Familienbesuch
Wie es ist, wenn die Familie plötzlich da ist und wie wir die Provence unsicher machen
Samstag, 26.03.2016
Heute kommt meine Familie. Endlich! Es ist nicht so, dass ich hier Heimweh habe. Überhaupt nicht. Aber trotz allem ist es ein schönes Gefühl bald die Menschen um einen herum zu haben, die einen bedingungslos lieben und einen immer unterstützen. Allein diese Tatsache würde mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Dazu kommt dann noch das wunderbare Wetter. Die Sonne strahlt vom Himmel und ich kann endlich meine Sonnenbrille auspacken. Der Frühling kommt. Alles beginnt zu blühen, die Vögel zwitschern.
Nachdem ich mein Zimmer Familienbereit gemacht habe (Bereits im Februar hat mich der Frühlingsputzwahn gepackt und ich habe mein Zimmer auf den Kopf gestellt. Diese Umstellaktion endete darin, dass mein Zimmer nun viel größer wirkt, ich aber den Fernseher nicht mehr benutzen kann, da die Kabel zu kurz sind. Fernsehschauen wird ja schließlich aber auch überbewertet, nicht wahr?), klingel ich bei A.-M. Um die Hunde abzuholen. Irgendwie bleibe ich aber ein paar Stündchen bei ihr hängen. Als ich schließlich wieder draußen stehe, ist es beinahe Zeit. Zeit, dass meine Familie da sein sollte. Ich sitze draußen in der Sonne und warte. Und warte. Und warte. Als unser Auto um die Ecke kommt und auf dem Parkplatz zum Stehen kommt, ist die Freude groß. Ich falle allen um den Hals, stelle fest, dass mein Bruder noch mehr gewachsen ist und strahle wie ein Honigkuchenpferd. Ich bin glücklich. Unglaublich glücklich.
Einerseits ist es wunderbar die drei hier bei mir zu haben, andererseits ist es aber auch komisch. Ich habe mir hier ein eigenes Leben aufgebaut. Ohne sie. Und ich bin gespannt, wie es sein wird, wenn ich sie nun in dieses Leben integriere.
Nachdem wir ein bisschen Karottenkuchen (Schließlich ist ja Ostern. Davon wollen wir ja auch etwas mitbekommen. Ostern ist in Frankreich nicht sonderlich wichtig. Besonders in den Supermärkten fällt die Schokoladenhasen-Armee nicht wirklich ins Auge…) gekostet haben, machen wir uns mit M. Auf in Richtung Thonon. Dort wird erst einmal der Intermarché unsicher gemacht – dies dauert etwas länger. Zum einen da es sich um ein ganz ungewohntes Sortiment und eine andere Einrichtungsart handelt. Da kann es dann schon mal zwei Stunden dauern bis man die heißersehnte Maisdose gefunden hat. - und dann in der Sonne flaniert. Wir schlendern hinunter zum Hafen und genießen auf dem Steg die Sonne.
Sonntag, 27.03.2016
Das eigentlich obligatorische Eiersuchen wird heute etwas abgewandelt. Schließlich muss man sich auch etwas an das Alter der Suchenden anpassen. Nach einem guten Frühstück machen wir uns zu viert auf den Weg nach Montreux. Montreux liegt ca. eine Stunde Fahrt von uns entfernt und auf der Schweizer Seite. Bereits im Vorhinein stellen wir uns darauf ein, dort kein Festmahl ein zunehmen.
Auf halber Strecke beginnt es zu Regnen. Warum ausgerechnet jetzt? Gestern war das Wetter doch noch so gut. Es ist unglaublich wie schnell sich die Landschaft verändert sobald man die Grenze passiert hat. Während auf der französischen Seite sich Bauernhäuschen an Scheune reiht, sucht man diese Mixtur auf der Schweizer Seite vergeblich. Stattdessen gibt es hier aber neben einem verdächtig nach Atomkraftwerk aussehenden Gebäude, wunderschöne Schlösser zu entdecken. Als wir das Chateau Chillon passieren, setzte ich mir in den Kopf jenes unbedingt anschauen zu müssen. Da machen sich dann die Prinzessinnenträume eines jeden Mädchens bemerkbar…
Ich bin von dem Schloss so begeistert, dass ich meine drei Mitstreiter sogar mitreißen kann und wir uns nach einem etwas längeren und sehr nassen Spaziergang (Endlich konnten wir unsere vorsichtshalber eingepackten Regenschirme mal benutzen. Das hat ja auch etwas Gutes. Positiv bleiben.) vor dem Chateau Chillon wieder finden. Da der Eintritt aber enorm ist, muss ich meinen Träumen dieses Mal außerhalb der Schlossmauern nachhängen. Nachdem wir die chinesischen Touristen und die voll ausgestatteten Taucher eingehend gemustert haben, machen wir uns entlang an der Uferpromenade wieder auf den Rückweg bzw. auf den Weg in die Innenstadt. Denn wie wir feststellen müssen, liegt das Schloss doch etwas außerhalb von Montreux. Aber gegen einen Sonntagsspaziergang hat niemand etwas einzuwenden. Der Weg wird immer mal wieder von interessant geschnittenen Büschen gesäumt, die scheinbar auf die kulturelle Vielfalt oder Offenheit gegenüber anderer Kulturen aufmerksam machen soll. So finden wir eine Windmühle (Spanien) neben den Bremerstadtmusikanten. Der Höhepunkt dieser imaginären Reise wird für meine Mama eindeutig von dem Freddie Mercury Denkmal gebildet, welches direkt von allen Seiten und in allen erdenklichen Perspektiven fotografiert wird. Und nicht nur meine Mama ist von Freddie begeistert. Auch die ganzen Touristenshops, die uns über den Weg laufen, sind von ihm begeistert. Je näher wir der Innenstadt kommen, desto merkwürdiger gekleidet sind die Menschen um uns herum. Wir brauchen eine Weile um herauszufinden, warum man in Monsterkostümen an einem Tag, der nicht Halloween ist, herum laufen sollte. In der Tat handelt es sich aber nicht um spontane Punktmutationen, sondern viel mehr um ein Comic/Manga-Event, das sich großer Beliebtheit erfreut. Das Publikum und die doch eher wohl situierte Stadt stellen eine widerwillige Mixtur dar. Noblesse neben billigen Pokemonkostümen. Das muss man mal gesehen haben!
Trotz unseres Vorhabens nicht großartig etwas in der Schweiz zu essen, überkommt uns irgendwann der Hunger und ich werde vorgeschickt um etwas Essbares zu besorgen. Nachdem alle satt und zufrieden sind, machen wir uns wieder auf den Heimweg.
Aus dem Auto kommend, läuft uns A.-M. Über den Weg. Ich stelle ihr meine Familie vor. Spontan werden wir zu einem Kaffee eingeladen. Und so kommt es, dass ich mit meiner Familie an einem Sonntagnachmittag bei meiner französischen quasi-Familie sitze. Es macht mich glücklich, die beiden verschiedene Leben - das deutsche und das französische - auf diese Weise vereinen zu können. Aber was mich noch mehr freut ist, dass sich alle gut verstehen. Und das, obwohl keiner so wirklich die Sprache des anderen spricht. Ein Lächeln oder ein Lachen genügt manchmal.
Abends nutzen wir noch die wunderbaren Lichtverhältnisse und beobachten die untergehende Sonne auf den Chateaux des Allinges. Der Ausdruck „to be on top of the world“ beschreibt meinen Zustand ganz treffend. Zum einen bin ich auf dem höchsten Punkt in der Umgebung. Zum anderen bin ich total glücklich. Glücklich meine Lieben um mich zu haben.
Montag, 28.03.2016
Schon seit geraumer Zeit möchte ich wandern gehen. Im Winter bei Schnee hatte ich aber nicht großartige Lust womöglich von einer Lawine verschüttet zu werden. Und sonst verspüre ich nicht das Verlangen alleine los zustapfen. Darum kommt es mir ganz gelegen, dass meine Eltern einer kleinen Wanderung gegenüber nicht abgeneigt sind. Mein Bruder stimmt da weniger mit mir überein. Das könnte aber auch daran liegen, dass ich gestern Nacht bei dem Versuch im Dunkeln wieder in mein Bett zu gelangen, auf seinen Fuß getreten bin. Sei es ein Phantomschmerz oder ein starker Pubertätsschub (oder vielleicht auch seine normale Komfortabilität; existiert diese Wort überhaupt?). Er hat nicht sonderlich große Lust.
Mit dem Auto quälen wir uns den Berg hinauf. Immer weiter hoch geht es. Je höher wir kommen, desto mehr beschleicht mich die dunkle Ahnung, dass es oben kalt werden könnte. Denn der eigentlich grüne Straßenrand wird immer weißer… Als wir am Ausgangspunkt ankommen, beginnt es zu schneien. Wir beschließen, dass der Gipfel heute ohne uns auskommen muss.
Stattdessen machen wir einen kleinen Abstecher nach Yvoire und machen dort ein bisschen Schaufenstershopping.
Dienstag, 29.03.2916
Zwar ist meine Familie momentan da. Aber trotz allem ruft die Arbeit. Meine Eltern kommen aber heute noch kurz mit und werden dem Centre, Noisette und T. Vorgestellt.
Nach dem Tap machen wir noch Evian unsicher und finden zwei grandiose Bücherläden. Einen, in dem es fantastisch nach Kaffee duftet und einen anderen, der vor lauter spiritueller Utensilien aus allen Nähten zu platzen scheint. Leider ist das Wetter heute mal wieder nicht das allerbeste. Schade, denn so kommt die Uferpromenade überhaupt nicht richtig zur Geltung.
Nach diesem kurzen Trip, werde ich in die Gourmeterinnerungen von zu Hause entführt und verbringe einen schönen, entspannten Abend mit meiner Familie.
Mittwoch, 30.03.2016
Während meine Familie sich heute in Annecy vergnügen kann, muss ich arbeiten. Man kann ja schließlich nicht die ganze Zeit Urlaub haben. Und irgendwann muss man auch etwas Geld verdienen…
Heute tasten wir uns etwas an unser Gartenprojekt heran. Thematisch klug ausgeklügelt ist mein Plan. Für heute ist vorgesehen, dass wir uns an einen Miniaturgarten wagen – um dann in einer Woche unsere erworbenen Kenntnisse am echten Garten draußen zu testen. Die Kinder sind begeistert davon ihre Hände mit Erde einzuschmieren und in die kleinen Blumentöpfen Samen zu vergraben. Manchmal realisiere ich erst bei den Aktivitäten, dass es im Nachhinein nicht so lustig sein wird, das alles wieder aufzuräumen. Aber was tut man nicht alles, damit die Kleinen glücklich sind? Begeistert werden den Eltern dann am Ende die selbst gepflanzten Kräuter (wahlweise Salbei, Thymian, Basilikum oder Schnittlauch) und die gebastelten Schilder gezeigt und in die Hand gedrückt.
Als ich wieder zu Hause bin, geht es ans Packen. Morgen machen wir uns auf den Weg in den Süden Frankreichs. Voller Vorfreude wird die Sonnenbrille und Sonnencreme eingepackt.
Donnerstag, 31.04.2016
Der Plan ist eigentlich, dass wir heute ganz früh los fahren. Aber wie wir so sind, verschiebt sich die Abfahrt dann doch etwas nach hinten. Insbesondere, weil wir die neu gekaufte Kaffeemaschine (die alte wurde böswillig zerstört) ausgiebig testen. Dieser Urlaub ist voller Besonderheiten und Highlights.
Aber eine Sache freut mich ganz besonders: Ich freue mich aufs Autofahren. Wobei sich diese Aussage auch wieder kontrovers diskutieren lässt. Denn an sich finde ich Autofahren eigentlich nicht gut. Ich selbst konnte mir noch nie ein Bild der amerikanischen Fußgängerkultur machen, kann aber mit großer Bestimmtheit sagen, dass sie bei den Franzosen sich noch nicht so recht entfaltet hat. Auf keinen Fall in der Haute-Savoie. Allerdings freut es mich, dass es dazu kommt, dass ich sage, dass ich mich auf das Fahren an sich freue. Als ich in der Fahrschule war, sah das Ganze nämlich vollkommen anders aus. Dadurch, dass ich aber immer mit dem Camion fahren muss, bekomme ich zum einen Routine im Fahren, zum anderen kann ich mittlerweile auch ohne Probleme größere Gefährte steuern. Das Fahren mit unserem Auto ist darum erstaunlich einfach.
Wir rollen durch die Haute-Savoie. Vorbei an Annecy. Vorbei an Chambery. Vorbei an Grenoble. Meine Eltern dabei immer bedacht darauf auf eine Walnussfarm zu achten. Es geht schließlich nicht, dass man an Grenoble vorbeigekommen ist, ohne Walnüsse zu kaufen. Nach einigem Überlegen in der malerischen Landschaft beschließen wir aber einstimmig, dass es mehr Sinn macht uns die Kiloware auf dem Rückweg einzuladen.
Da das Wetter gerade sehr gut ist, die Landschaft wunderschön und ich vom Fahren müde, legen wir in einem kleinen, süßen Örtchen einen Stopp ein. Neben dem riesigen Aquädukt wartet eine verträumte Altstadt und ein antiker Waschplatz (der ganz im Übrigen eifrig von einer Dame genutzt wird) auf. Sogar die Sonne kommt heraus und gibt mir allen Grund anzunehmen, dass die vorhandene Sonnenbrille auf keinen Fall umsonst mitgenommen wurde.
Nach einer kurzen Pause fährt Papa weiter. Drei Stunden am Stück zu fahren reicht dann doch erst einmal. In schönstem Sonnenschein passieren wir Walnussbaumalleen, Valence, Montelimar, Mautstationen (Mittlerweile sind wir richtige Profis im Mautstationenpassieren. Und noch nicht einmal unsere Fahrertür musste unter dieser gewonnen Fähigkeit leiden. Ich bin stolz auf uns…), Orange, noch mehr Mautstationen. Mit der voranschreitenden Zeit zieht der Himmel immer mehr zu. Als wir uns kurz nach Avignon ist der Himmel so dunkel, dass wir fürchten nicht mehr trocken in Eyguières anzukommen.
Wir fahren von der Autobahn ab und landen direkt in der Provinz. Um uns herum befindet sich außer ein paar verkümmerten Bäumchen und trockenen Sandwegen nicht wirklich viel. Natürlich fahren wir an der einen Abzweigung falsch ab, bemerken es aber erst etwas später. So sehen wir aber wenigstens etwas von der Gegend. Nach einigen Irrwegen finden wir wenigstens den Ort. Das ist schon einmal geschafft. Entgegen unseren Annahmen ist Eyguières aber doch etwas größer als gedacht. Als wir die Stadt ca. zwei Mal mit dem Auto durchfahren haben, finden wir uns durch das Einbahnstraßenwirrwar und klingeln bei unserer Gastgeberin. I. Ist unglaublich herzlich und führt uns direkt durch unsere Ferienresidenz. Denn das, was uns hinter der mit Sicherheitscode gesicherten Tür erwartet, hat in meinen Augen wirklich den Namen Residenz verdient. Es handelt sich um das Paradies auf Erden. Es gibt einen Pool, eine Hollywoodschaukel, einen Hund, Schildkröten, viele Teelichter, einen Fitnessraum und eine gemütliche Leseecke. Kurz um: Alles, was das Herz begehrt.
Nach einem kurzen Plausch mit unserer Gastgeberin I. - Bei dem wir dafür ausgelacht haben, dass wir aus Angst, dass unser Auto aufgebrochen werden könnte, nicht mit dem Auto nach Marseille fahren wollen… I. Empfiehlt es uns aber entgegen der Angst meines Vaters doch. Solange wir immer der rechten Autobahn folgen würden, könne nichts schief laufen. - und der Erkundung unseres Appartements, welche unglaublich schön eingerichtete ist, widmen wir uns der Essenssuche. Diese gestaltet sich aber etwas schwieriger als gedacht. Je südlicher man kommt, desto schwieriger wird es für Vegetarier etwas Nahrhaftes zu finden. Nach einer Odyssee durch die Stadt (Die Leute, an denen wir teilweise vier Mal innerhalb einer Stunde vorbei gekommen sind, müssen sich ihren Teil zu uns denken…) landen wir schließlich an einem Pizzawagen. Ehrlich gesagt habe ich vorher noch nie einen Pizzawagen gesehen. Das deutsche Pendant ist vermutlich der Hähnchenwagen. Trotz anfänglicher Skepsis, habe ich lange nicht mehr so gute Pizza gespeist. Dazu kommt auch eine einmalige Atmosphäre, die durch die vorbeikommenden Franzosen versprüht wird, die uns alle einen guten Appetit wünschen. In Deutschland ist mir so etwas noch nie passiert.
Nach der Kalorienzufuhr ist vor dem Training. Obwohl ich es eigentlich als Spaß gemeint und nicht wirklich an den Wahrheitsgehalt meiner Aussage „Dann können wir ja immer eifrig im Fitnessraum trainieren!“ geglaubt habe, finden T. Und ich uns am Abend dann in besagtem Raum wieder und radeln um die Wette. Allerdings muss ich feststellen, dass ich es doch bevorzuge, mich in der Natur zu bewegen. Der Geruch von stockiger Luft und Schweiß ist nicht so unbedingt mein Lieblingsduft.
Freitag, 01.04.2016
Heute Morgen erwartet uns ein wunderbares Frühstück. Selbstgemachter Joghurt reiht sich an frische Croissants und herrlich duftenden Kaffee. Wir sitzen in I.s Wohnzimmer. Es ist mit viel Liebe zum Detail eingerichtet und überall stehen Bücher. Nachdem wir ausgiebig gestärkt sind, machen wir uns auf den Weg nach Marseille. Natürlich auf der richtigen Autobahn. Erstaunlicherweise schaffen wir es den Weg ohne Probleme zu finden.
Wir beginnen unsere kleine Tour am Hafen. Ich realisiere, dass wir nun am Mittelmeer sind. Es ist unglaublich. Schließlich war ich gestern noch quasi in den Alpen… Der Fischmarkt lässt mein Herz nicht unbedingt höher schlagen. Dafür aber die Spiegeldecke, welche das Dach der U-Bahn-Station bildet und der Seifenladen, in dem wir viel Zeit verbringen. Es ist schwierig sich für eine Seife zu entscheiden. Vor allem wenn man so eine große Auswahl hat.
Bei einer Sonnen-Regen-Mischung, die eine sehr drückende Atmosphäre kreiert, wagen wir uns an den Treppenmarathon hinauf zur „Basilique Notre Dame de la Garde“. Als wir oben ankommen bin ich mir sich, dass ich morgen Muskelkater haben werde. Aber der Aufstieg hat sich gelohnt. Wir haben eine unglaubliche Aussicht über das ganze Marseilleser Häusermeer. Es ist atemberaubend wie viele Häuser – ganz besonders Hochhäuser – Marseille zu bieten hat. Und von hier oben erkennt man ganz schnell die Problemviertel. Manche Hochhäuser scheinen eine eigene Stadt zu sein, so groß sind sie. Richtet man den Blick in Richtung Mittelmeer, erblickt man die Inseln vor Marseille. Alles in allem: Magnifique!
Was ich ganz besonders bemerkenswert finde ist die „Merci“-Wand. Dort sind Kacheln angebracht, auf denen Menschen Dankesbotschaften eingravieren haben lassen. Warum sagt man sich nicht häufiger danke? Warum sagt man nicht häufiger, dass man etwas gut findet? Das Leben wäre so viel einfacher und schöner. Ich beschließe dies in der nächsten Zeit mal im Hinterkopf zu halten.
Als wir uns satt gesehen haben, wird klar, dass man von einer schönen Aussicht leider nicht satt werden kann… Dementsprechend machen wir uns auf die Suche nach einem Restaurant und bekommen von einem sehr lieben Großmütterchen direkt ein Bistro empfohlen.
Als wir schließlich in die Innenstadt gefunden haben, werden wir von der Auswahl von Restaurants förmlich erschlagen. Als wir uns entschieden haben und von einem sehr netten Kellner empfangen werden, haben wir das Gefühl die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Hinter uns sitzt eine britische Familie, die alle samt Hummer bestellen. Ganz so weit gehen wir dann nicht. Vielleicht hätten wir aber besser etwas qualitativ Hochwertigeres bestellen sollen. Die Suppe von meinem Vater ist etwas versalzen. Ganz ungewohnt muss er seiner Enttäuschung am Ende Luft machen. Und das trotz der Tatsache, dass sein Französisch noch nicht ganz so perfekt ist. Der Kellner scheint uns ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nach dem Motto „Der Kunde ist König“, sondern eher „Der Kunde ist Feind“ zu behandeln. Jedenfalls fühlen wir uns etwas abserviert. Aber was erlauben wir uns auch und sagen, dass die Suppe versalzen ist?
Anschließend schlendern wir noch durch ein paar Läden und landen in einem Dekorations-Möbelhaus, das es mir antut. Überall sind schöne Sprüche und tolle Dekoration. Genau das Richtige also für mich.
Unser Spaziergang setzt sich in der Altstadt fort, wo ich in einem Secondhandshop eine alte Ausgabe von Heidi finde. Als Buch habe ich das noch nie gesehen. Früher war ich nur eine sehr ambitionierte Kika-Heidi-Guckerin. Es irritiert mich etwas, dass es auch ein Buch mit dem Titel „Heidi ist Großmutter“ gibt. So weit ging die Kindersendung dann doch nicht.
Als wir vor dem populären Mecum, einem Museum direkt am Meer, ankommen, wird uns vom Sicherheitspersonal freundlich signalisiert, dass wir etwas zu spät gekommen sind. Somit fällt der Museumsbesuch ins Wasser. Damit er das nicht wortwörtlich tut, müssen wir dann ganz schnell eine Toilette aufsuchen. Ich etwas traurig, weil ich mir fest in den Kopf gesetzt hatte, mich in den vier Tagen kulturell etwas weiter zu bilden. Naja, es bleiben ja noch zwei weitere Tage.
Wir machen uns wieder auf den Heimweg und verfehlen natürlich die richtige Autobahnauffahrt, sodass wir uns auf der Autobahn durch die Problemviertel wieder finden. Interessant ist das auf jeden Fall. Wieder im Appartement, wird der Fitnessraum noch etwas ausgenutzt.
Samstag, 02.04.2016
Heute machen wir Arles unsicher. Nach einer kurzweiligen Fahrt, stellen wir fest, dass es an Markttagen äußerst schwierig ist, in der Stadt zu parken. Darum finden wir etwas außerhalb einen Parkplatz.
Bereits auf dem Weg sieht man der Stadt an, dass es sich um eine Künstlerstadt handelt. An allen Häuserwänden befinden sich Zeichnungen. Ich spüre, dass ich heute meinem Kulturbedürfnis vielleicht etwas näher kommen kann. Schließlich hat hier Vincent van Gogh – ja, das war der mit dem abgeschnittenen Ohr. Das hat er sich übrigens selbst abgeschnitten. Als Liebesbeweis für eine Dame. Wie sollte es auch anders sein? Drama gab es eben auch schon im 19. Jahrhundert… - einige Zeit residiert. Damit wir nicht planlos durch die Stadt laufen, die sehr an Rom erinnert (In unserem Reiseführer steht, dass die Provence auch „kleines Rom“ genannt wird. Besonders wenn man sich die Aquädukte anschaut, versteht man diesen Spitznamen.), suchen wir zunächst das Touristenbüro auf und statten uns mit einem Stadtplan aus. Der Markt ist sehr verlockend und so kommt es, dass wir zunächst etwas über ihn schlendern und die vielen verschiedenen Obst- und Gemüsesorten aber auch diverse Gürtel, Taschen und T-shirts bestaunen. Danach betreiben wir ein bisschen Kultur. Als wir uns vor dem Museum von Vincent van Gogh befinden, muss ich zu meinem Leidwesen aber feststellen, dass von dem Besagten momentan gar keine Bilder ausgestellt werden. Und ich sehe es nicht wirklich ein, dann trotzdem zehn Euro zu bezahlen…
Stattdessen statten wir der Buchhandlung nebenan einen ausgedehnten Besuch ab. Ich war noch nie in einer so großen Buchhandlung. Wobei, vielleicht in Hugendubel. Aber dabei handelt es sich ja eher um den Mediamarkt der Buchhandlungen. Das von uns besuchte Objekt lässt von außen aber nicht direkt auf die ungeahnten Tiefen schließen. Ich entdecke ein Literatur-Café und sogar einen Hammam. Dabei taucht bei mir aber die Frage auf, ob die Mischung aus Feuchtigkeit und Büchern wirklich so optimal ist.
Wir setzen unseren Gang fort und schauen uns die Stierkampfarena von außen an. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt ehrlich gesagt nicht klar, dass es auch in Frankreich Stierkämpfe gibt. Man lernt eben immer etwas dazu.
Die Stadtbesichtigung lassen wir bei Waffeln und Crêpes ausklingen.
Der Tag ist ja aber noch jung. Darum legen wir auf dem Rückweg noch einen Zwischenstopp in einem kleinen Örtchen ein. Die Sonne kommt sogar heraus. Das verleitet uns dazu, noch eine kleine Wanderung zu einer Grotte zu unternehmen. Da wir nicht den zwei-stündigen Rundweg machen wollen, nehmen wir eine vermeintliche Abkürzung. Nach einer kleinen Passage, die eher an eine Dschungellandschaft als an einen provenzalischen Wald erinnert, erreichen wir ein riesiges Sandsteingebilde. Es ist atemberaubend. In dem Stein befinden sich neben Wandzeichnungen auch Treppen, denen wir folgen. Nach einiger Zeit befinden wir uns oben auf einem Berg. Wäre es nicht kurz davor zu regnen, hätte man sicherlich eine gute Aussicht. Da mein Kreislauf etwas am Streiken ist, beschließen wir um zukehren. Als wir wieder unten ankommen, wird uns klar, dass wir gar nicht die Grotte gesehen haben. Schön war es aber trotzdem.
Sonntag, 03.04.2016
Heute ist unser letzter Tag in der Provence. Leider. Die Tage sind so dahingeflossen. Ich könnte hier noch Wochen bleiben. Es gibt hier noch so viel zu sehen, so viel zu machen. Aber dann, wenn es am schönsten ist, sollte man bekannter Weise aufhören.
Nach einem letzten Frühstück in I.s hauseigenen Bibliothek und einem netten Gespräch, packen wir unsere Sachen, streicheln den Hund ein letztes Mal, und machen uns gewappnet mit Eintrittskarten zur Gourmet-Welt auf den Heimweg. Wir halten an einem Weingut, auf welchem heute ein großer Gourmet-Markt stattfindet und uns von I. Wärmstens empfohlen wurde. Als wir den Saal betreten, schlägt uns ein leckerer Duft entgegen. Die erste Station ist mit sehr eifrigen Verkäuferinnen besetzt, die uns kontinuierlich mit Pesto-Fladenbrot zu stopfen. So schnell habe ich noch nie jemanden Brote schmieren sehen. Trotz ihrer Mühe, schlendern wir erst einmal weiter und freuen uns über einen Herren, der seine Deutschkenntnisse für uns auspackt. Er verkauft getrocknete Früchte und da er so nett ist, decken wir uns bei ihm mit Hibiskusblüten ein, die gut fürs Herz sein sollen. Als wir wieder zum Ausgang zusteuern, kommen wir natürlich nicht an den Fladenbrotdamen vorbei. Nachdem wir viele Fragen im Stil von „Liebst du die Tomate? Liebst du die Paprika?“ beantwortet haben, fällen die beiden eine Diagnose. Wir verlassen den Markt mit viel Pesto.
Die Fahrt kommt mir kürzer vor als die Hinfahrt. Meine Theorie ist, dass man den Weg auf dem Rückweg ja praktisch schon kennt und man weiß, wo genau man hin möchte.
Trotz der kurzweiligen Fahrt, legen wir einen Zwischenstopp in Valence ein. Eine schöne, aber sonntags etwas leere Stadt. Im Sommer ist es aber sicherlich herrlich unter den Bäumen in der Allee herum zuflanieren.
Als wir wieder zu Hause sind, bin ich einerseits froh, die Fahrt hinter mir zu haben. Andererseits heißt das aber auch, dass der Urlaub vorbei ist und meine Familie bald wieder nach Deutschland fährt.
Montag, 04.04.2016
Heute heißt es Abschied nehmen. Es werden die letzten Sachen gepackt, sich nochmals versichert, dass ich nicht noch irgendwelche Wintersachen besitze, die ich loswerden möchte, und plötzlich wird auch schon alles ins Auto verladen. Wir liegen uns ein letztes Mal in den Armen und dann finde ich mich schon winkend an der Ecke stehend. Meine Familie ist weg. Es ist komisch wieder alleine zu sein. So anstrengend es vielleicht manchmal zu viert in einem Zimmer war, so still ist es plötzlich aber auch…
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