Ich bin eine Ausländerin
Was heißt es eigentlich, ein Ausländer zu sein, sich fremd zu fühlen? Welche Faktoren beeinflussen das, wie gehen Menschen damit um und wie verändert sich dieses Gefühl im Laufe eines Auslandsaufenthaltes?
Was heißt es eigentlich, ein Ausländer zu sein?
Wir kennen das Gefühl aus dem Urlaub. Da sind wir für kurze Zeit Ausländer. Wir genießen das Urlaubsland, sind begeistert von der Lebensweise, der Leichtigkeit, der Lockerheit. Ja, ein paar Verständigungsschwierigkeiten gibt es, aber das gehört ja auch zu dieser ganzen Atmosphäre des Urlaubs und der Fremdheit dazu. Bald sind wir ja wieder zu Hause, im grauen Alltag, und da gibt es dann jede Menge zu erzählen.
Was ist aber, wenn wir für längere Zeit in einem fremden Land leben werden? Wenn dieses fremde Land für die nächsten Monate unser Zuhause ist, wenn wir hier leben und arbeiten, unseren Alltag gestalten, einkaufen, kochen, leben und lachen, weinen – kurzum, wenn dieses andere Land nun zum Lebensmittelpunkt, aber auch zum Lebenshintergrund der nächsten Zeit wird?
Am Anfang dominiert die Urlaubsstimmung. Wir entdecken neue Produkte im Supermarkt, wir sind fasziniert von der anderen Kultur, saugen alles Neue in uns auf. Alles ist neu, alles ist toll!
Irgendwann merken wir, dass nicht alles ganz so rosig ist, wie es scheint. Die Spontaneität, die wir anfangs noch so erfrischend anders als daheim fanden, ist jetzt nervig, denn wir müssen damit im Alltag klarkommen. Wir erkennen, dass das eigene Land doch nicht so schlecht ist, dass es eben die Heimat ist, wo alles vertraut ist, wo man weiß, wie die Leute denken und fühlen, wo man nichts erklären muss.
Jetzt suchen einige von uns gezielt den Kontakt zu anderen Ausländern, die es ebenfalls in dieses Land verschlagen hat. Hier werden wir verstanden, hier müssen wir nichts oder nur wenig erklären. Wir haben dieselben Probleme und Schwierigkeiten, wir können uns einmal über das Gastland beschweren – und dann doch zusammen bei einem Glas Lieblingswein zur Lieblingsmusik des Gastlandes melancholisch seinen Gedanken nachhängen, was wird, wenn wir wieder zurückfahren.
Doch diese Gesellschaft ist stets im Wandel, lebt von Neuankömmlingen und Wegfahrenden, von Abschiedspartys und einem Austausch von Tipps und Hinweisen. Unbeständig, veränderlich ist sie, und genau das ist ihre Stabilität. Gleichzeitig grenzt sie sich per se von der Gesellschaft des Gastlandes ab, denn es dominieren andere Themen, die zwar mit dem Gastland zu tun haben, aber von ganz anderen Problemen geprägt sind als sie die Einheimischen haben.
Einige von uns bleiben da, es ist bequem, ein Stück Heimat im Ausland, man verbindet beide Gefühle miteinander. Wir haben uns eingerichtet, wir sind angekommen, aber doch noch weit entfernt davon, wirklich angekommen zu sein.
Doch anderen von uns reicht das nicht. Andere von uns erkennen die Begrenztheit dieser Gemeinschaft, wollen wirklich ankommen im Gastland. Diese müssen – wie es in Deutschland so schön diskutiert wird – eine richtige Integrationsleistung vollbringen. Und das ist harte Arbeit. Wir setzen uns mit dem Gastland auseinander, wir beginnen, es zu akzeptieren, so, wie es ist.
Wir akzeptieren schließlich, dass wir Ausländer sind, wir gehen offener mit unseren mangelnden Sprachkenntnissen um, uns stört es nicht mehr, wenn wir gefragt werden, woher wir kommen. Denn ja, wir wollen nicht immer gefragt werden, woher wir kommen, wir denken, dass wir schon lang genug in diesem Land sind, wir möchten nicht immer damit konfrontiert werden, anders zu sein und erkennbar nicht ganz dazuzugehören.
Die Integrationsleistung besteht jedoch darin, dass wir uns akzeptieren – uns selbst und unseren Status. Wir können nichts daran ändern, auch wenn wir tausend Sprachkurse besuchen, wir werden immer einen Fehler machen, werden immer einen Akzent haben. Wir können uns so kleiden wie die Einheimischen, aber wir haben eine andere Ausstrahlung, wir können unsere Gesichtszüge nicht ändern. Und das ist in Ordnung so. Denn es wird auch immer etwas übrig bleiben, was für uns fremd ist.
Wir akzeptieren es und merken: Ja, wir sind angekommen. Was für ein schönes Gefühl!
Und dann… neigt sich unser Aufenthalt dem Ende zu. Wir wussten es von Anfang an. Trotzdem: Jetzt geht es wieder zurück, jetzt, da wir gerade angekommen sind? Können wir nicht noch ein klein wenig länger bleiben, noch ein bisschen dieses Gefühl des Angekommenseins auskosten?
Denn was erwartet uns zu Hause? Klar, Freunde und Familie, das gibt Halt. Aber sonst? Wie geht es weiter? Verdammt, wir dachten immer, das ist unsere Heimat, so ein stabiler, unveränderlicher Faktor. Doch wir haben uns verändert, und in der Zeit unserer Abwesenheit hat sich unser Land auch verändert. Dinge sind passiert, aber wir waren nicht da, wir haben uns nur aus der Ferne damit auseinandergesetzt, während wir mit ganz anderen Dingen beschäftigt waren. Und wir werden jetzt auch alles mit etwas anderen Augen betrachten. Wenn die Menschen in unserem Heimatland sich mal wieder über irgendetwas Belangloses aufregen, werden wir wissen, dass es in unserem Gastland ein immerwährendes Problem war, dass man eigentlich froh sein sollte, dass es so ein kleines belangloses Problemchen ist.
Es ist vielleicht nicht das Land an sich, es sind die Leute. Wir werden wieder eine Integrationsleistung vollbringen müssen, nicht so groß, nicht so schwierig wie im Gastland, denn wir kennen ja die Kultur das Land, die Mentalität, die Menschen. Es ist uns alles so vertraut, so bekannt, aber gerade deshalb wird es so schwer. Denn wir sind uns nicht bewusst, dass wir uns in etwas Vertrautes doch wieder einleben müssen. Das trifft viele von uns ganz unerwartet.
Doch auch das werden wir meistern. Wenn wir uns in eine fremde Kultur eingelebt haben, dann wird uns auch das hier gelingen. Alles fließt. Das Leben besteht aus Veränderung.