Fremdsein, per favore!
Ein verzweifelter Versuch sich in Rom in Mitten des Massentourismus fremd zu fuehlen. Doch Apple hat die Rechung nicht mit der vorherrschenden Natur gemacht.
Fremd in Europa zu sein war einst einfacher schaetze ich.
Die ewige Stadt. Den Tiber folgend erstreckt sie sich ueber ein Gebiet soweit das Auge reicht. Das heisst soweit es reichen wuerde, wenn es nicht an einer der Myriaden Prachtbauten haengen bliebe. Rom, so scheint es, thront unbeeindruckt von all den Krisen und Kriseln in Europa ueber seinen Daechern. Aber wie alles das ueber 2 Jahrtausende alt ist, so ist auch dieser Eindruck mit Vorsicht zu geniessen.
Man kann damit beginnen. Man kann ruhig damit beginnen sich in den Strom zu werfen, der einen sofort mitreissen moechte sobald man ein oeffentliches Verkehrsmittel, egal welcher Art nach Rom verlaesst. Es ist, als ob man, der vermeintlich Fremde, bereits erwartet worden waere. Jedenfalls kennt der freundliche Taxifahrer sofort die beste Moeglichkeit, wie man zu seiner Ferienwohnung gelangt und irgendwo her weiss er wohl auch, dass man zu viel Geld dabei hat. Freundlich erscheint auch der Vermieter. Bis auf den Eindruck, dass er moeglichst wenig mit einem selbst zu tun haben moechte. Wenigstens das wirkt ein wenig befremdend.
Strom abwaerts erreicht man schliesslich die postkartenwuerdigen Ikonen der Stadt. Die vatikanischen Museen, die Villa di Medici, das Kolosseum selbstredend und den Rest der Myriaden. Dort wagt man den Versuch, den Versuch, sich fremd zu fuehlen. Fremd in diesen fuer einen selbst unerforschten Schemen der Vergangenheit. Ein auslaendischer Forscher voll Liebe zu einer Kultur auf den Spuren der Roemer und nachfolgender Dynastien. Man –
“Wanna buy beer, water?”. Kopfschuetteln. Wegschauen. Irgendwo auf dem Weg nach unten wird man von dem Zauber erleost, hier finde sich Vergangenheit. Ein Meer aus Touristen klafft in Wellen gegen alles in Rom, was auf irgendeine Art befremdet. Und auf diesen schwimmen Dutzende freundlicher Menschen, die Dank ihrer zuvorkommenden Natur, genau das dabei haben, was man gerade am noetigsten braucht. Vertrautheit erweckend, nicht wahr?
Auf keinen Fall befriedigend. Irgendwo zwischen dem gescheiterten Versuch den Petersplatz zu bewundern, der von uns Touristen ueberannt ist und dem 20. Mal Klarstellen, dass man im Moment, weder Wasser noch Bier noch eine I-Phone Fotoverlaengerung fuer den perfekten Selfie gebrauchen kann, faengt man an zu hoffen, der Feldherr vor einem auf der oeffentlichen Toilette habe dann doch nicht allzu viele Spuren hinterlassen.
Es ist schon witzig zu erleben, wie zwischen all den Verkauefern, Touristenfuehrern, Prade- und Diorlaeden und, um uns alle unter einem Begriff zusammenzufassen: “Smartphonetouristen” ein ganz ekelhaftes Gefuehl der Vertrautheit entsteht. Als koenne man in Rom alles be- und abnutzen, solange man nur genug Geld dabei hat. Spaetestens, wenn man anfaengt sich zu wundern, was wohl daran falsch sein mag, dass vor einem jemand sitzt, der Kopien von Markenprodukten verkauft deren Originalprodukte wohl irgendwie dazu beigesteuert haben, das Land fuer den Verkaufer attraktiv erscheinen zu lassen, und deren Kauefer trotz minderer Qualitaet und fraglicher Herkunft der Produkte, diese gerne kaufen, um so zu tun, als koennten sie sich diese leisten – spaetestens dann wuenscht man sich dieses Verhalten wuerde einem fremd vorkommen.
Aber das tut es einfach nicht. Im Gegenteil. Die blossen Massen, die mit Einkaufstuete,Sonnenbrille und Smartphone ausgestattet entlang der Via del Corso zwischen den Konsumpalaesten walten, um all jenes Glueck zu finden, welches es fuer Geld zu kaufen gibt, wecken eine ungewollte Assoziation mit der Heimat. “
Sconti!”, “Sconti!”, “Buy now!”, “Sconti!” – SCHNITT.
Pfeifen. Schnitt. Pfeifen. Schnitt. Interessant. Schnitt.
Ich kann mich nicht daran erinnern, wann sich zuletzt ein Friseur nur mit einer Schere bewaffnet an meine staehlernen Locken gewagt hat. Ich bin es gewohnt, dass versucht wird, diese moeglichst schnell mit einer kraeftigen Maschine einzuschuechtern. Der Maestro des Barber Shops am Termini, so heisst der Hauptbahnhof in Rom, sieht das anders. Erst war es eigenartig einen Friseurladen zu betreten ohne sich mit den Besitzern verstaendigen zu koennen. Wir waeren schon zu recht gekommen, klar. Aber das Angebot des Kunden neben als Dolmetscher zu dienen, hat mich dann doch sehr erleichtert. Und dann machte es einfach spass dem Meister zuzusehen.
Schneiden. Schneiden. Pfeifen. Ein bisschen Wasser. Schneiden. Pfeifen. Als haette er sich dazu entschieden, den ganzen Tag nichts anderes zu machen, als meine Haare zu schneiden. Bis zu dem Zeitpunkt des letzten Feinschliffs, zu welchem er gleich fuenf Werkzeuge zur Hand zog, hatte er mir wohl kein einziges mal ueber den Spiegel in die Augen geschaut. So fixiert war er auf dam Ausueben seiner Kunst. Und das Ergebnis? Konnte sich sehen lassen.
Mittlerweile hatte ich es verstanden Italien, oder zumindest Rom, nicht dort zu suchen, wo es einem angeboten wird. Ich neigte nun eher dazu mit der Metro die auesseren Stationen anzusteuern. Natuerlich konnte ich einen Blick auf die Sapienzia, der groessten Universitaet Europas, nicht widerstehen. Aber genauso wenig der Versuchung meiner Neugier durch das umliegende Viertel zu folgen. Und als ich entlang einer dieser italienischen Strassen, deren Anblick Seehofers Moutplaene jeglicher Grundlage entzieht, entlang trottete, sah ich sie.
Sie, das war eine junge Italienerin so um die 30 (sie haette auch 60 sein koennen, bei den Italienern weiss man das nie). Da war sie und da ging sie ueber die Strasse. Und in ihrer linken Hand hielt sie zwei Tueten vollgepackt mit Lebensmitteln. Ueber ihrer rechten Schulter hing eine Art Bilderrahmen. Ein ueberdimensionierter Bilderrahmen von der Groesse eines Doppelfensters. Und in dieser Hand hielt sie ein Mobiltelefon. Und sie telefonierte. Und sie lachte. Und sie tat all das mit einer Leichtigkeit, die einen jungen Spatzen, wie einen alten Elefanten aussehen gelassen haette.
Eine derartiges Vermoegen die Kleinigkeiten der Welt zu ignorieren und sich in dem Treiben zu lassen, was wichtig ist, ist mir aus meiner Heimat nicht bekannt. Daher bleibt mir zu sagen: Die Frau mit dem ueberdimensionierten Bilderrahmen und der Friseur mit seiner kuenstlerischen Hingabe haben mich mit ihrem, mir unbekannten, Wesen befremdet. Sie haben mir das Italien hinter den Prachtbauten und zwischen den Einkaufsfarmen gezeigt. Und so werde ich es in Erinnerung behalten.
Moriarty