Freiwillig gegen den Strom der Wettbewerbsgesellschaft
Die Ergebnisse eines Freiwilligendienstes in 9000 Zeichen.
Im letzten Jahr entschloss ich mich nach einigem hin und her dazu, einen EFD in Norwegen zu machen. Gleich nach der Schule studieren wollte ich nicht, da war dies eine gute Möglichkeit, rauszukommen, ein anderes Land zu sehen.
Es mag viele Menschen geben, die meinen, ein solcher Freiwilligendienst sei nur Zeitverschwendung, ein sinnloses Umherirren vor dem Studium, dem „wirklichen“ (Berufs- )Leben.
Sicherlich eine in einigen Punkten nachvollziehbare Haltung.
Ich kann jedoch sagen, dass ich es bisher keinen Moment lang bereut habe, meinen Freiwilligendienst anzutreten. Im Gegenteil.
Zuallererst einmal habe ich plötzlich ein zweites Zuhause bekommen, denn hier auf Stiftelsen Grobunn ( eine Schule für geistig Behinderte mit Bauernhof und Wohnangebot für Schüler und Lehrlinge) habe ich mich gleich willkommen gefühlt und unsere WG aus 5 Freiwilligen hat sich inzwischen zu einem eingespieltem Team entwickelt, in dem wir füreinander sowohl Freunde, als auch eine Art Familie sind. Inzwischen ist mir nach den 9 Monaten, in denen ich schon hier bin (kaum zu glauben!) alles so vertraut, dass ich mir kaum vorstellen kann, von hier wegzugehen und mich von all den Menschen zu verabschieden.
Immerhin haben alle hier mir so viel gegeben, ein Zuhause, Freundschaften, Lachen, besondere Momente...
Dabei bin ich durch die Arbeit mit den geistig Behinderten und auch durch unsere Kontakte, die sich gerade jetzt, in der 2. Hälfte des Jahres auch über den Hof hinaus entwickeln, offener geworden und habe gelernt mehr in den Menschen zu sehen, als das, was auf den ersten Blick offensichtlich ist. Ich habe durch die Schüler und Lehrlinge Menschen kennengelernt, die nach gesellschaftlichen Maßstäben nicht normal sind, mehr Hilfe brauchen und ganz anders denken. Am Anfang war das ungewohnt, doch inzwischen sind sie mir vertraut und ich werde sie und ihre Eigenheiten vermissen.
Natürlich ist diese Arbeit auch nicht immer einfach, oft genug hat sie mich ganz schön Nerven gekostet.Diese Augenblicke, in denen man einfach keine Lust mehr hat, werden aber durch die vielen schönen und lustigen Momente wiedergutgemacht.
Es mag zwar ein Argument für das Daheimbleiben sein, dass man eventuell den Kontakt zu bisherigen Freunden verliert, oder, dass es schwierig ist, auf lange Zeit weit weg von Freunden und Familien zu sein. Sicherlich vermisst man diese, das will ich nicht bestreiten, dennoch kann ich sagen, dass sich erstaunlicherweise gerade durch diese Distanz der Kontakt teilweise sogar verbessert oder verändert hat, z. B. zu meinen Eltern. Man lernt dadurch zu schätzen, was man an ihnen hat, kann aber eben auch selber bestimmen, wann man sie sehen oder mit ihnen reden möchte. Auch zu meinen guten Freunden blieb der Kontakt bestehen und ich denke, wenn die Freundschaften wirklich wichtig sind, sollten sie kein Argument gegen den Freiwilligendienst sein, denn dann bleiben sie erhalten.
Außerdem lernt man, wie gesagt, durch seine Arbeit und auch Freizeitaktivitäten viele neue Menschen kennen, hört interessante Lebensgeschichten, die einen vielleicht inspirieren und findet zusätzliche, neue Freunde ,aus verschiedenen Ländern, die man sonst nie treffen würde, oder auch eine Art Ersatzfamilie für das eine Jahr. Ich habe also nicht nur die alten Verbindungen zu Freunden und Familien verfestigt und gesehen, welche Bande wichtig sind und halten werden, sondern auch Neues gewonnen.
Neues gewinnen und erfahren, das gilt auch für das Land, das man besser kennenlernen kann. In meinem Fall habe ich Norwegen kennen und auch lieben gelernt. Die Sprache ist mir inzwischen sehr vertraut, da ich sie an der Arbeit wirklich immer sprechen muss. Auch generell tut es gut, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, indem man Land und Leute entdeckt. Ich persönlich habe hier soviel Natur gehabt, wie schon lange nicht mehr (auch wenn mein EFD Platz dafür eben abgelegener liegt). Für mich war der EVS auf diese Weise auch eine Möglichkeit weit ab von allem Trubel ein wenig freier zu denken. So hat er mir tatsächlich ermöglicht mehr zu mir selbst zu finden, meine Wünsche zu beachten und zu überlegen, was ich eigentlich will und nicht nur, was erwartet wird, oder was der herkömmliche Weg ist.
In der Schule bekommt man schließlich ständig eingetrichtert, wie wichtig es ist, im Leben voranzukommen, zu studieren, oder eine Ausbildung zu machen und dann auch den richtigen, lohnenswerten und sicheren Beruf zu finden. Man wird so stark beeinflusst, von dieser Wettbewerbsgesellschaft, dass man all das einfach akzeptiert und gar nicht unbedingt über andere Möglichkeiten nachdenkt. Da schafft der EVS einen willkommenen Abstand, eine Abwechslung, bevor es mit Studium o.ä. weitergeht.
Und nicht nur das. Mir ist durch Gespräche und die Zeit zum Nachdenken klar geworden, dass es eben nicht nur den einen Weg gibt, dass ich auch noch ein Jahr bleiben könnte und auf einer Farm arbeiten könnte, oder eben einfache einen alternativeren Weg einschlagen kann, wenn ich noch nicht studieren möchte. Es gibt so viele Möglichkeiten, die mir persönlich erst durch den EVS wirklich bewusst geworden sind, auch wenn sie schon vorher existierten.
In der Hinsicht ist mir auch klarer geworden, dass das Leben nicht nur aus dem Regelfall besteht, dass ich nicht möchte, dass Karriere das Wichtigste ist, sondern Freiheit, Offenheit und das Beachten der eigenen Wünsche, nicht das dem Gesellschaftsdruck folgen.
Für solche Gedanken ist so ein Freiwilligendienst ( das Wort beinhaltet schließlich schon den freien Willen) ein wunderbares Geschenk, denn man hat so viele Möglichkeiten und bekommt auch noch alles bezahlt, sodass man sich keine Gedanken um Wohnung, Geld etc. machen muss.
Dabei ist es natürlich ärgerlich, wenn man das Pech hat, an eine Stelle zu kommen, wo es einem nicht gefällt, die Menschen nicht in Ordnung sind, wo man sich nicht wohl fühlt. Ich habe durchaus Berichte von Leuten gehört, die schlechte Erfahrungen gemacht haben und weiß daher, dass es nicht selbstverständlich ist, sich so wohl zu fühlen, wie ich hier. Wenn man jedoch eher schlechte Erfahrungen macht, ist es auch verständlich das ganze als „killed time“ zu sehen, dann wäre es gut, den Mut zu haben, den EVS abzubrechen und sich soweit möglich eine andere Stelle suchen. So ein Ereignis kann natürlich viele negative Auswirkungen haben und einem neue Ängste bescheren, die einen im weiteren Leben vielleicht eher behindern. Im Großen und Ganzen denke ich aber, dass beim EFD die Organisationen gut überprüft werden und durch Mentoren und Sendeorganisationen, sowie die National Agency viele Ansprechpartner zur Verfügung stehen, die einem in solch einer Situation zur Seite stehen können.
Und wenn man, wie in den meisten der Fälle, einen guten Platz hat, kann man auch an der EVS Stelle an sich unglaublich viel lernen und neue Erfahrungen für das Leben machen, oder auch kleine Dinge dazu lernen. Ich habe zum Beispiel, durch die Arbeit mit den Behinderten gelernt, viel positiver zu sein und mich an den kleinen Dingen zu freuen. Hinzu kommt natürlich das Zusammenleben, mit den anderen Praktikanten, mehr Selbstständigkeit und ein Gewinn an Selbstbewusstsein. Immerhin ist der EFD für viele auch der erste Schritt in die eigene Unabhängigkeit. Soweit die „Soft-Skills“. Hinzu kommen auch noch praktische Fähigkeiten, die ich mir angeeignet habe. So habe ich zum Beispiel viel in der Küche gearbeitet und so viele neue Dinge über das Kochen und Backen gelernt. Auch die praktische Arbeit auf dem Hof und natürlich allen voran der Umgang mit den Menschen war sehr lehrreich. Auch Karrieretechnisch/ zukunftstechnisch kann ein EVS so von Vorteil sein, wenn man zum Beispiel etwas studieren möchte, für das man Praxiserfahrung braucht, oder um Kontakte zu bekommen, die später hilfreich sein können. Immerhin lernt man ja auch eine neue Sprache und eine andere Kultur kennen.
Dies sind einige meiner persönlichen Erfahrungen. Sicherlich gibt es auch viele Gründe, sich gegen einen Freiwilligendienst zu entscheiden, oder ihn gar als eine verschwendete Zeit anzusehen, meiner Meinung nach ist er das jedoch auf keinem Fall.
Im Gegenteil, er gibt einem Zeit, in der man, neben neuen Erfahrungen und Kontakten auch sich selber näherkommen kann und dadurch vielleicht mehr in die Lage kommt, wichtige Entscheidungen zu treffen, die man, überhastet getroffen, später ansonsten bereut hätte.
Für mich also, ist der EFD ein großartiger Gewinn und eine lohnenswerte Zeit, die ich nur jedem empfehlen kann, sich zu nehmen. Schließlich kann ein jeder selber entscheiden, was er mit seiner Zeit anfängt und ich halte den EFD für eine gute „Investition“, ganz ohne Geld. Der einzige Preis, den man wahrscheinlich zahlen muss, ist das folgende Hin- und Hergerissensein, zwischen der alten, und der neu dazugewonnenen Heimat, aber damit wird man leben müssen, denn „ohne Schmerz liebt kein Herz“ ( Augustinus Aurelius) ;)