Was ist aus dir geworden?
Brief an ein außergewöhnliches Mädchen, das ich gar nicht richtig kennenlernen konnte und das mich trotzdem berührt hat
Ciao Carolina!
Erinnerst du dich noch an mich? Ich war vor einem Jahr bei euch an der Scuola Ospedaliera in Turin. Ich habe dir ein paarmal Deutschunterricht gegeben. Also, wenn es dir gut genug ging und ich dich überreden konnte. Eigentlich habe ich dich gar nicht oft gesehen... Ich kann mich noch gut an eine Stunde erinnern, in der ich dir von meinem Handy deutsche Musik vorgespielt hab. Und wir haben über eure Band geredet, ihr wolltet euch einen deutschen Namen geben, das wäre irgendwie cooler, meintest du. Ich weiß gar nicht mehr, was wir uns überlegt hatten.
Es tut mir leid, wenn ich manchmal sauer war, weil du mal wieder keine Lust hattest auf Unterricht. Es ist so schwierig euch zu verstehen. Ihr seid noch Kinder und jeder hat seine eigenen Probleme. Kinder sollten solche Probleme und Ängste nicht kennen... Ihr habt uns kaum in eure eigene kleine Welt gelassen... Wie sollten wir euch da helfen? Du warst immer so verschlossen und hast nichts von dir erzählt. Ich weiß nur, warum du im Krankenhaus warst, weil deine Deutschlehrerin aus deiner Schule mich angerufen hat. Sie hat sich wirklich Sorgen um dich gemacht.
Weißt du noch, Elena? Ihr habt euch gut verstanden. Sie war so anders. Lustig und aufgeschlossen und frech. Und so anhänglich. Sie hat mich immer „Antonina“ genannt. Aber sie konnte auch auf einmal todtraurig werden und war dann von niemandem mehr zu erreichen. Seid ihr noch befreundet? Hält so eine Freundschaft, die im Krankenhaus geschlossen wird und wo die heimlichsten Ängste hinter verschlossenen Türen ohne Krankenschwestern, Ärzte und Lehrer ausgetauscht werden, auch danach?
Carolina, ich frage mich die ganze Zeit, wie es dir geht. Hast du es geschafft? Kannst du endlich glücklich sein und dein Leben annehmen? Einfach ein junges Mädchen sein? Ich hoffe es sehr. Ich habe eine der Englischlehrerinnen nach dir gefragt. Sie hat dich schon länger nicht mehr gesehen, aber meint, es würde dir bestimmt gut gehen. Das hoffe ich. Was ich dir vor einem Jahr nicht gesagt habe, möchte ich dir jetzt sagen, in der Hoffnung, dass es dich erreicht: Du bist so ein kluges und starkes Mädchen, bitte gib dich nicht auf! Ich glaube fest an dich.
Ich hoffe, es geht dir gut.
Alles Liebe,
Antonia
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