“It´s fun to stay at the YMCA?!“ Yes, indeed!
Elf Monate als Freiwillige beim German YMCA in London
Wo Harry Potter den Hogwarts-Express besteigt und die Pubs draußen voller sind als drinnen. Wo Hugh Grant auf Julia Roberts trifft und sich Theater an Theater reiht. Wo es an jeder zweiten Ecke nach Fish and Chips duftet und alle 30 Sekunden eine Tube den Bahnsteig entlang rauscht. Wo niemals Stille herrscht und Menschen der unterschiedlichsten Nationalitäten Tür an Tür leben: All das, und noch unendlich viel mehr, ist London. The “city that never sleeps“. Lebendig, bunt, vielfältig. Und ich hatte das Glück, die letzten elf Monate hier verbringen zu dürfen! Jedoch nicht nur als Touristin, sondern als echte Londonerin, als Freiwillige beim German YMCA.
Mehr als ein Song
Viele kennen einen YMCA wahrscheinlich aus dem berühmt-berüchtigten Song: It´s fun to stay at the YYYYMCA (Und dazu noch die tollen Buchstaben-Moves, bitte!)… Der Wahrheitsgehalt dieser Zeile liegt im Übrigen bei 150%. Denn die vergangenen elf Monate, die ich beim German YMCA in London verbracht habe, waren bestimmt einige der besten meines Lebens! Die im Zentrum Londons (gleich am Hyde Park) gelegene Charity organisiert nicht nur ein Veranstaltungsprogramm für Deutsche in London, sondern auch Menschen aus der „local community“. Dabei helfen und ein Teil davon werden zu dürfen war eine einmalige Erfahrung, an die ich mich immer erinnern werde.
Erlebnis-Überdosis und Zeitmangel
Einen Haken jedoch gab es: Meine Zeit hier verging viel zu schnell. Aber wie soll es schließlich auch anders sein, wenn man nicht nur alle Hände damit zu tun hat, eine spannende Stadt zu erkunden, sondern gleichzeitig noch als Freiwilliger im Einsatz die unterschiedlichsten Projekte und Einrichtungen bei seinem Job unterstützt? Da ist eine Erlebnis-Überdosis nicht nur ein mögliches Risiko - sie ist unvermeidlich. Leider geht sie auch mit dem gefürchteten Rasen der Zeit einher, sodass es mir einerseits vorkommt, als müssten seit dem letzten Sommer Jahrhunderte vergangen sein, andererseits fühlt es sich aber an, als sei ich nicht einmal einen Monat hier gewesen.
Zehn verschiedene Jobs? Ein einziger!
Was sich zunächst als Stellenbeschreibungen für zehn verschiedene Jobs liest, ist in Wirklichkeit ein einziger. Kinder-Spielgruppen, Hausbesuche bei älteren Leuten, Café-Aushilfe, Programmgestaltung, Event-Begleitung? Ja, tatsächlich, all das findet sich im Stundenplan eines Freiwilligen beim German YMCA. Und hier hört die Liste noch lange nicht auf! Kein Tag ist wie der andere, immer steht etwas anderes auf dem Programm, womit eine ewig währende Niemals-Langeweile-Garantie einhergeht. Das soll nicht heißen, dass keine üblichen Büro-Aufgaben erledigt werden müssen. Briefe zu versenden und Programme zu falten gehört natürlich genauso dazu wie das obligatorische Tee- und Kaffee-Servieren (Ja, auch in England trinkt man Kaffee!). Das gerät in Anbetracht der anderen Aufgaben jedoch umso schneller wieder in Vergessenheit.
Kinder, Senioren und so ziemlich alles dazwischen
Von 0 bis 99+. Was normalerweise auf Spielanleitungen steht, könnte auch gut als Beschreibung für die Altersgruppen gelten, mit denen man als Freiwilliger bei dieser Charity zu tun hat. Kurz: Es ist so ziemlich alles dabei.
Hauptsächlich habe ich den German YMCA bei der Ausführung seines Programms für Jedermann unterstützt: Flohmärkte, Konzerte, Weihnachtsmarkt, Straßenfest, Grillparties und noch vieles, vieles mehr. Regelmäßiger Wochenbestandteil war immer der Anglo-German Circle, eine Austauschmöglichkeit für jeden, der kommen mag, über verschiedenste kulturelle Themen.
Außerdem machten Hausbesuche einen Großteil meiner Arbeit aus. Der YMCA hat einige Mitglieder, denen es aufgrund ihres Alters eher schwerfällt, regelmäßig zu den Veranstaltungen zu erscheinen - also werden sie von den Freiwilligen bei sich zu Hause besucht. Bei einer Tasse English Breakfast Tea oder Earl Grey und dem einen oder anderen Keks habe ich mit den SeniorInnen geplaudert, mir ihre Geschichten angehört und viele Fragen beantwortet. Am schönsten war immer das Lächeln, das erfreute Aufblitzen in ihren Augen, wenn ich wieder bei ihnen vor der Haustür stand, bereit für eine weitere Tea Time. Ich werde sie alle so sehr vermissen, das weiß ich jetzt schon. Insbesondere eine ganz bestimmte ältere Dame ist mir ans Herz gewachsen. Eine Veganerin (genau wie ich), mit der ich mich öfters auch mal privat zum Essen getroffen habe. Sie ist wirklich zu einer Freundin für mich geworden und ich hoffe sehr, sie bei meinen nächsten Besuchen wiederzusehen!
Weiterhin habe ich bei einer Spielgruppe namens „Struwwelpeter“ und einem After School Club des YMCA geholfen. Vor meiner Zeit hier hatte ich nicht viel Erfahrung im Umgang mit Klein- oder jüngeren Schulkindern, aber das stellte nicht das geringste Problem dar. Im Gegenteil, ich habe entdeckt, wie viel Freude mir die Arbeit mit ihnen bereitet. Und auch mein Bastel-Enthusiasmus wurde wiederbelebt.
Die Liste ist noch nicht zu Ende: Ebenso war Organisation Teil meines Jobs. Da der YMCA auch Aupairs vermittelt, wird immer ein monatliches Programm für junge Leute zusammengestellt. Dazu durfte auch ich als Freiwillige beitragen und manche der Events durchführen. Noch dazu bin ich so auf Gleichaltrige aus ganz Deutschland getroffen, konnte mich mit ihnen austauschen und gemeinsam Dinge unternehmen. Mit einigen von ihnen werde ich bestimmt auch länger in Kontakt bleiben.
Und nein, das war immer noch nicht alles! Denn last but not least hatte ich auch noch die Möglichkeit, drei externe Projekte zu unterstützen. Dazu zählen das Holocaust Survivors´ Centre, das ein Treffpunkt für - Überraschung! - Holocaust-Überlebende ist, das St. Mary´s Hospital Café, wo ich einmal in der Woche ausgeholfen habe, und nicht zuletzt PIP. Das ist eine Organisation, die sich um junge Erwachsene mit Lernschwächen kümmert und ein tägliches Programm für diese anbietet. Offen gestanden: Bevor ich nach London kam hatte ich noch nie etwas in dieser Hinsicht gemacht, aber das spielte glücklicherweise keine große Rolle. Am Anfang waren viele der Schüler vielleicht noch ein bisschen schüchtern und mussten sich erst einmal an das neue Gesicht gewöhnen, aber dafür wurde es umso schöner, je wohler sie sich in meiner Gegenwart fühlten. Irgendwann erklärte einer von ihnen einmal, er wolle mit mir in den Urlaub fahren und das, so simpel es auch klingt, war einer der schönsten Momente, die ich hier erlebt habe.
Musicals im West End, Shopping in Soho: Leben in London
Für wen das jetzt alles etwas überwältigend klingt, den kann ich beruhigen: In einer solchen Aufzählung scheint es vielleicht schnell, als blieben bei den ganzen Aufgaben und unterschiedlichen Projekten nur wenige freie Minuten übrig, aber das täuscht. Gearbeitet wird von Montag bis Freitag, manchmal am Wochenende bei einer Veranstaltung. Am Ende der Woche ergibt das insgesamt 35 Arbeitsstunden - und ich hätte keine Minute davon missen wollen! Natürlich blieb auch noch genug Zeit, nebenher die Stadt zu erkunden, die einfach von keiner anderen auf der Welt übertroffen werden könnte. In meiner Freizeit war ich im Hyde Park joggen, bin über den Portobello Road Market in Notting Hill spaziert, habe mir die Street Art in Shoreditch, Shakespeare-Aufführungen im Globe Theatre und Musicals im West End angeschaut. Ich habe im Shopping-Mekka Soho meinen Kleiderschrank aufgefüllt und die neuesten veganen Trends auf dem Camden Market ausgekundschaftet. Aber egal, wo die Interessen liegen: In einer Stadt wie London geht niemand leer aus. Auch an Ausflugszielen mangelt es nicht: Brighton, Cornwall oder vielleicht doch Stonehenge? Auf einer englischen Landkarte wimmelt es nur so von berühmten Namen. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir Bath mit seinen römischen Thermen und der einzigartigen Architektur, das romantische Canterbury, das lebendig-bunte Bristol und natürlich die beiden Universitätsstädte Cambridge und Oxford. In Letzterer war ich gleich zweimal. Auch Wales, (Nord-)Irland und Schottland sind nicht weit! Da ist es nicht gerade verwunderlich, wenn ein Jahr bei Weitem nicht ausreicht, um die gesamte Bucket List abarbeiten zu können.
Eine Empfehlung für JEDEN
Die ganzen Erfahrungen, die man bei einem solchen Auslandsaufenthalt und einem derart vielfältigen Job macht, sorgen natürlich auch dafür, dass man selbst wächst, sich verändert, und das gefühlt um 200%. Zwischen meinem 18- und meinem 19-Jährigen Ich müssen Welten liegen. Sich direkt nach der Schule in ein fremdes und vor allem fremdsprachiges Land zu begeben, ist etwas, das vielleicht ein wenig Überwindung kostet, aber dennoch ein Schritt, den ich jedem empfehlen könnte! In einer anderen Stadt zu leben, einen Job zu haben und auf gewisse Weise ein neues Leben zu beginnen, lässt das Selbstvertrauen gefühlt um 2000% ansteigen. Das ergibt dann eine Gesamt-Veränderung von… Entschuldigt, das Mathe-Abi ist zu lange her.
Abgesehen von meinen verlorenen Mathematik-Kenntnissen also habe ich in diesen elf Monaten in London so viel gelernt, das wertvoller ist als jede Prozent-Rechnung oder Exponential-Funktion. Ich hatte so viel Spaß, habe so viele wundervolle Menschen getroffen und so viele unvergessliche Erinnerungen gemacht, wie ich es mir niemals erhofft und erträumt hätte. An diese Zeit werde ich mich immer erinnern und dafür bin ich dem German YMCA unendlich dankbar! Bestimmt wird es auch nicht allzu lange dauern, bis ich wieder hier bin. 4 Monate, um genau zu sein. Denn den Christmas Market Anfang Dezember werde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen…
So, is it fun to stay at the YMCA???
Oh, how dare you!
Of course it is.
And so much more than that!