Christiania - Kopenhagens Mülleimer?
Christiania, 1971 gegründet, ist auch heute noch ein Ziel für Aussteiger, Alternative und Anarchisten. Aber was hat es mit der Freistadt im Herzen Kopenhagens eigentlich auf sich?
Ecke Prinsessegade/Refshalevej, Kopenhagen, 1971. Eine Gruppe junger Leute durchbricht mit einem Rammbock die Zaunplanken, die einige alte Militärgebäude vom Rest der Stadt trennen. In diesem Moment machen sie den Weg frei für eine alternative Gesellschaft, ja für einen neuen Staat im Staat: "Fristaden Christiania".
Schnell spricht sich herum, dass es im Herzen Kopenhagens kostenlose Wohnmöglichkeiten in verlassenen Kasernen gibt. Aber das ist es nicht, was den Ort zum Magneten für Hippies, Künstler, Obdachlose und Studenten macht. Christianias Anziehungskraft liegt in der Philosophie seiner Einwohner: Das Leben und den Besitz zu teilen und alle Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Hier soll es eine Chance für alle geben, die vom Rest der Gesellschaft bereits aufgegeben worden sind.
Die Christianitter leben nach ihren eigenen Gesetzen. Erst seit der Legalisierung Christianias 1989 bezahlen die Einwohner Steuern, Wasser und Strom. Dabei gilt das Prinzip des gemeinsamen Wirtschaftens: Alle Erwachsenen bezahlen 1300 Kronen monatlich in eine Gemeinschaftskasse, die sowohl Abgaben an den Staat, als auch die eigenen Institutionen finanziert. Das ermöglicht eigene Kindergärten, ein eigenes Postsystem und sogar eine eigene Währung, den 'lön' (Lohn).
Alle Beschlüsse werden nach dem Prinzip der direkten Demokratie getroffen: Es wird nicht nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt, sondern alle Anwesenden müssen mit der Entscheidung einverstanden sein. Eine Generalversammlung kann dementsprechend sehr lange dauern, oft müssen Themen auch aufgeschoben und wiederholt werden.
Von sich selbst behaupten die Christianitter, 'Kopenhagens Mülleimer' zu sein. Mittlerweile greifen die Politiker das Bild eines Sammelbeckens für die so genannten sozialen Verlierer auf und sind froh über die Funktion Christianias als soziales Ventil. Das war allerdings nicht immer so.
Besonders der offene Haschisch-Handel in der 'Pusherstreet' war oft genug Anlass für Schließungs-Drohungen und Razzien. Seit 1992 patrouilliert die Polizei regelmäßig, um den illegalen Drogenverkauf einzudämmen. Darüber hinaus hatten die Christianitter mit Gewalt auf ihren Straßen zu kämpfen, sowohl durch Rockerbanden, als auch durch Junkies aus den eigenen Reihen.
Heute ist Christiania neben dem Tivoli und der kleinen Meerjungfrau eine der beliebtesten Touristenattraktionen der Hauptstadt, bis zu eine Million Gäste wollen jedes Jahr sehen, worum es sich beim 'Fristaden Christiania' handelt.
Hippie-Traum? Sozialer Mülleimer? Wer sich vor Ort selbst ein Bild macht, sollte dabei das Grundgesetz Christianias im Hinterkopf haben: "Jeder kann das machen was er will, solange er andere nicht daran hindert das zu tun, was sie machen wollen."
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