On Arrival w Warszawie
Ich bin von meinem On-Arrival-Seminar aus Warschau mit einem Haufen neuer Eindrücke zurückgekehrt.
Ich bin von meinem On-Arrival-Seminar aus Warschau mit einem Haufen neuer Eindrücke zurückgekehrt.
Nachdem meine Mitfreiwilligen bereits alle das von der Nationalagentur ausgerichtete Seminar in Warschau hatten, war ich endlich Mitte November dran. Das ist zwar nicht die beste Zeit zur Stadtbesichtigung, trotzdem bin ich schon mit Eva und Henry, ihrem Besuch aus Deutschland, das Wochenende davor losgefahren – auch um den polnischen Nationalfeiertag in der Hauptstadt zu verbringen.
Von Olsztyn aus gibt es eine dreistündige, sehr günstige Busverbindung (sieben Euro) nach Warschau. Die Firma Radex stellt auch noch WiFi und kostenlose Heißgetränke zur Verfügung. Die Busse sind also sehr zu empfehlen, wenn man aus dem beschaulichen Olsztyn weg will, um ein bisschen Großstadt zu erleben. Wir sind am Freitag, dem 8. abends gefahren, und haben uns für einen kleinen Einblick ins Warschauer Nachtleben mit Laura und Dorina getroffen, die für ihr Seminar schon die ganze Woche da gewesen waren.
Die Erkundung der Altstadt am Samstag fand dann leider bei Regen statt. Der November ist halt nicht der passende Reisemonat für Polen, aber sehr viel Touristisches habe ich von Warschau eh nicht gesehen. Am Sonntag war ich nämlich von Laura eingeladen, mit ihr Freunde ihrer Eltern zu besuchen. Ich habe also einen schönen Tag in einer sehr herzlichen Familie verbracht – was hätte man in Polen auch sonst erwartet? Als ich Ende August bei Monika war, habe ich noch kein Wort verstanden, diesmal konnte ich großen Teilen der Unterhaltung folgen (ein Vorteil war vielleicht auch, dass ich die meisten Themen schon auf Deutsch gehört hatte), auch wenn ich im Gegensatz zu Laura noch weit davon entfernt bin, selbst „po polsku“ zu kommunizieren.
Am Montag, dem 11. November, war der polnische Nationalfeiertag. Das Ende des Ersten Weltkriegs wird auch in anderen Ländern gefeiert, für Polen war dies aber umso bedeutsamer, weil ihr Staat nach mehr als 150 Jahren erst wieder angefangen hat zu existieren. Mit Eva und Henry war ich am Denkmal des Unbekannten Soldaten, wo den Soldaten des Zweiten Weltkrieges mit Blumen, Fahnen, Fackeln und Uniformen aller Armeeabteilungen gedacht wird. Im angrenzenden Park Ogrod Saski gab es an zahlreichen kleinen Ständen typisches polnisches Essen. Wegen der guten Sichtverhältnisse haben wir später einen Turm in der Altstadt bestiegen. Eine sehr gegensätzliche Aussicht mit der liebevoll restaurierten Altstadt und des Glastürmen rund um den Kulturpalast. Der Palac Kultury i Nauki ist das ungeliebte „Geschenk“ von Stalin. Inzwischen blinkt in nächster Nähe eine meterhohe Coca-Cola-Leuchtreklame und die Konferenzsäle der Kommunistischen Partei werden für alle Arten von Konferenzen genutzt. Im 30. Stock ist auch eine Aussichtsplattform, die wir ebenfalls ansteuern wollten. Auf der Hauptstraße am Palast war aber ziemliches Chaos ausgebrochen. Jedes Jahr findet dort der „Marsch der Unabhängigkeit“ statt, tausende Menschen mit polnischen Flaggen strömten dorthin. Manche hatten sogar ihre Kinder mit AK-Armbinden ausgestattet. Für die Kleinen war das meiner Meinung nach nicht der richtige Platz, weil schon im „friedlichen“ Teil der Demonstrationen Leuchtraketen flogen. Abends in den Nachrichten haben wir gesehen, dass Nationalisten Autos vor der russischen Botschaft angezündet und sich in einer Nebenstraße regelrecht mit der Polizei geprügelt haben. Richtig verstanden habe ich das erst als ich mir während des Seminars von einer Polin hab erklären lassen.
Mein On-Arrival-Training begann am Dienstag. Dazu musste ich erst mal das Hostel wechseln, Agrykola liegt südlich des Stadtzentrums. Bis auf eine Führung über das Warschauer Ghetto (bei der ich fast erfroren bin) und einen Vormittag zur eigenen Stadterkundung war das offizielle Programm bis Sonntagmittag immer in diesem Hostel. Ein richtiges Thema kann ich auch nicht im Nachhinein benennen, aber größtenteils ging es darum, sich mit den 24 anderen EVSler über alle Aspekte unserer Zeit in Polen auszutauschen. Mir hat es sehr geholfen, mein eigenes Projekt mehr zu schätzen und auch die Sichtweise aus anderen europäischen Ländern zu vergleichen. Die Freiwilligen kamen aus der Ukraine, Georgien, Bulgarien, Rumänien, Weißrussland, Italien, Spanien und Frankreich. Glücklicherweise waren nur zwei andere Deutsche da, so das mein EVS endlich ein bisschen europäischer geworden ist. Vielleicht ist jetzt bei den anderen das Vorurteil entstanden, dass die Deutschen Vegetarier sind, wie es auf uns drei zutraf. Außerdem waren wir wieder die Jüngsten, weil die anderen üblicherweise alle schon studiert haben. Für viele ist das eine Überbrückung, um Arbeit zu finden. Während die Nicht-EU-Freiwilligen vor allem darüber nachdenken, ein Studienvisa für den Master in Polen zu ergattern, ist für die Spanier Polen als aufstrebende Wirtschaft ein attraktives Ziel – auch um hier dauerhaft zu arbeiten. Übrigens haben alle die Erfahrung gemacht, dass die Polen es selbst nicht nachvollziehen können, warum wir in ihr Land kommen.
Den freien Vormittag haben wir genutzt, um in kleinen Gruppen Präsentationen vorzubereiten. Mein Thema waren nicht touristische Orte. Also waren wir auf der anderen Seite der Weichsel, in Praga. Touristen wird abgeraten, dort hinzugehen und als wir etwas auf dem Stadtplan gesucht haben, sind gleich zwei hilfsbereite Polizisten besorgt zu uns gekommen. Dieser Stadtteil verändert sich bereits; das Kulturzentrum in einer alten Wodkafabrik wird bald durch eine Anlage mit schicken Lofts ersetzt. Drumherum sieht es noch ärmlich aus, aber im grauen Novemberwetter wirkt jede Stadt hässlicher als sie ist – und dabei ist Warschau wirklich keine schöne Stadt.
Fast alle EVS-Projekte sind in Kindergärten oder Behindertenwerkstätten, mit meinem Archiv bin ich also richtig exotisch. Jeder hat größere oder kleinere Probleme mit der Wohnung, der Arbeit oder der Hosting Organisation. Wie zufrieden ich hier in Olsztyn bin, habe ich tatsächlich erst in Warschau gemerkt. Bisher hat mich noch kein Heimweh nach Deutschland geplagt, aber in diesen paar Tagen habe ich meine WG und unsere witzigen Gespräche wahnsinnig vermisst.
Ich war also froh am Sonntag, dem 17. wieder nach Hause zu fahren. Noch bin ich gedanklich dabei, den ganzen Austausch mit den anderen EVSlern zu verarbeiten. Doch mit jedem Tag kann ich mit mehr Überzeugung sagen: Ein EVS lohnt sich definitiv!
Ich hatte mir übrigens erhofft, irgendwas vom Klimagipfel mitzukriegen, aber weder am Kulturpalast noch am Stadion haben sich wichtige Politiker oder Aktivisten blicken lassen. Umweltschutz ist hier nicht wirklich ein Thema, wie ich jedes Mal bei unseren bescheidenen Mülltrennungsversuchen feststelle.
Die Rückfahrt im bequemen Radex-Bus war wieder im Dunkeln, so dass ich nichts von der polnischen Landschaft sehen konnte. Stattdessen lief im Bus ein spanischer Film mit polnischer Synchronisation – was bedeute, dass alle Stimmen von einer monotonen Männerstimme übersprochen werden und gleichzeitig der Originalton läuft. An manche Dinge werde ich mich wohl nie gewöhnen…
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