Ich glaub' mich tritt ein Lama...
Warum Kranksein im Ausland suboptimal ist und wie man am besten Lamas transportiert.
Aufgrund einer akuten Bettlägerigkeit, Fieberträumen und ein paar Medikamenten, nehme ich keine Gewähr auf die Richtigkeit der Reihenfolge der geschilderten Ereignisse...
Sonntag, 27.09.2015
Ich wache auf. Mein Hals tut mir weh. Na toll, immer noch. Dabei dachte ich doch wirklich, dass es sich um eine punktuelle Strapazierung meiner Stimmbänder handelt. Ich stehe auf, will mir einen Tee machen. Auch meine Arme und Beine tun mir weh. Langsam dämmert mir, dass ich vermutlich nicht nur Halsschmerzen habe. In der Küche angekommen, versorge ich meinen Hals erst einmal mit einem Löffelchen Manuka-Honig (automatisch beginnt eine Stimme in meinem Kopf leise die altbekannten Verse von Marry Poppins zu singen. „Mit 'nem Löffelchen voll Zucker, wir die Medizin versüßt, Medizin versüßt,...“), inhaliere in unserem Kochtopf und plündre meine Teevorräte. Dank vorausschauend gepackten Carepaketen aus der Heimat, ist mein Vorratsschrank voll mit grünem Tee, Kamillentee, Einschlaftee und - nicht zu vergessen - Erkältungstee. Mit meinen zwei Wärmflaschen und einer riesigen Thermoskanne bewaffnet, schlüpfe ich wieder in mein warmes Bett.
Der Tag zieht sich endlos. Eigentlich wollte ich heute auf einen Markt in Allinges gehen, auf dem regionale Produkte verkauft werden und gleichzeitig über Mukoviszidose aufgeklärt wird. Pustekuchen. Und auch das Internet lässt mich mal wieder im Stich. Gefrustet mache ich schließlich den Fernseher an und bin etwas erstaunt, dass jede Sendung scheinbar nicht länger als 15 Minuten dauert. Merkwürdig. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass mein Fernseher nur dazu im Stande ist einen einzigen Sender zu empfangen: W9. Besagter Sender scheint das französische Super RTL zu sein. Jedenfalls gibt es dann aber doch noch ein kleines Highlight. Ich entdecke eine Serie, die ähnlich zu sein scheint wie Türkisch für Anfänger. Nur eben auf Französisch. Und doch ein bisschen anders...
Ich gehe früh schlafen. Als ich, bevor ich das Licht ausmache, einen Blick an die Decke werfe, erblicke ich ein Monstrum. Okay, die Spinne ist vermutlich Standard. Aber Spinne ist und bleibt Spinne. Wo ist mein Papa, wenn ich ihn brauche? Ich bin hin und her gerissen. Soll ich mein warmes Bettchen verlassen und die Spinne einfangen oder liegen bleiben und riskieren, dass ich morgen früh eine der sieben Spinnen unwillentlich verspeist habe, die ich im Laufe meines Daseins essen werde? Ich wähle letztere Option. Und allein das zeigt ja schon, dass ich nicht mehr so ganz zurechnungsfähig bin.
Montag, 28.09.2015
Wir müssen heute wieder spät anfangen zu arbeiten. Das kommt mir ganz gelegen. Dann habe ich noch mehr Zeit zum Ausruhen. M. Fährt uns in unserem Mini-Bus zum Centre. Dort erwartet uns eine kleinere Überraschung. Wir haben eine Praktikantin zu Besuch. Sie heißt S. Und wird die gesamte Woche bei uns sein. Was genau sie macht, verstehe ich auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht so richtig. Einerseits macht sie ein Praktikum, andererseits geht sie zur Schule. Insgesamt ist sie nur vier Wochen bei uns, die aber auch nicht am Stück. Am Ende bin ich nur noch verwirrt. Trotzdem freue ich mich, dass sie da ist. Endlich kenne ich jemanden in unserem Alter. So ganz unser Alter ist sie dann aber doch nicht, wie sich herausstellt. Nett ist sie aber trotzdem. Nachdem auch sie ihr Päckchen Zigaretten ausgepackt hat, merke ich, dass ich mich vermutlich damit abfinden muss, dass alle Franzosen rauchen.
Bei unserer Ankunft im Centre werden wir zudem direkt zur „Réunion d'équipe“ abkommandiert. Das wöchentliche Besprechen und Organisieren steht an. Dabei wird klar, dass in Puncto Fahrt nach Narbonne noch gar nichts geplant wurde. Obwohl M. Und ich gefühlt bereits tausend Mal gefragt haben, ob unsere Zugtickets für unser EFD Seminar schon gebucht sind, hat sich noch nichts getan. Fairer Weise muss man allerdings sagen, dass E., die neu an der Anmeldung ist, sofort alle Hebel in Bewegung setzt, als klar wird, dass noch nichts für unseren Transport unternommen wurde.
Auf dem Weg zu TAP bringen wir die „crottes des lamas“ weg, die sich im Laufe der drei Wochen, die wir schon da sind, angesammelt haben. Das Ganze packen wir in drei große grüne Säcke, die vermutlich eigentlich für Gartenabfälle bestimmt sind und fahren damit im Mini-Bus zur Mülldeponie. Im Bus beginnt es unglaublich zu stinken und ich möchte mir gar nicht ausmalen, was genau da hinter mir im „Kofferraum“ gerade transportiert wird. Die wirkliche Mutprobe kommt aber noch auf uns zu. An der Mülldeponie angelangt gilt es die vollgeladenen Säcke zu den Müllcontainer zu tragen und auszuschütten. Eine Aufgabe, die alleine unmöglich ist. Den letzten Sack müssen wir sogar zu dritt schleppen. Aber irgendwie bekommen wir dann auch ihn ausgeleert. Ich lasse die leere Hülle natürlich erst einmal direkt über den Abfällen fallen und wir müssen verzweifelt nach der Tüte fischen. Zum Glück hat M. Einen langen Arm.
Nach der Arbeit bringen wir M2. Und S. Noch im Centre vorbei und vergessen natürlich die Lamasäcke auszuladen. Erst zu Hause fällt uns auf, dass dieser Gestank ja eigentlich nicht normal ist. Naja, die müssen dann eben bis morgen warten.
Da das Wetter noch einigermaßen ist und ich gestern überhaupt nicht draußen war, mache ich einen kleinen Spaziergang nach Noyer. Ich halte nach schönen Blumen Ausschau (natürlich nur nach solchen, die am Wegesrand wachsen) damit ich meinem Zimmer endlich die nötige grüne Energie geben kann und finde mich schließlich vor einem wunderschönen Park wieder. Man könnte glatt meinen, dass es sich um einen verwunschenen Garten handelt. Alles ist grün und mit einer gesunden Menge Moos überzogen. Das schmiedeeiserne Tor, an dem ich vorbei komme, sieht sehr einladend aus. Es steht offen und ermöglicht einen fabelhaften Blick auf die riesigen Bäume, die das Herz des Gartens bilden. Manche der Mammutbaum-artigen Gebilde liegen auf der Wiese und laden dazu ein darauf in einem Buch zu schmökern oder seinen Träumen nachzuhängen. Da ich aber 1. zu schüchtern bin (es könnte ja jemand kommen und mich zornig anschreien, dass es verboten sei den Park zu betreten) und es 2. etwas kühl wird, laufe ich schließlich weiter. Als Andenken nehme ich mir aber Kastanien von dem Kastanienbaum, der am Tor steht, mit.
Auf meinem weiteren kleinen Ausflug komme ich noch an einer „gated community“ vorbei. Englisch LK lässt grüßen. Ich bin erstaunt, dass es so etwas auch in Frankreich zu geben scheint. Zumal ich hier wirklich noch nichts und niemanden gesehen habe, der eine ernsthafte Bedrohung darstellen würde.
Wieder in der Wohnung haben wir dann doch einmal für einen kurzen Moment Internet und A.-M. Fragt mich, ob M. Und ich Lust haben, sie morgen Abend auf einen Vortrag zu begleiten. Wir können gerade noch antworten und sind gerade dabei nachzuschauen, auf was genau wir uns da überhaupt eingelassen haben, da fliegen wir auch schon wieder aus dem Netz.
Als ich durch meine nun empfangenen Nachrichten scrole, beginne ich mich riesig zu freuen: Am Samstag treffe ich mich vermutlich mit A. (einem Freund aus Deutschland) in Genf. Ich kann es kaum erwarten.
Als ich schlafen gehe, treffe ich eine alte Bekannte wieder. Die Spinne hat sich nicht vom Platz gerührt. Das macht sie mir ja doch relativ sympathisch. Allerdings möchte ich nicht noch einmal riskieren plötzlich keine Vegetarierin zu sein. Also schwinge ich wieder ein Bein aus dem Bett, schlurfe in die Küche und mache mein Zimmer Spinnen frei. Dann sinke ich müde in mein Kissen.
Dienstag, 29.09.2015
Nachdem wir uns mit der sehr tierverrückten S. um die Lamas und Noisette gekümmert und den Lamastall ein letztes Mal sauber gemacht haben, wenden sich M. Und ich wieder unserem Klimawandelprojekt an. Heute fällt es mir relativ schwer mich zu konzentrieren. Mein Hals sticht total und ich ernähre mich gefühlt den ganzen Tag nur von Hals- und Hustenbonbons.
Kurz bevor wir dann nach Orcier zu den Périscolaires auf machen, ruft T2 (auch ein Animateur in Orcier, mit dem M. Momentan die Großen betreut) an und berichtet von seiner Autopanne. Kurz gefasst bedeutet dass: M. Und ich müssen die Großen ohne einen ausgebildeten Betreuer bespaßen. Wir machen auf Deutsch eine kurze Krisenbesprechung und einigen uns auf ein paar Spiele, die wir mit den Kindern spielen können. Im Bus eröffnet uns M2, dass wir nicht in der Sporthalle, sondern in der Bibliothek sind. Das heißt wieder neue Spielideen müssen her halten.
Das Aufrufen der Kinder funktioniert ganz gut. Aufgrund meiner Halsschmerzen mache ich aber sehr häufig vom „Tête de lama“ Gebrauch. Das ist im Prinzip der „Leise-Fuchs“. Aber weil wir ja aus dem Centre mit den Lamas kommen, wurde der Fuchs kurzer Hand umfunktioniert. Manche Kinder sind auch tatsächlich leise, als sie den Lamakopf mit ihren Fingern machen. Manche haben aber den Sinn dahinter scheinbar noch nicht so ganz verstanden. Ich muss lauter werden, als es meiner Stimme gut tut. Nach einigen Runden Seven-Up (ein Spiel, bei dem die Kinder mal ein bisschen zur Ruhe kommen müssen/sollten) und einem Veränderungsspiel, ist die Stunde dann auch schon rum. Ich bin stolz. Denn so schlimm war es gar nicht. Und es hat auch einigermaßen geklappt. Donnerstag und Freitag müssen wir zwei uns auch noch einmal alleine um die Großen kümmern. Davor graut es mir nach heute nicht mehr so sehr. Zumal es immer ein paar Kinder gibt, die wirklich spielen wollen und den anderen Kindern sagen, dass sie leise sein sollen. Klappt mehr oder weniger.
Nach TAP fahren wir zum Centre und widmen uns Domingo und Pakita. Der Heimtransport für die beiden steht an. Den Winter über sind die zwei nämlich leider nicht bei uns im Centre, sondern bei ihrem Halter. M. Und ich haben schon die ganze darüber gegrübelt, wie M2 zwei ausgewachsene Lamas transportieren möchte. Die Antwort wird uns direkt geliefert. Der Camion wird nah an den Stall von Mutter und Sohn herangefahren, die Hintertür geöffnet und die zwei Lamas erbarmungslos an einem Strick in den Camion gezerrt. Sie meint es also wirklich ernst. Im Nebensatz wird uns dann mitgeteilt, wer die Ehre hat den Camion zu fahren. Wir beide. M2 fährt in ihrem eigenen Auto vor. Na super. Das hat mir gerade noch gefehlt. Zwei Lamas im Kofferraum. Ungesichert. Ohne jegliche Trennwand zum Fahrer und Beifahrer. Ich sehe die Lamas schon förmlich durch die Windschutzscheibe fliegen. Und dann muss auch noch einer von uns beiden fahren. Ich fühle mich seit Sonntag gänzlich ungeeignet zum Fahren. Mir ist klar, dass dem Camion ein Unfall mehr oder weniger auch nicht viel ausmachen würde, allerdings mir. Zum Glück hat M. Kein Problem damit zu fahren. Mit zwei Lamas im Gepäck. Mein Job besteht beruhigend von vorne auf die Lamas einzureden. Ich schlage ihnen permanent vor, dass es doch viel besser wäre sich hinzulegen. Entweder benutze ich jedoch das falsche Vokabular (oder die falsche Sprache. Ich bin davon ausgegangen, dass sie Französisch verstehen. Vielleicht hätte ich aber mehr Erfolg mit Lamaisch gehabt. Allerdings hätte eine blökende N. M. Vermutlich komplett aus dem Konzept gebracht) oder die zwei sind einfach stur. Nach einer Weile legen sie sich endlich hin. Diese dünnen Lamabeinchen, die verzweifelt Halt suchen, waren auch nicht gerade schön anzusehen. Auf unserem Weg ziehen wir die Aufmerksamkeit von sämtlichen Passanten auf uns. Wann bekommt man in der Provinz auch schon zwei Lamas zu sehen? Und dazu noch in einem relativ normalen Auto... Vermutlich haben wir insbesondere einer Gruppe Schulkindern den Tag versüßt.
Irgendwann fange ich an, das Auto mal ein bisschen unter die Lupe zu nehmen und mache die Papiere ausfindig. Nicht, dass wir einen Unfall bauen wollen, aber Vorsicht ist ja bekanntlich besser als Nachsicht. Kurz bevor wir am Ziel eintreffen, erblicke ich etwas – oder besser gesagt jemanden -, der mein Herz kurzzeitig zum Stillstand bringt: Polizei! Ich blicke panisch nach hinten. Die Lamas liegen zum Glück immer noch auf dem Boden. Nur ihre Köpf kann man bei genauem Hinsehen durch die Fenster sehen. Ich bitte inständig, dass die Polizisten gerade etwas anderes im Kopf haben, als zwei ziemlich verzweifelt aussehende beinahe noch Jugendlichen in einem riesigen Auto mit zwei Lamas anzuhalten. Und das Glück ist auf unserer Seite. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie unser Transport in Deutschland geahndet worden wäre.
In Pakitas und Domingos zu Hause angelangt, ist C., ihr Halter, leider nicht da. Darum laden wir die zwei einfach aus und stellen sie auf die Weide zu den anderen zwei Lamas. Das ist ein großes Wiedersehen! Scheinbar handelt es sich um eine Familienwiedervereinigung. Beglückt hüpfen Pakita und Domingo über die grüne Wiese und genießen es wieder daheim zu sein.
Als M. Und ich wieder in der Wohnung sind, statte ich A.-M. Einen Besuch ab, um ihr von unserem Internetproblem zu berichten und zu fragen, wann wir los müssen um pünktlich zum Vortrag zu kommen. Das Internet muss bis Donnerstag warten, erklärt sie uns in ihrem Auto auf dem Weg nach Orcier. Vor dem Veranstaltungsraum (, bei dem es sich im Übrigen um die Turnhalle handelt, die wir aus TAP kennen,) haben sich einige Leute versammelt. Nach und nach stellt sich heraus, dass es sich um die Badminton-Leute handelt, bei denen ich eventuell mal vorbeischauen wollte. Herzlich werde ich zum nächsten Mal eingeladen. Ich freue mich unglaublich.
Dann läuft uns wieder T., die Bürgermeisterin, über den Weg. Sie scheint eine gute Freundin von A.-M. Zu sein. Einerseits freue ich mich sie zu sehen, andererseits frage ich mich als sie mich mit Küsschen begrüßt, warum ich sie immer in unangebrachten Situationen oder Lagen treffe. Erst mit stinkenden Lamaschuhen auf dem Elternabend, heute mit Viren infiziert auf einem Vortrag. Was wird da bloß noch folgen?
Der Vortrag handelt von Vertrauen und beruht im Prinzip auf der Grundaussage: Man (insbesondere das Kind) kann nur Selbstvertrauen aufbauen, wenn andere einem das Gefühl geben, dass sie ihm etwas zutrauen und vertrauen. Ich sitze neben A.-M. Wir sind etwas zu früh. Zeit genug für ein Schwätzchen. Nach einigen Ausflügen in die französische Sprache und der Feststellung, dass die Leute hier in der Gegend häufig „y“ in ihre Sätze einbauen und „on“ statt „nous“ sagen (darin sieht A.-M. auch ein großes Problem. Wenn man kommuniziert, sollte man sich präzise ausdrücken. Über „on“ kann man alles Mögliche sagen. Nur nicht, dass es präzise ist... Und vor allem „on“ mache es den Kindern manchmal schwer zu begreifen, dass „wir“ alle aufräumen und nicht „on“.), beginnt der Vortrag. Die Referentin scheint mir selbst noch teilweise ein Kind zu sein. Ihre Vortragsweise ist angenehm. Ich verstehe beinahe alles.
In der anschließenden Fragerunde wird mir klar, dass Eltern auch in Frankreich besorgt sind, was Kindererziehung angeht. „Habe ich in der Situation richtig gehandelt?“ ist eine häufig gestellte Frage.
Nach einem langen und interessanten Abend fahren wir wieder nach Hause. Ein Kamillendampfbad später, falle ich ins Bett. Blöder Weise kann ich aber partout nicht schlafen. Ich weiß nicht woran es liegt. Müde bin ich. Vor mir liegt eine schlaflose Nacht. Ich wache gefühlt alle fünf Minuten auf.
Mittwoch, 30.09.2015
Ich fahre nach Hause - nach Deutschland - mache die Wohnungstür auf. Wie viel sich innerhalb von einem Monat verändern kann. Unser Flur ist einem riesigen Speisesaal gewichen. Alles ist in warmen Orangetönen gestrichen und liebevoll im gleichen Farbton dekoriert. Von der Decke hängen orangefarbene Seidenbaldachine und es sind überall Tische und Stühle aufgestellt. Im Raum tummelt sich meine gesamte Verwandtschaft und aus einem unerfindlichen Grund sind auch die Studiumsfreunde meiner Eltern da. Ich glaube es soll eine Art Willkommensfeier darstellen. Stopp! Ich mache die Augen auf und bin verwirrt. Beinahe erwarte ich, dass in meinem Zimmer alles in Orange ist und ich mich in einem Himmelbett wiederfinde. Ist aber nicht so. Stattdessen fällt mir ein, was mir der Traum vielleicht sagen wollte. Mein Opa hat Geburtstag. Ich wollte Skypen. Aber... Mein Hals tut extrem weh. Und nicht nur mein Hals. Meine Ohren tun weh. Meine Arme, meine Beine, mein Kopf. Aus dem Skypen wird wohl nichts mehr werden. Ich schlafe wieder ein. Als ich das nächste Mal wieder aufwache, ist es halb sieben und ich entscheide, dass ich nicht arbeiten gehen werde. Ich schlafe wieder ein. Ich wache wieder auf, schreibe L. Eine SMS, schlafe wieder ein. Wache wieder auf, tapse in die Küche, mache mir Wärmflaschen, eine Thermoskanne mit Erkältungstee, inhaliere, gehe wieder ins Bett. Dann schlafe ich den Tag mehr oder weniger durch. Ich bekomme noch nicht einmal mit, als M. Von der Arbeit kommt. Als ich das nächste Mal aufstehe, kann ich durch mein Fenster schon die Lichter der Städte um den Genfer Sees im Dunkeln sehen. Aber wirklich erfreuen kann ich mich daran heute nicht. Ich hasse es krank zu sein. Und sein wir mal ehrlich: Einigermaßen erträglich ist eine Krankheit doch nur, wenn man weiß, dass man mit Tee und Wärmflaschen versorgt wird. Und wenn man weiß, dass immer mal wieder jemand vorbeischaut und guckt wie es einem geht. Hier bin ich aber auf mich allein gestellt. Ich muss an meinen Traum denken. Vielleicht war es auch in gewisser Art eine Prophezeiung, was ich in den nächsten Tagen am meisten vermissen werde. Meine Familie und meine Freunde. Menschen, die mich auf Anhieb und auch ohne Worte verstehen. Die für mich da sind, wenn alles mal nicht so läuft wie gedacht.
Ich will gesund werden ganz dringend. Mit diesem Gedanken schlafe ich wieder ein...
Donnerstag, 01.10.2015
...und die Nacht durch. Ich kann es nicht glauben, dass ich quasi 24 Stunden am Stück geschlafen habe. Zumindest die Gliederschmerzen sind verschwunden. Als ich aufstehen möchte, dreht sich alles. Ich muss mich erst einmal hinsetzten. Nachdem ich geduscht habe, bin ich aber schon wieder k.o. und lege mich wieder ins Bett. Ich sage L. Wieder Bescheid, dass ich es nicht schaffe zu kommen. Scheinbar hat sich aber unser oberster Chef und gleichzeitiger Mentor angekündigt. Er will uns heute kennenlernen. Und falls es ginge, solle ich doch bitte, bitte trotzdem kommen.
Im Halbschlaf packe ich meinen Rucksack. Als M. Und ich darauf warten abgeholt zu werden (der Camion ist seit gestern Abend in der Werkstatt, weil er zwei kaputte Außenspiegel hat. Nicht wegen uns...), mache ich es mir auf einer Steinmauer bequem und schlafe beinahe ein. Eine nasse Hundeschnauzen an meinem Ohr reißt mich aus dem Halbschlaf. Jacques stattet mir einen Besuch ab. Hach, was würde ich nur ohne ihn machen?
Als dann M2 mit ihrem Auto kommt, setzt ich meinen Schlaf so mehr oder weniger fort. Auf der Arbeit bearbeitet mich L. Erst einmal, dass er mich zum Arzt schleppt, wenn es nicht besser wird.
Für Viertel nach zwei hat sich F. (oder Monsieur L.? Ich bin mir unsicher, wie ich ihn nennen soll. Auch nach dem Gespräch.) angekündigt. Um kurz vor halb ist er dann schließlich da. Es folgt ein lockeres Kaffeetrinken. Danach setzt sich F. Separat mit L., M. Und mir hin, stellt sich vor und fragt uns ob alles in Ordnung sei. Er redet viel. Sehr viel. Aber zum Glück relativ langsam. Und sobald ich etwas nicht verstehe, frage ich. Ich glaube aus Angst, dass ich ihm vom Stuhl kippe, fixiert er bei seinem Vortrag primär mich. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich auf das reagiere, was er sagt und ab und an etwas einwerfe. So gut es eben geht. Mein Kopf ist voll und fühlt sich an wie in Watte. Aber F. Ist nett. Das ist die Hauptsache. Nachdem er uns angeboten hat, dass wir ihn immer anrufen oder ihm eine Email zuschicken können, ist der Besuch auch schon vorbei. M2 bringt mich vor TAP nach Hause und ich packe mich wieder ins Bett und schlafe.
Freitag, 02.10.2015
Dank einer Nurofen haben sich meine Ohrenschmerzen verkrümelt. Mein Hals kratzt noch etwas, aber es ist bedeutend besser als Mittwoch. Beschwingt wasche ich zwei Ladungen Wäsche. Schließlich möchte in in Narbonne ja auch etwas zum Anziehen haben. Punktgenau schaffe ich es noch die Wäsche aufzuhängen, bevor uns M2 wieder einsammelt und zum Centre fährt.
Dort steht für M. Und mich eine Mammut-Aufgabe an: Der verlassene Lamastall muss nun vollkommen ausgemistet werden. Wirklich alles muss raus. Am Anfang bin ich optimistisch. Aber nach und nach stellt sich heraus, dass das alles niemals in unsere drei Gartenabfallsäcke passt. Und als wir dann ganz hinten im Stall beginnen, die fest getrampelte Stroh-Crotte-Lehm-Schicht abzutragen, wird uns beiden klar, dass da mehrere Male zur Mülldeponie gefahren werden muss. Heute schaffen wir das nicht mehr.
In Orcier erwarten uns kopflose Kinder, die nicht verstehen, was es heißt sich ruhig in einem Kreis auf den Boden zu setzten. Der Unterschied zwischen Stuhl und Boden ist in Orcier noch nicht so ganz angekommen. Es folgt eine Stunde, wie ich es noch nie erlebt habe. Alle schreien durcheinander, meine Stimme ist nach der Stunde nicht mehr vorhanden. M. Ist auch hochgradig genervt. So sehr, dass er die Kinder einmal auf Deutsch anfährt. T. Tanzt so sehr aus der Reihe, dass sich M2 um ihn kümmern muss. Außerdem ist auch noch ein neues Mädchen, S., in der Klasse. Sie ist scheinbar ein Kind von Zirkusleuten und darum nur vorübergehend da. Die anderen Kinder lassen kein gutes Haar an ihr, sie ist im Umkehrschluss aber auch nicht wirklich nett. Ich bin ratlos. Ich würde gerne den Streit schlichten, aber das ist nicht so leicht, wenn ich inhaltlich nicht verstehe, was sich die Kinder gerade an den Kopf schmeißen.
Erschöpft beschließen wir, dass wir die letzten fünf Minuten als „Minuten der Stille“ deklarieren und den Kindern erlauben sich Bücher an zuschauen.
Völlig fertig geht es zurück zum Centre um die letzten Dinge zu unserer Fahrt nach Narbonne zu klären. Nach einigem Hin und Her eröffnet uns L. Seinen genialen Plan. Wir sollen am Montag Morgen mit dem Camion zum Bahnhof fahren und ihn dann parken. Allerdings nicht dort, wo es etwas kostet oder illegal ist. Danach sollen wir wie geplant in den Zug steigen und dann in einer SMS beschreiben, wo der Camion steht, damit L. Ihn mit dem Zweitschlüssel abholen kann. Ich bin mal gespannt, ob wir einen Parkplatz finden und es irgendwie schaffen zu beschreiben, wo er steht... Auf Narbonne freue ich mich jedenfalls schon total. Hoffentlich lerne ich mal Leute in meinem Alter kennen und sehe etwas von der Stadt.
Abends sehe ich mir eine Reportage über Psychiatrien in Frankreich an, die mein Psychologen-Herz höher schlagen lässt, und packe schon einmal grob für Narbonne. Meinen geplanten Ausflug nach Genf morgen habe ich im Hinblick auf meine Gesundheit abgesagt. Leider. Aber A. Kommt bestimmt noch einmal in die Gegend.
Samstag, 03.10.2015
Ich kann es kaum glauben, aber meine Halsschmerzen sind beinahe weg. Leider auch meine Stimme. Als allererstes verkrieche ich mich darum unter einem großen Handtuch und inhaliere. Da klopft es ans Küchenfenster. A.-M. Steht draußen und erschrickt sich erst einmal, wie fertig ich aussehe. Nach einem Plausch über das Internet, Gardinen und einer Reihe von Ermahnungen, dass ich langsam machen soll, kehre ich zurück zu meinem Kamillendampfbad.
Dann fahren M. Und ich einkaufen.
Da die Sonne so schön scheint, ich aber nicht joggen gehen kann, lege ich mich auf das dekorative Mäuerchen vor unserem Haus und lese ein bisschen. Das ist so schön entspannend. Außerdem tut die Sonne mal gut. In der letzten Woche habe ich beinahe keinen Sonnenstrahlen abbekommen. Das wird mir erst jetzt bewusst.
Als es dunkel wird packt mich die Putzlust und ich schwinge den Staubwedel und versuche verzweifelt mit unserem sehr saugschwachen Staubsauger ein bisschen Reine zu machen. Nachdem das Bad auch geputzt ist – zu meinem Leidwesen leider nicht mit umweltfreundlichen Putzmitteln. Momentan brauchen wir noch das auf, was uns unserer Vorgänger da gelassen haben. -, packe ich für Narbonne. Optimistisch schmeiße ich eine Sonnenbrille in den Koffer. Ich bin mal gespannt, ob ich die brauchen werde. Vorsichtshalber packe ich dann auch noch einen Regenschirm ein.
Nachdem auch das erledigt ist beschließe ich, dass ich mein Zimmer umstellen sollte. Kurzerhand schiebe und räume ich und bin mit meinem Ergebnis dann doch ganz zufrieden. Durch Masking-Tape (das ist Klebeband, welches optimaler Weise keine Spuren an den Wänden hinterlassen sollte... Hat bei mir zu Hause nicht ganz so geklappt wie versprochen. Aber hier ist es egal, da meine Wände holzvertäfelt sind.) wird mein Zimmer auch immer ansehnlicher. Nur einen Schreibtisch vermisse ich. Vielleicht sollte ich mal bald einen IKEA aufsuchen. Und sei es nur, damit ich Mozarella-Taschen essen kann.
Hach, so ein Putztag ist herrlich. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht nur die Wohnung, sondern auch mein Innenleben ein bisschen aufgeräumt habe und fühle mich gleich viel gesünder.
Immer mal zwischendurch fällt mir ein, was heute für ein besonderer Tag ist: Tag der deutschen Einheit. Wie gerne wäre ich zu Hause um mit meinen Freunden auf „das Fest“ zu gehen und meinen Lieblingsmusiker live zu erleben. Aber man kann bekanntlich nicht alles haben. Und so kuschel ich mich ins Bett und lese ein bisschen. Eine Beschäftigung, die bei mir im letzten Jahr aufgrund des Abis ziemlich gelitten hat. Hier habe ich aber viel Zeit und auch den freien Kopf zum Lesen und der E-Reader ist häufig in Gebrauch. Draußen regnet es und die Tropfen klatschen an mein Fenster.
Sonntag, 04.10.2015
Am Morgen ist der Regen vergessen. Die Sonne scheint und lädt mich förmlich dazu ein, einen Spaziergang zu machen. Ich schreibe ein paar E-Mails (bzw. versuche es, da das Internet mal wieder nicht funktioniert) und gehe dann zu A.-M. Um Bescheid zu sagen, dass ich die Hunde mit nehme. Sie lädt mich kurzerhand zu einem Kaffee ein. Gemütlich sitze ich mit ihr und ihrem Mann B. Auf der Terrasse, unterhalte mich und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. In Deutschland habe ich immer mit meinen Eltern Sonntags Kaffee getrunken. Vielleicht habe ich eine ähnliche Aktivität hier nun auch gefunden. Zunächst reden wir über das kommende Seminar und B. Bietet uns an, dass er uns am Montagmorgen nach Thonon fahren könne, da es unmöglich sei einen Parkplatz zu finden. So können wir morgen den Camion stehen lassen und gelangen – hoffentlich entspannt – zum Bahnhof.
Wir untersuchen die verschiedenen Begrüßungsarten der Deutschen und der Franzosen. Anstoß dazu gibt uns J., A.-M.s Sohn, der mir freudestrahlend zur Begrüßung die Hand schüttelt.
Ich werde darüber unterrichtet, dass alle Häuser um mich herum der Familie meiner Vermieterin gehören und vermietet werden. So soll heute beispielsweise eine Kamerunerin kommen. Ein bisschen erinnert mich das Ganze auch an meine eigene Oma. Denn A.-M. Erzählt mir auch von der Zeit, als sie noch das Hotel betrieben haben (, das mittlerweile halb abgerissen ist und saniert wird) und die Söhne immer mit anpacken mussten.
Nach einiger Zeit schnappe ich mir dann alle drei Hunde und mache mit ihnen einen ausgiebigen Spaziergang. Vielleicht etwas zu ausgiebig. Blava trottet mir am Ende nur noch sehr langsam hinterher und ich bleibe vorsichtshalber immer mal stehen. Schließlich will ich nicht, dass sie mir umfällt. Als wir durch den Wald kommen, fallen plötzlich Schüsse. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Sind wir etwa gerade in einem Jagdgebiet? Die drei Hunde sind nicht angeleint und laufen kreuz und quer durch den Wald. Glücklicherweise schaffen wir es unbeschadet durch den Wald. Ich bemerke, dass auch bei uns langsam der Herbst ankommt. Die Blätter färben sich langsam orange und eine Laubschicht bedeckt den Boden. Die Sonne steht relativ tief und scheint mir warm und angenehm ins Gesicht. Beschwingt schlendre ich nach Hause. An meiner Seite stets Gina, schnaufend hinter mir Blava und immer vorauseilend Jacques.