Weltwärts in Costa Rica, oder: Wie man von Drogenabhängigen lernen kann.
Wie ich für ein Jahr Englisch in einem Drogenrehabilitations-Projekt in Costa Rica unterrichtete und in Costa Rica "Pachuco" lernte!
Von den letzten 365 Tagen habe ich genau 355 auf der anderen Seite des Atlantiks in Costa Rica verbracht. Dass diese Tage sinnvoll verbracht wurden und keine bloße Zeitverschwendung waren werdet ihr im folgenden sehen.
Ich arbeitete in dem Drogenrehabilitations-Projekt Asociación Canáan als Englischlehrer. Dort konnte ich meine in Deutschland erworbenen Englischkenntnisse als unbezahlte (bzw. vom deutschen Staat finanzierte) Arbeitskraft einbringen und so einen Englisch-Unterricht für Anfänger auf die Beine stellen. Dieser Unterricht kam insgesamt ungefähr 60 Drogenabhängigen zugute, und war deshalb wichtig, weil die meisten Berufe in Costa Rica, die man auch ohne Schulabschluss ausüben kann, aus dem touristischen Bereich stammen, natürlich setzen diese Berufe Englischkenntnisse voraus. Die Wenigsten Drogenabhängigen hatten einen Schulabschluss und nach Beendigung des 6-monatigen Rehabilitationsprogramms, brauchen sie eine Perspektive auf Arbeit, um die Wahrscheinlichkeit rückfällig zu werden zu senken. Leider ist die Ausfallquote aus Canáan sehr hoch und mindestens einer verlässt pro Woche das Projekt. Die Mitarbeiter in meinem Projekt haben mir erzählt, dass der Englischunterricht eine zusätzliche Motivation für die Rehabilitanden bildet in Canaan zu bleiben.
Darüber hinaus unterrichtete ich Erwachsen aus der Umgebung Alajuelitas, um sie auf ein Examen des costaricanischen Ministeriums für Bildung und Arbeit vorzubereiten. Bei erfolgreichem Abschluss dieses Examens erhalten meine Schüler ein Englisch-Zertifikat, welches ihnen den Einstieg in viele Berufe erleichtert. In meiner Position nahm ich niemandem den Arbeitsplatz weg, da sich Canáan aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln keinen echten Englisch-Lehrer leisten kann und daher ohne mich kein Englisch-Unterricht stattgefunden hätte. Außerdem arbeitete ich in einem Partnerprojekt Canáans für alleinerziehende Mütter aus dem Problemviertel Pavas (im Westen der Stadt), wo ich eine Mannschaft von ca. elfjährigen Kindern trainierte.
Da Canáan ein Projekt für erwachsene Drogenabhängige ist und mein Abendunterricht sich an Menschen im erwerbstätigen Alter richtete, kam ich mit Leuten aus eigentlich allen Altersgruppen (zwischen 20 und 80 Jahren) in Kontakt. Die Ansichten der verschiedenen Generationen und ihre unterschiedlichen Einstellungen zu bestimmten Themen belebten meine Stunden. Ein ungefähr 80-jähriger Mann namens Rigoberto Rojas (sein genaues Alter weiß er nicht) plauderte nach dem Unterricht gerne über Anekdoten aus verganenen Zeiten. So erzählte er mir einmal, dass einer Legende nach eine Fliege Costa Rica im Zweiten Weltkrieg vor der Zerstörung rettete. Man munkelt nämlich, dass Costa Rica noch vor den USA Deutschland den Krieg erklärte hatte und nur deshalb von Hitler verschont wurde, weil eine Fliege auf einer Landkarte das kleine Land restlos verdeckte und von ihm und seinen Generälen deshalb nicht geortet werden konnte.
Zugegebenermaßen ging ich anfangs mit etwas mulmigem Gefühl in mein Projekt, weil ich das Thema „Drogen“ in Deutschland eigentlich nur aus dem Unterricht kannte und zu Drogenabhängigen nie Kontakt hatte. Nach einigen Tagen bereits war ich überrascht, wie höflich, offen und freundlich ich empfangen und aufgenommen wurde. Die Drogenabhängigen waren allesamt nett und ehrlich interessiert an allem was ich von Deutschland zu erzählen hatte. Jeden Morgen wenn ich im Projekt ankam, wurde ich von allen begrüßt, jeder gab mir die Hand, wechselte ein paar Worte mit mir und freute sich mir die Eigenheiten von Costa Ricas Straßensprache „Pachuco“ beizubringen. Nach einigen Monaten war ich stolz darauf sagen zu können, dass die meisten Costa-Ricaner dachten, ich sei Tico. Es dauerte auch nicht lange bis das Thema „Religion“ aufkam, denn für die Menschen in Canáan spielt Religion eine zentrale Rolle in ihrem Leben und die Drogenabhängigen benutzen Gott als eine Art Anker, an welchem sie versuchen ihr Leben wiederaufzurichten. Da ich Moslem bin, gab es eine Vielzahl von Gesprächen über die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Islam und Christentum und ich war erfreut über die Toleranz, die mir entgegengebracht wurde.
Diejenigen, die sich in etwa in meinem Alter befanden, kannten Deutschland eigentlich nur über den Fußball. Ich führte aus bloßer Neugier eine Umfrage durch, in welcher ich meinen Klassen Fotos von berühmten Deutschen zeigte und sie nach den Namen dieser fragte. Das Ergebnis überraschte mich, denn, obwohl Schauspieler, Sänger und Wissenschaftler völlig unbekannt waren, haben deutsche Fußballspieler (Özil, Schweinsteiger, Ballack...) in Costa Rica große Berühmtheit erlangt. Das liegt vielleicht auch an der WM 2006 mit dem Auftaktspiel zwischen Deutschland und Costa Rica, an dass man sich wegen der 2 erzielten Tore von Paolo Cesár Wanchope in Costa Rica noch immer gerne zurückerinnert!
Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, war neben den Fußballern eigentlich die einzige Persönlichkeit, die bekannt war; wohl aus dem Grund, dass auch in Costa Rica mit Laura Chinchilla eine Frau die politischen Fäden in der Hand hält.
Die besondere Wertschätzung, die mir von den Menschen in meinem Projekt und in Alajuelita entgegengebracht wurde manifestierte sich nicht nur darin, dass ich von allen mit dem Wort „Profe“ (Kurzform für „Lehrer“) angesprochen wurde. Zum Abschluss organisierten meine Schüler eine herzliche Abschiedsfeier für mich und nahmen mir das Versprechen ab, sie so bald wie möglich einmal wieder zu besuchen.
An Wochenenden und Feiertagen nutzte ich die Möglichkeit zu reisen und mehr von Costa Rica kennenzulernen. Ich war zum Beispiel an zwei idyllischen weißen Sandstränden mit türkis-blauem Wasser wie aus dem Bilderbuch, da meine Gastmutter ein Ferienhaus in der Nähe des Pazifischen Ozeans, mitten im Regenwald besitzt. An Land (und im Wasser) staunte ich über die vielen Affenarten, Waschbären, Nasenbären, Faultiere, Papageie, Zopilote, Leguane, Krokodile, Geckos, Skorpione, Frösche, Schildkröten und viele andere Vögel und Tiere. Ein anderes Mal fuhr ich mit Ernesto und meinem Gastvater Felipe weiter südlich an den Pazifik zur „Playa ballena“, um Wale zu beobachten, wir hatten sogar das Glück ein 5-Tage altes Wal-Baby zu sehen. An einem anderen Wochenende war ich mit einigen Freiwilligen an der Karibikseite Costa Ricas, wo ich in einem Hängematten-Hotel am Strand übernachtet habe. In dieser Region des Landes leben vorwiegend Costa-Ricaner mit Vorfahren aus Jamaika, die sich viele ihrer Traditionen bewahrt haben und somit eine recht eigene Kultur entwickelt haben, die sich von der im Rest des Landes unterscheidet.
Neben meiner erfüllenden Arbeit in Alajuelita, pflegte ich den wohl intensivsten Kontakt mit meiner Gastfamilie, die aus meiner Gastmutter Beatriz und meinen beiden Gastbrüdern Ernesto und Sergio bestand, wobei Sergio gerade ein Auslandsjahr in Österreich verbrachte. Aufgrund der Tatsache, dass in Costa Rica die Familien traditionell groß sind und gerne eng beieinander leben, verbrachte ich viel Zeit mit der gesamten Verwandtschaft. Zu Feierlichkeiten kamen auch alle im Haus meiner „abuelitos“ zusammen; an Weihnachten kam sogar eine entfernte „tía“ aus Mexiko nach Costa Rica. In dem vergangenen Jahr ist mir meine Gastfamilie sehr stark ans Herz gewachsen und es gibt mir ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich an einem so weit entfernten Ort wie Costa Rica so etwas wie eine Familie habe, bei der ich immer willkommen bin. Umgekehrt gilt natürlich genauso, dass jedem Mitglied meiner Gastfamilie die Tür meines Hauses immer offen steht und ich freue mich schon immens darauf Beatriz in naher Zukunft in Deutschland willkommen zu heißen.
Ich persönlich finde, dass es genau diese Beziehungen sind, die auch über meinen aktiven Freiwilligendienst hinaus gehen, die die vergangenen 355 Tage zu etwas ganz Besonderem machen. Und ich glaube, dass diese Erfahrungen den Wert von Austauschprogrammen wie Weltwärts ausmachen, denn dadurch machen wir die Welt Schritt für Schritt ein wenig kleiner.
Mein Auslandsjahr wird sich bestimmt als Meilenstein in meinem Leben erweisen. Viel wichtiger ist jedoch, dass durch diese Förderung ein nachhaltiger Austausch stattfinden konnte, der die Länder Costa Rica und Deutschland einander näher bringt; so erwägt mein Gastbruder Ernesto in Deutschland Physik zu studieren und ich könnte mir vorstellen mich nach meinem Studium im Bereich der internationalen Entwicklungsarbeit zu engagieren.
Ich werde jetzt im Oktober in Großbritannien mit meinem Studium (Islamwissenschaften und Arabisch) beginnen, ein Studiengang, der sich zwar eher in Richtung Orient wendet, aber wer weiß wohin mich mein Weg noch einmal führen wird.
Ich hoffe ich konnte meine Erfahrungen gut 'rüberbringen und bei dem einen oder anderen ein gesundes Fernweh und Interesse für ein Freiwilligenjahr wecken, dass die Welt noch ein bisschen kleiner machen wird.
PURA VIDA!!!
Khalil Hamadouche
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