Viele neue Eindrücke
Meine zweite Woche in Schottland neigt sich langsam aber sicher dem Ende zu. Auch wenn ich nicht ganz glauben kann, dass ich vor elf Tagen noch in Deutschland war - bei den vielen Eindrücken, die ich hier schon gewonnen habe.
Meine zweite Woche in Schottland neigt sich langsam aber sicher dem Ende zu. Auch wenn ich nicht ganz glauben kann, dass ich vor elf Tagen noch in Deutschland war - bei den vielen Eindrücken, die ich hier schon gewonnen habe.
Das Wochenende
Mein erstes freies Wochenende war nicht ganz so einsam wie befürchtet. Am Samstag wollte ich eigentlich zusammen mit einer Kollegin die Straßen von Edinburgh unsicher machen. Da Rachel aber schon andere Pläne hatte, lag es an mir, die Stadt allein zu erkunden. Also machte ich mich am Samstagmorgen rechtzeitig auf den Weg zum Bahnhof (den ich am Abend zuvor verzweifelt gesucht hatte, wobei ich einmal an ihm vorbeigelaufen bin und eine Extrarunde durch das schöne North Berwick drehen durfte), um den Zug um 10.20 Uhr zu ergattern. Dort angekommen , machte ich mich mit den schottischen Ticketautomaten vertraut. Wobei ich zu meiner Überraschung gleich einen Hin- und Rückfahrschein erhielt, obwohl ich nur eine Strecke angegeben hatte.
30 Minuten später kam ich in Edinburgh an und begab mich etwas demotiviert, da allein, auf Erkundungstour. Obwohl das Wetter wunderbar war, machte ich mich knapp zwei Stunden später wieder auf den Heimweg. Mit dem Resultat, um ein paar Postkarten reicher zu sein und die ersten Dudelsack spielenden Schotten im Schottenrock gesehen zu haben.
Etwas enttäuscht von diesem Ausflug saß ich, überrascht von dem schottischen Bahnpersonal, im Zug und stellte Vergleiche mit der Deutschen Bahn an. Die Bahnangestellten hier rennen wie von der Tarantel gestochen quer durch den Zug. Vor, zurück, vor, zurück. Etwas, was man in Deutschland selber macht, während man verzweifelt den Schaffner sucht, mit dem Ergebnis ihn nach doppelten Durchstreifen der Abteile immer noch nicht entdeckt zu haben. Am Bahnhof in Edinburgh kam man ohne gültiges Ticket nicht an einer Horde Bahnangestellter vorbei und somit nicht einmal in die Nähe des Zuges. Schwarzfahren scheint mir hier schier unmöglich, was ich doch - zugegeben - als ganz gut erachte.
Den Rest des Tages verbrachte ich am Strand und in der Wohnung, wo ich mir einen Film anschaute, den ich mir aus dem Leuchie House ausgeliehen hatte.
Sonntagmorgen machte ich mich auf zum Gottesdienst in die Abby Church. Im Vergleich zu den Gottesdiensten in Deutschland war alles wesentlich lockerer und entspannter. Was aber einerseits daran lag, dass es ein Familiengottesdienst war und die Kinder die ganze Zeit dabei waren, und andererseits daran, dass die Kirche zwar protestantisch ist, allerdings nicht lutherisch und sie daher keine strenge Lithurgie haben wie bei uns. Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es in Schottland die katholische Kirche und die Kirche von Schottland, zu der eben diese Abby Church gehört.
Nach dem Gottesdienst gab es noch Kaffee und Tee, wo ich dann mit einigen netten Leuten ins Gespräch kam. Unter anderem mit einer netten Frau, die mich sofort zu sich nach Hause zum Mittagessen einlud. Also fuhr ich von der Kirche mit zu ihr. Normalerweise gibt es sonntags bei ihnen immer ein grosses Mittagessen, doch gerade an diesem Tag kamen ihre Kinder nicht, weil sie im Prüfungsstress sind und ihr Mann hatte auch nicht viel Zeit, weil er vier Anwärter für den Job als Youthworker hier in North Berwick interviewen musste. Also unterhielten wir zwei uns nach dem Mittag noch eine Weile.
Ich erfuhr einiges über Schottland und die Meinung der Leute hier über Deutschland. Es war sehr interessant, da mir so bewusst wurde, was eigentlich typisch deutsch zu sein scheint. Gegen 17 Uhr trudelte ich wieder in der Wohnung ein. Und nach einem gemütlichen Strandspaziergang ließ ich den Abend in Ruhe ausklingen.
Leuchie House
Viele Leute haben mich etwas über meine Arbeitsstelle und meine Tätigkeiten hier gefragt, also werde ich mal ein paar grundlegende Informationen niederschreiben. Das Leuchie House ist eine Kureinrichtung für Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind. Was übrigens nicht, wie viele denken, ein Muskelschwund ist, sondern eine Art Nervenvernarbung und -entzündung. Die Gäste kommen meist für zwölf Tage hierher, reisen an einem Montag an und fahren am Freitag eine Woche später wieder nach Hause. Danach hat die Einrichtung das ganze Wochenende geschlossen und öffnet am Montag wieder um die nächste Gruppe (max. 25 Leute) zu empfangen. Somit habe ich jedes zweite Wochenende komplett frei und ansonsten Sonntag und Montag. Die Gäste haben hier die Möglichkeit, Ausflüge mit zu machen, verschiedene Therapien und Massagen in Anspruch zu nehmen oder einfach nur ein bisschen Ruhe zu finden. Es gibt auch jeden Abend ein kleines Programm, an dem sie teilnehmen können, etwa ein Quiz, Karaoke oder Livemusik.
Meine Aufgabe ist es, an den Ausflügen teilzunehmen und Fotos zu machen, die ich später zu einer Kollage, einer CD, o.ä. verarbeite und den Gästen mitgebe, damit sie ein paar Erinnerungen mit nach Hause nehmen können. Weiterhin helfe ich den Leuten, wenn sie etwas am PC machen wollen, wie E-Mails schreiben, weil viele ihre Hände nicht bewegen können.
Gestern habe ich mit einer Frau nach Konzerten und Events in Glasgow gesucht, weil sie mit ihrem Mann ganz gern solche Sachen macht. Insofern der Gast es wünscht, schreibe ich auch Tagebuch für sie, da manchmal das Gedächtnis zu stark in Mitleidenschaft gezogen ist und sie sich nicht lange an Dinge erinnern können. Außerdem schreibe ich die Menükarten für den Dinnerroom, was aber wenig Zeit in Anspruch nimmt. Ansonsten bin ich hauptsächlich für die Gäste da, um ein bisschen mit ihnen zu schwatzen und den Aufenthalt nicht nur zu einer stupiden Therapiesitzung verkommen zu lassen. Das ist so meine Arbeit im Groben.
Das ist mal wieder so typisch.
Obwohl ich, wie gesagt, noch nicht besonders lang hier verweile, durfte ich schon die ein oder andere Bestätigung aber auch Widerlegung diverser Klischees - sowohl deutscher als auch schottischer/britischer - erleben. Besonders interessant war und ist für mich, immer die Sicht anderer Länder auf Deutschland. Wie ich erfahren habe, ist Bier, Wurst, Kartoffeln, Ordnung/Perfektion/ auberkeit und Technomusik (ja, Technomusik, das hätte ich nicht gedacht) typisch deutsch. Außerdem scheinen wir Deutschen in anderen Ländern dafür bekannt zu sein, Gebiete und Regionen während unseren Reisen zu besichtigen, die sich sonst keiner anschaut. Das hab ich vorher noch nie gehört, doch meine nette Kirchenbekanntschaft sagte, dass viele und vor allem die Briten nur „festgetretene Wege gehen“, also Wege, die jeder andere auch geht. Wir Deutschen erkunden allerdings alles, auch bisher kaum bekannte Plätze. Wider meinen Erwartungen wurde ich noch nicht auf Hitler oder den zweiten Weltkrieg angesprochen, sondern auf die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands. Worauf merkwürdigerweise so mancher ein bisschen neidisch ist, weil wir somit eine erlebnisreiche Geschichte haben und bei den Schotten seit Jahren nichts passiert, alles beim Alten bleibt.
Was die Schotten betrifft, so kann ich nur sagen, sie trinken wirklich verdammt viel Tee, aber auch Kaffee. Das Essen ist allerdings nicht so schlimm, wie immer behauptet. In den Geschäften gibt es ebenso dunkles Brot wie in Deutschland. Zugegeben, die Auswahl ist nicht ganz so großs, aber das ist nicht so schlimm.
Was mich sehr überrascht hat, ist die Tatsache, dass die Menschen hier scheinbar noch nie etwas von Recycling, geschweige denn Mülltrennung gehört haben. Hier gibt es einen Eimer für alles. Und was die Sprache betrifft: Ja, die Schotten nuscheln, und zwar extrem, aber man gewöhnt sich an alles.
Über das Wetter kann ich mich nicht beschweren. Momentan ist es zwar bewölkt und sehr windig, allerdings regnet es nicht und die Temperaturen sind sehr mild. Mir wurde aber auch gesagt, dass North Berwick in einer Schön–Wetter-Gegend liegt, also werde ich das typisch britische Wetter eher selten zu spüren bekommen.
Soweit meine ersten Erlebnisse und Erfahrungen. Ich bin gespannt, was ich sonst noch so entdecken werde!
See you.