Von Streit, Süssigkeiten und dem Krankenhaus
Verständigungsschwierigkeiten sind leicht zu überwinden. Gesten und lustige Zeichnungen auf Papier helfen bei Problemen. Ansonsten kommt amanda mit den Arabischbrocken zurecht und betreut oft Kinder, die schon ein bisschen Französisch in der Schule lernen.
Mittlerweile habe ich mich schon so gut in Marokkos Hauptstadt eingewöhnt, dass ich weiß, wann ich aus dem Haus gehen muss, um den Bus zum Krankenhaus nicht zu verpassen. Ich kenne die Kontrolleurin, die aussieht wie Whoopie Goldberg und weiß, dass Menschen, die im Gang stehen und anfangen zu reden, meistens Geld wollen. Im Bus erlebt man immer wieder interessante Dinge. Man macht die eine oder andere Bekanntschaft und wird Zeuge von Streitigkeiten aufgrund des Wechselgeldes oder anderen Dingen, die man nicht versteht.
Insgesamt ist das marokkanische Volk offensichtlich streitlustiger als das deutsche. Diskussionen auf offener Strasse und Kämpfe zwischen sich fremden Menschen sind Alltag. Frauen machen dabei keine Ausnahme. Wenn ihnen etwas nicht passt, gehen sie mit Fäusten oder ihren Sandalen aufeinander los oder schließen sich zusammen, um Taxifahrer zu bedrohen, denen es egal ist, dass ihre Passagiere sich vorgedrängt haben. Auch für den Handel muss man sich auf langwierige Diskussionen gefasst machen und darf nicht aufgeben, wenn der Verkäufer laut und aggressiv wird. Mein erster Handel ist noch gar nicht lange her und war für mich wohl nicht ergiebig, denn der Verkäufer wirkte immer noch sehr glücklich. Vielleicht kann ich aber irgendwann gut genug Arabisch, um die Marktschreier schon ein bisschen einzuschüchtern. Dann bekomme ich hoffentlich auch nicht mehr den üblichen Touristenaufschlag.
Der Alltag in Marokko ist für mich ganz angenehm. Morgens bin ich im Krankenhaus, nachmittags beim Französischkurs oder mit anderen Dingen beschäftigt. Zu tun gibt es immer genug. Am Samstag wird meine Mutter mit den Vorbereitungen für den Ramadan beginnen, der immerhin nur noch zehn Tag entfernt ist. Ich bin sehr gespannt, ob ich ihr mit meinen kärglichen Küchenkenntnissen zur Hand gehen kann. Wenn nicht, reicht es mir auch, einfach zuzusehen, wie die kompliziert aussehenden Gebäcke aus Mandeln und Honig gemacht werden. Nach Sonnenuntergang wird der Tisch beladen sein mit Broten, Früchten, Süßigkeiten, nicht zu vergessen die traditionelle Suppe Harira.
Tagsüber, erzählten mir schon einige Leute, seien die Leute mürrisch und aggressiv. Immerhin sind sie hungrig, können nicht rauchen und sind ganze vierzig Tage strenge Muslime. Wenn der Imam anfängt, zum Gebet zu rufen, sind die Strassen leergefegt. Dann sitzen alle zu Hause und machen sich über das Essen her, das ihnen den Tag über gefehlt hat. Das wird spannend!
Für die Kinder im Krankenhaus wollen wir am Anfang des Ramadans ein Fest veranstalten. Kranke fasten nicht; und trotzdem sollen die Kinder ein bisschen von dem spüren, was außerhalb des Krankenhauses vor sich geht. Meine Arbeit macht mir wirklich sehr viel Spaß. Ich bin verantwortlich für das Spielzimmer auf der Station der krebskranken Kinder. Obwohl mir viele vor dem Jahr in Marokko sagten, wie anstrengend und deprimierend diese Aufgabe sei, bin ich noch immer glücklich damit. Mit dem Tod der Kinder habe ich noch keine Erfahrung gemacht und durfte vielmehr die verabschieden, die nach Hause entlassen wurden. Heute kamen außerdem zwei Jungen zu mir, die in den letzten Tagen nur schwach und lustlos waren und jetzt viel munterer wirkten. Auf der anderen Seite bemerke ich natürlich auch die Auswirkungen der Chemotherapie, wenn Kinder plötzlich kahlköpfig durch die Tür spazieren oder lustlos und müde auf der Couch sitzen.
Obwohl ich keine feste Gruppe zu betreuen habe, gibt es schon einige, die ich seit Längerem kenne und die Vertrauen zu mir haben. Verständigungsschwierigkeiten sind leicht zu überwinden. Gesten und lustige Zeichnungen auf Papier helfen bei Problemen. Ansonsten komme ich mit den Arabischbrocken zurecht und habe oft Kinder in meinem Raum, die schon ein bisschen Französisch in der Schule lernen. Besonders interessant sind für die Kinder die Computer, die eine Menge aushalten müssen und sich dafür bisher recht gut gehalten haben. Daneben gibt es die Möglichkeit zu lesen und zu malen, außerdem habe ich einige Puzzles und Spiele. Am schönsten finde ich es, wenn wir in einer großen Gruppe zusammen spielen und sich nicht jedes Kind mit allein beschäftigt. An manchen Tagen bin ich alleine im Raum. Dann wurden Kinder entlassen, sie sind bei Untersuchungen oder zu schwach, um zu kommen. Diese Tage sind langweilig und traurig, kamen aber glücklicherweise noch nicht zu oft vor.
In meiner Freizeit unternehme ich weiterhin viel mit den anderen Freiwilligen und nutze die Angebote der verschiedenen Institute Rabats. Letzte Woche fuhren wir gemeinsam nach Fès, wo ich meine ersten Babuschen erstanden habe. Dort ist es sogar noch richtig heiß, während in Rabat langsam der Herbst beginnt, den ich auch aus Deutschland kenne. Oder wenigstens der späteste Spätsommer. Heute hat es sogar für zwei Minuten geregnet.
Alles in allem fühle ich mich immer wohler und es gibt immer wieder Momente, in denen ich das Gewühl auf dem Markt beobachte, die Palmen an der Straßenseite ansehe oder die orientalischen Gebäude bestaune. Dann wundere ich mich jedes Mal neu über dieses doch so andere Land und freue mich, dass ich tatsächlich ein ganzes Jahr hier verbringen werde.