hat es mit der Angst bekommen. Denn besonders freundlich sehe ich nicht aus, mit nassen, ungekämmten Haaren. Das Zimmer betrete ich nur noch in Notfällen und meinen Schlafplatz habe ich verlegt. Wie die Geschichte wohl ausgeht und ob ich wieder das Wort Krankenhaus verwenden muss, das erfahrt ihr dann im nächsten Eintrag. Stay tuned!
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