Januar 2005
Nach kurzer Funkstille meldet sich amanda wieder zurück. Ihr Silvestertrip nach Madrid hat sie daran erinnert, was ihr in Marokko fehlt und was ihr Leben im letzten halben Jahr geprägt hat.
Nachdem Wiebke und ich zusammen mit den Spaniern Silvester in Madrid verbracht hatten und in den Genuss des spanischen Luxus (heißes Wasser, Heizung, Schweinefleisch, eine schöne Silvesterparty, keine schlechten Anmachen auf der Straße...) kommen durften, beschlich uns für den ersten Moment ein seltsames Gefühl, als wir wieder auf marokkanischem Boden standen: Eine fremde Vertrautheit war es, die arabischen Schriftzeichen am Hafen von Tanger zu sehen. Den Imam zum Gebet rufen zu hören. Die für uns immer noch unverständliche Sprache der Leute um einen herum im Ohr zu haben.
Einerseits fühlten wir uns zu Hause, wir hatten uns an all diese Dinge mit der Zeit gewöhnt. Andererseits wurden wir wieder herausgerissen aus dem uns so bekannten Europa. Wo man Menschen und ihre Gedanken einschätzen kann. Wo man sich nicht völlig verloren fühlen muss. Wo man nicht immer darauf achtet, was andere wohl von einem halten.
Der Rest des Monats verlief wenig spektakulär. Es war kalt, wir arbeiteten wie gewohnt, schliefen, aßen, besuchten den Französischkurs, trafen uns zum Erzählen nichtvorhandener Neuigkeiten.
Am 21. Januar feierte Marokkos Bevölkerung Laïd kbir, das große Fest. Mehrere Millionen Schafe wurden an diesem besonderen Tag geschlachtet. Der Hintergrund ist eine Geschichte aus dem Koran, in der Prophet Ibrahim von Allah gesagt bekommt, er solle seinen Sohn Isaak töten. Ibrahim folgt dem Befehl. Kurz bevor er seinen Sohn vor Allah opfert, schickt dieser ihm ein Schlachttier, dass er anstelle von Isaak tötet kann. (Die Erzählung ist in etwa so wie die Geschichte in der Bibel.)
Ich erinnere mich, dass an diesem Tag die Sonne schien und es draußen viel wärmer war als im Haus. Wir feierten bei meiner ältesten Gastschwester und ihrem Ehemann. Das Schaf wurde auf der Terrasse von einem Metzger geschlachtet, der an diesem Tag wohl den Umsatz seines Lebens machte. Das gesamte Tier wurde verarbeitet. Am selben Tag gab es die ganzen Innereien zu essen, in den darauf folgenden das Fleisch. Sogar die Köpfe wurden an Straßenecken gegrillt und später gegessen. Ich weiß jetzt, dass ich Schaffleisch nicht besonders lecker finde.
Das letzte Wochenende des Januars war wieder eine kleine Abwechslung zum öden Alltag. Wiebke, Alfonso und ich besuchten Meknès. Es war kalt, aber schön. Besonders die Römerstadt Volubilis hat es uns angetan. Eine weite Fläche gut erhaltenen Ausgrabungen, Tore, Mosaike, prächtige Säulen.
So verging der erste Monat des Jahres 2005. Der Monat, in dem ich mit Wiebke zusammen unseren halbjährigen Aufenthalt in Marokko feierte.