Volontourismus und der ‘Weiße Retter’ Komplex
Die positiven und negativen Seiten des Volontourismus
Volontourismus ist eine wachsende Industrie. Das Interesse am Volontourismus steigt stetig. Immer mehr junge Menschen verbinden das Reisen mit Freiwilligenarbeit. Beliebte Ziele für Europäer sind Lateinamerika, Asien und Afrika. In Deutschland gibt es z.B. Weltwärts, der entwicklungspolitische Freiwilligendienst des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Kosten belaufen sich bei ungefähr 1500-3000 Euro, die der Freiwillige durch Spenden und Fundraising davon selbst aufbringen muss. Es gibt aber auch Online-Plattformen wie WWOOF (World Wide Opportunities on Organic Farms) oder HelpX, wo der Freiwillige eigenständig eine Unterkunft, meist auf einem Bauernhof, sucht, die Wirten/Gastgeber/Familien anschreibt und dann gegen Logis und Schlafmöglichkeit einige Stunden am Tag arbeitet. Damit sind die finanziellen Ausgaben, außer den Reisekosten und Auslandsversicherung, relativ niedrig. Es gibt also verschiedene Arten, einen Freiwilligendienst im Ausland zu absolvieren, in vielen Fällen sind Freiwillige auch bereit, eine Vermittlungsagentur dafür zu zahlen.
Der Wunsch zu helfen und der Welt und Gesellschaft etwas Sinnvolles und Nützliches beizutragen, dabei auch ein neues Land zu bereisen und andere Kulturen kennenzulernen, ist für viele ein wichtiger Teil der persönlichen und beruflichen Entwicklung. Doch oft gibt es sehr viele Probleme in dem Gastland, die von den Freiwilligen ignoriert bzw. darüber hinweg gesehen wird.
Der ‘White Saviour Complex’
Der Begriff ‘Weißer Retter’ beschreibt weiße Leute, die nicht-weißen Leuten, oft aus eigennützigen Gründen helfen wollen. Der Begriff wird auch mit dem Gedicht ‘White Man’s Burden’ (1899) von Rudyard Kipling assoziiert, der von den ‘wilden, kindlichen Barbaren’ auf den Philippinen spricht und an den ‘weißen Mann’ appelliert bzw. er es als seine Aufgabe sehen muss, diese zu zivilisieren. Dieser politische Aufruf, in Form eines Gedichts, galt den Amerikanern, dem Beispiel der imperialistischen Mächten Englands und anderen europäischen Ländern zu folgen. Doch der ‘weiße Retter’ ist auch heute noch anzutreffen. Brendan Orsinger, ein Aktivist und Organiser, beschreibt diesen als: ‘well-intentioned low-key racist white liberals with intellectual superiority complexes’, übersetzt: einen gut-gemeinten, unauffälligen rassistischen weißen Liberalen mit einem Besserwisser-Komplex.
Wie viele Freiwillige gehen denn ins Ausland, mit dem Gedanken, dass die anderen Länder nicht nur ‘unterentwickelt’ sind (dies steckt auch schon im Begriff ‘Entwicklungsland’), sondern dass diese auch Hilfe von ‘weißen Menschen’ brauchen und wollen? Wie viele Freiwillige belustigt von ihren Erlebnissen erzählen, bei denen sie von Menschen umgarnt, abfotografiert oder überall als Gast eingeladen worden wollten? ‘White privilege’ bzw. ‘Weißer Privileg’ wird in vielen Fällen oft dankend und ohne die historische und politische Komplexitäten zu hinterfragen, angenommen. Der Unterschied zwischen einem Weißen Retter und einem Verbündeten ist, wie Orsinger schreibt:
•White Saviors carry the hubris to believe, “If only the world could change to be more like me” — a belief that centers whiteness and maintains the status quo of white supremacy.
•Aspiring Allies believe the world will change when white people change their own behaviors, attitudes, and understanding of their role in white supremacy culture.
Weiße Retter sind der Meinung, dass sich die Welt nach ihren Wertvorstellungen und Glauben richten sollte. Ein konkretes Beispiel wäre z.B. die oft gehörte Beschwerde, dass es in einigen Ländern ‘sehr langsam vorangeht’ und nicht dieselbe Effizienz und das Tempo aufgebracht wird, wie man es im ‘Westen’ gewohnt ist. (Dazu muss man sagen, dass auch innerhalb von Europa diese Unterscheidungen gemacht werden). Doch wenn Fremder ein Land und seine Einwohner darauf reduziert und kritisch herablässt, trägt dies schon den Gedanken der Superiorität versus Inferiorität. Dasselbe gilt auch, wenn es um ‘Wissen’ und ‘Können’ geht: Ein Beispiel wäre: Nach europäischen und amerikanischen, akademischen Modellen gebildet, gehen ‘Advisors’ und ‘Consultants’ in fremde Länder, um Bauern, die ihr Leben lang auf dem Feld gearbeitet haben einen Plan in die Hand zu drücken, der ihnen durch Anbau von ‘cash crops’ schnell ‘Gewinn’ bringen soll, der dann später von multinationalen Firmen zu Billigpreisen gekauft wird. Der gut-gemeinte, weiße Freiwillige geht in einen ländliches Dorf,um die englische Sprache und ‘Wissen’ zu verbreiten. Dabei macht er mit seinem Smartphone Selfies mit exotischen Kindern und trägt wahrscheinlich Taschengeld bei sich, das für die Einheimischen einem Wochen-/Monatsgehalt entspricht und reist jedes Wochenende in andere Stadt, um ‘die Kultur’ zu erleben.
Doch ich möchte nicht jedem Freiwilligen, der Englisch im Ausland unterrichtet, imperialistische Absichten vorwerfen. Es ist jedoch wichtig, wie es einem ‘aufstrebenden Verbündeten’ hoffentlich wichtig ist, seine eigenen Taten, Glauben und Vorstellungen stets zu hinterfragen. Dies hilft auch in Zukunft, wenn man weitere Freiwilligendienste angeht : Wer profitiert davon? Sind es die Einwohner? Unterstützt die Organisation die Emanzipation (empowerment) und Selbstverwaltung (autonomy) der Einheimischen oder sind diese stets von Spenden und Forderungen abhängig? (‘Erst wenn du dies machst, bekommst du das Geld’) Bin ich an einem Engagement an meinem Heimatort interessiert oder ist es mir wichtiger, mich durch verschieden Projekte im Ausland zu ‘bummeln’? Ersetze ich durch meine unvergütete Freiwilligenarbeit lokale Jobs, wie die des Lehrers, Sozialarbeiter, medizinischen Fachkräften und Arbeitern? Auf wen wird das kleine Kind aufschauen, auf den weit gereisten Freiwilligen mit seinem Handy, Gadgets und seiner weißen Haut, oder auf seinen Lehrer, Eltern oder Gemeindeleiter?
https://medium.com/@ToBeSelfEvident/beware-of-the-white-savior-industrial-complex-a44755071ed0
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