Holocaust als Highlight?
Kann man das Ausmaß an Grausamkeit im III. Reich wirklich verstehen, ohne ein Vernichtungslager gesehen zu haben? Eine Exkursion nach Auschwitz
Das polnische Städtchen Oświęcim liegt knapp 50 Kilometer von Krakau entfernt. Dieser Name sagt deutschen Besuchern kaum etwas, aber verständlicherweise legen die Bewohner der Kleinstadt Wert darauf, zwischen ihrem Wohnort und dem KZ Auschwitz zu unterscheiden.
Noch ein weiterer kleiner Hinweis für deutschsprachige Besucher: Es handelt sich um ein deutsches Vernichtungslager im besetzten Polen und NICHT um ein polnisches Todeslager. Nur weil dieser Fehler sogar US-Präsident Obama unterlaufen ist, ist das keine entschuldbare sprachliche Verdrehung.
Das Wetter für unsere Exkursion ist passend: kühl und windig, manchmal bricht die Sonne zwischen den Wolken hervor. Schlammfelder im Regen müssen die Stimmung nicht noch weiter drücken, aber ein strahlender Frühlingstag käme mir ebenso falsch vor.
Überquert man den Parkplatz der Gedenkstätte, finden sich Kennzeichen aus ganz Europa auch noch am Ende der Saison. Das Museum ist gut auf die vielen Sprachen vorbereitet: Im Minutentakt werden die Führungen in Spanisch, Japanisch oder Englisch aufgerufen. Bei knapp 1,3 Millionen jährlichen Besuchern ist es an diesem Tag wahrscheinlich unterdurchschnittlich voll, aber weniger an Gedränge lässt mehr Raum für Gedanken.
Unser Guide ist ein Geschichtslehrer aus der Gegend, der sich schon seit Jahren mit ehrenamtlichen Führungen gegen das Vergessen engagiert. Die Teilnahme ist in der Hauptsaison nicht verpflichtend, aber eigentlich unabkömmlich, um jede kleine Geschichte zu begreifen. Die Guides sind versiert darin, Fragen von Besuchern aus allen möglichen Sprachregionen zu beantworten. Sie sind vielen Zeitzeugen begegnet und geben deren Erinnerungen weiter. Gegen das Vergessen.
Die vier Stunden sind keine morbide Zeitreise, aber auch nicht mal eben ein Tagesausflug wie in die Salzmiene vom selben Busanbieter beworben. Hier braucht es keine zusätzlichen Emotionen, die klaren historischen Fakten sind erschütternd genug. Jeden Besucher berühren natürlich andere Details. Der Berg an Haaren lässt nicht begreifen, wie viele Menschen dafür gestorben sind. Im Vernichtungslager Ausschwitz wurden die Gefangenen anders als in anderen KZs erst nach der Gaskammer rasiert, weshalb sie sich unaufhaltsam zersetzen. Für mich waren die Gepäckstücke der Kinder am eindrücklichsten. Auf den altmodischen Koffern stehen Namen, Alter und Herkunft. Ich erinnere mich daran, wie schwer es mir als Kind fiel, nur das Wichtige für einen Urlaub einzupacken. Diese Kinder wussten nicht, dass ihre Reise an einen Ort führt, an dem die tröstende Magie eines Teddys hilflos ist.
Der kurze Weg nach Auschwitz-Birkenau lässt Zeit, um über das Lager I nachzudenken. Von außen sehen diese Backsteinbaracken doch gar nicht so schlimm aus, nicht wahr? Dann erfährt man, wie viele Menschen in den Räumen zusammen gepfercht waren, welche kümmerlichen Sanitäranlagen sie sich teilen mussten und steigt hinab in die Dunkelzellen des Gefängnisses.
Das Gelände von Birkenau war so weitläufig, dass es nicht komplett erhalten ist. Die Baracken wurden außerdem nach der Befreiung zerstört, unter anderem wegen zahlreicher Krankheitserreger. Einige wurden rekonstruiert und wir spüren den kalten zugigen Wind auch in unseren modischen Funktionsjacken. Wie war das damals auf schimmligen Stroh und in Schlamm aufgelösten Boden?
Zwischen den Ruinen der gesprengten Gaskammern ist der zentrale Platz der Gedenkstätte. Steintafeln erinnern an die Opfer in all deren Sprachen. Jedes Jahr wird hier an die Befreiung des Lagers gedacht. Zuerst kamen mehr und mehr Überlebende, doch nun werden es immer weniger, weil das Reisen zu beschwerlich wird oder weil sie schon gar nicht mehr leben. Viele haben erst im hohen Alter angefangen zu erzählen, was ihnen in den Lagern widerfahren ist. Das Museum widmet sich heutzutage der Aufgabe, diese an die nächsten Generationen weiterzugeben. Ehrlich in all der Grausamkeit, aber weit entfernt von Verbitterung.
Neben dem Eingangstor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ im Stammlager, gibt es eine weitere berühmte Ansicht: die Eisenbahnschienen ins Lager II, eigens angelegt für eine besonders effektive Vernichtung ungarischer Juden, so die perfide Planung.
Fotografieren ist gestattet, so wie an fast allen Stellen. Trotzdem sind die posierenden Schülergruppen und die Selfie-Japaner anstrengend in ihrer Respektlosigkeit auf der Jagd nach einem ungewöhnlichen Urlaubsbild. Das lässt sich noch steigern durch die Dreistigkeit mancher Besucher, an den wenigen Orten mit Fotoverbot und Bitte um Ruhe, den Digi-Blitz munter drauflos knipsen zu lassen.
Respekt und Erinnerungen nehme ich mit.
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