Eine spannende Zeit
In diesem und den nächsten paar Blogeinträgen geht es um viele kleine und große Dinge, die seit April passiert sind
Ich bin viel zu spät dran, was daran liegt, dass ich für diese Blogeinträge bereits über vier Seiten geschrieben und dann verloren habe – womit sich meine Motivation irgendwie auch verabschiedet hat. Nochmal von vorne anfangen und das Gleiche wieder zusammenbasteln müssen, das ist einfach frustrierend. Aber es wird Zeit und ich will nichts auslassen oder vergessen, also überwinde ich jetzt den inneren Schweinehund und versuche, alles nochmal genauso ausführlich wie beim ersten Mal hinzukriegen – hoffentlich spielt meine Geduld mit. Da ich dieses Mal auch echt viele Bilder hab, werde ich die zwei Monate nicht in einem Stück, sondern in mehreren Einträgen bearbeiten – damit ich alle hochladen kann. Ich darf ja jedem Eintrag leider nur zehn hinzufügen, aber so geht’s auch. Alles klar, los geht’s!
Unmittelbar nach dem letzten Eintrag (und ja, es ist lange her) hab ich mich auf den Weg nach Manchester gemacht: zum Flughafen. Am 09.April 2017 war es nämlich endlich Zeit, meine Familie in England willkommen zu heißen: Mama, Valentin, Paulina und Antonia sind mich besuchen gekommen. Ich war ein wenig zu früh dran und hatte daher gemütlich Zeit, mich im richtigen Terminal einzufinden und noch ein paar Minuten zu vertrödeln; ich liebe es, am Flughafen andere Menschen zu beobachten, es gibt so viele rührende Szenen. Ich hab knapp eine halbe Stunde gewartet, zwei kleinen, sehr niedlichen Mädchen zugesehen, die mit ihren Mamas ihre Papas begrüßt haben, und mir ein bisschen die Beine vertreten. Dann war es schließlich bald so weit, laut der Anzeigetafel waren meine Leute bei der Gepäckabgabe und würden bald rauskommen. Ich hab mich hinter die Absperrung gestellt und das Handy gezückt, um ihre Ankunft zu dokumentieren, aber der Plan hat nicht so ganz funktioniert: Als ich sie dann nämlich endlich gesehen habe, bin ich nach ca. zwei Sekunden filmen irgendwie lieber um die Absperrung und auf sie zu gerannt – ein wenig zu stürmisch vielleicht. Paulina und Valentin waren zwar überrascht von meiner Wucht, konnten dem aber standhalten, doch für Antonia war’s einfach zu viel, wir sind gestolpert, haben das Gleichgewicht verloren und uns ein paar Sekunden später auf dem Boden wiedergefunden, wo wir uns ziemlich verdutzt angeguckt haben. Gott sei Dank, hatte sich niemand wehgetan, wir haben uns aufgerafft, nochmal geknuddelt, dann hab ich Mama umarmt und irgendwann zwischendurch muss ich angefangen haben zu weinen, denn als ich dann mit dem ganzen Begrüßen fertig war, waren doch ein paar Tränchen übergelaufen. Ich schätze, dieses Mal haben wir selbst für eine dieser Szenen gesorgt… ich hatte meine Lieben ja aber auch ewig nicht mehr gesehen, also voll legitim.
Uns unterhaltend sind wir dann aus dem Flughafen zum Bahnhof hinausgeirrt (rausfinden ist irgendwie schwieriger als rein), haben eine Weile auf den Zug warten müssen und sind dann zurück nach Preston gefahren. Schon beim Warten am Bahnsteig in Manchester haben wir uns Brezen geteilt (echte Brezen! Soooo lecker! Ich war im Himmel!), ansonsten viel geplaudert, mit Antonia diskutiert, die viel zu warm angezogen war, und ich hab Valentins und Antonias neuerdings kurzes Haar bewundert – kaum bin ich von zuhause weg, stellen nämlich alle komische Sachen mit ihren Haaren an: Vale und Antonia tragen es plötzlich kurz, Papa lässt sich Bart und Haare wachsen, eigenartig ist das!
In Preston angekommen sind wir zuallererst zu uns nach Hause, haben eine kleine Verschnaufpause gemacht und sind dann wieder losgezogen. Der Plan war, uns Pies zu holen, das ist nämlich eine der wenigen echt leckeren kulinarischen Besonderheiten Englands (ein Butterpie ist sogar eine Besonderheit Prestons – und Preston hat nicht viele Besonderheiten. Eigentlich gab es nämlich Meat and Potatoe (Fleisch und Kartoffeln) im Pie, aber da Preston sehr religiös war und freitags kein Fleisch gegessen wurde, haben die Piebäcker kurzerhand nur Kartoffeln mit Butter in die Pies eingebacken. Die findet man angeblich tatsächlich nirgendwo anders in England. Kleiner Exkurs am Rande).
Auf jeden Fall wurde nichts aus unserem Plan, der Pieshop hatte nämlich zu. Wir sind also stattdessen ins Pub, wo alle gleich festgestellt haben, dass auswärts essen in England leider nicht so lecker ist wie auswärts essen in Bayern. Satt sind wir trotzdem geworden und nach der Mahlzeit ging es dann sowieso gleich weiter ins nächste Pub: Toms Tochter Isabella wurde an dem Tag nämlich getauft und da ich leider schon den Gottesdienst verpasst hatte, wollte ich wenigstens kurz auf der Feier vorbeischauen, zumal die meisten wichtigen Charaktere meines Englandlebens auch dort waren und meine Familie somit Gelegenheit hatte, sie kennenzulernen.
Auf der Taufe war es dann auch ganz nett. Die Engländer scheinen Taufe sehr viel größer zu feiern als wir, allerdings hab ich keine anderen englischen Taufen gesehen, mit denen ich das vergleichen könnte, also kann ich diese Aussage nicht gerade mit viel Beweismaterial unterstützen Auf jeden Fall waren viele Leute da, und meine Familie hat auch endlich Camella, Tom und Habib getroffen. Wir haben uns gesetzt, ich hab noch ein paar Leute vorgestellt (war das erste Mal, dass ich Daz in einem ordentlichen Hemd und frisch rasiert gesehen hab xD), und dann hab ich den Großteil der Zeit Dolmetscherin für Antonias Unterhaltung mit Toms Mama gespielt. Die hat nämlich ein Pferd und war für Antonia daher sofort sehr interessant. Obwohl ich Tom versprochen hatte, dass meine Mutter ganz bestimmt keinen Alkohol trinken würde (sein Masterplan war, sie betrunken zu machen und ihr dann zu erzählen, dass Isabella eigentlich mein Kind wäre, ich nur nach England gegangen wäre, um diese Tatsache zu vertuschen, sie heimlich zur Welt zu bringen und das Baby jetzt als seines auszugeben… weil sie das BESTIMMT geglaubt hätte) hat sie mich im Stich gelassen und einen Baileys nicht abgeschlagen, aber gut, zu Baileys Nein sagen ist auch verdammt schwierig. Und betrunken war sie deshalb ja noch lange nicht, also hab ich trotzdem irgendwie Recht behalten… Auf jeden Fall hatten wir eine gute Zeit.
Ein kleiner Zwischenfall ist erwähnenswert und ärgert mich immer noch (nur ein klein wenig, nicht ernsthaft): gleich, nachdem wir angekommen sind, sind Mama und Antonia ein bisschen rausgegangen, aber Tom konnte dann endlich Isabella für sich ergattern und ich bin raus, um ihnen zu sagen, dass sie das Baby jetzt anschauen könnten. Sie waren ca. 50 Meter entfernt, also hab ich ihnen gerufen – auf Deutsch natürlich. Und neben mir drehen sich drei von Toms Freunden um, sehen mich befremdet an und einer sagt: “Wow, that sounded aggressive, are you German?” („Wow, das hat sich aggressiv angehört, bist du Deutsche?”) Und dann muss ich auch noch "Ja" sagen, versteht ihr?! Ständig wird behauptet, dass meine Sprache so hart und aggressiv klingt, und immer arbeite ich daran, das zu verteidigen, besonders der bayrische Dialekt hat doch wirklich nicht sooo viele Ecken, und außerdem bedeutet hart ja nicht gleich aggressiv. Und dann ergibt sich so eine Situation und er hat Recht und ich muss "Ja" sagen, das hat mir gestunken. Ein wenig lustig ist es natürlich auch, aber ich werde eben dauernd mit meiner Sprache geärgert, also tut das doch ein wenig weh.
Abends sind Antonia und ich dann zusammen ins Bett gehüpft (es war ein bisschen schwierig, alle unterzubringen, also mussten wir zusammenrutschen), und in dem Fall war es sowieso total schön, immerhin hatte ich Antonia schon lange nicht mehr geknuddelt. Das Nebeneinanderschlafen hat auch ganz gut geklappt, aber sie war dann leider prompt in aller Frühe wach und fand es offenbar völlig okay, mich um sechs Uhr aufzuwecken… und egal, wie hartnäckig ich mich umgedreht habe, aus weiterschlafen wurde nichts. Wir haben dann ein kleines Snap Chat Fotoshooting in meinem Bett veranstaltet und sind später frühstücken gegangen. Soweit, so gut. Gegen Mittag am zehnten April mussten Camella und ich uns sowieso verabschieden, um nach London zu fahren – dort fand nämlich unser Red Cross Midterm Seminar statt.
Auch in London gab es eine ganze Menge Wiedersehen: Zuallererst mit sämtlichen EVSlern des British Red Cross, die wir ja auch schon eine ganze Weile nicht mehr getroffen hatten (manche tatsächlich seit Brighton nicht mehr, und Brighton ist WIRKLICH ewig her), und natürlich gab es ein großes Hallo. Jedes Mal wieder, wenn diese Gruppe zusammenkommt, bin ich total baff, wie toll jeder einzelne dort ist und wie schnell wir das Gefühl haben, dass keine Monate zwischen dem letzten Treffen und dem Jetzt liegen. Auf jeden Fall war es lustig, man hatte sich viel zu erzählen, und auch das Seminar war nicht schlecht: vor allem ein Vortrag zu British Sign Language, der auch komplett in Gebärdensprache gehalten wurde, hat mich sehr fasziniert. Ich kann immer noch das Alphabet buchstabieren und sagen, dass ich aus Deutschland bin - danke und bitte klappt auch, aber ich fürchte, die anderen Phrasen (Guten Morgen, Gute Nacht, Wie geht es dir?, Wo wohnst du?, etc.) hab ich vergessen. Der Vortrag war super interessant, hat uns alle miteingebunden und uns begreifen lassen, dass Taubheit auch nur eine Sprachbarriere ist. Ebenso spannend war der Ausflug zu Amnesty International, wo wir in Gruppen diskutieren und festlegen sollten, welche Menschenrechte aus dem Katalog wir behalten wollen würden, wenn wir nur zehn behalten dürften – eine unmögliche Aufgabe! Viele der Artikel waren für uns zwar eine selbstverständliche Gegebenheit, aber die Vorstellung, dass grundlegende Dinge wie das Recht auf Bildung plötzlich nicht mehr garantiert seien, hat uns doch mit uns selbst und allem hadern lassen.
Auch sehr schön war das Theaterstück „20B“ im Camden People´s Theatre, das wir mit der Gruppe geschaut haben. Das Theater war total klein und gemütlich (kaum größer als ein großes Wohnzimmer), das Stück war eine One-Woman-Show und hat sich mit der Bedeutung von Zuhause auseinandergesetzt, was natürlich ideal war, denn ich denke, jeder in unserer Gruppe hat sich im letzten Jahr viel und ausführlich mit diesem Thema beschäftigt. Das Stück hat nachdenklich gestimmt und man ist mit gutem Gefühl gegangen.
Viel Zeit für Sightseeing blieb mir nicht in London, aber es gibt noch zwei weitere Highlights. Erstens: King´s Cross. Obwohl wir Gleis 9 ¾ leider nicht gefunden haben, den Fußweg war es wert! Bei Merlin, ich LIEBE den Harry Potter Fan Shop dort! Man fühlt sich tatsächlich wie in der Winkelgasse, alle sind aufgeregt und drängen sich durch den Laden, so viele verschiedene Sprachen, und die ganzen Sachen! Zauberstäbe, Abzeichen, Pullis, Mützen, Klamotten in allen Hausfarben, Schmuck, Bücher, Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung, ich war im Paradies! Ist ja klar, dass ich den Laden nicht ohne Hufflepuffabzeichen, Schnatzanhänger, eine englische Ausgabe des ersten Harry Potter Teils, mehrere Tickets für den Hogwartsexpress (die wurden an meine Geschwister und Isabella verteilt) und ein Hogwartsabzeichen (zusätzlich für meinen Bruder, weil der dann nämlich bald Geburtstag hatte) verlassen konnte. Ich hab mich gefühlt wie ein Kind und so glücklich zu wissen, dass ich nicht der einzige Harry Potter Fanatiker auf dieser Welt bin Wenn ich in London wohnen würde, wäre ich jede Woche in diesem Laden… Allein bei der Erinnerung muss ich schon wieder selig grinsen…
Aaaaber zu dem anderen Highlight, das war nämlich auch nicht schlecht: Ich hab ENDLICH Alex wiedergesehen! Sie ist nämlich vor Preston zuerst nach London geflogen, um sich zwei Musicals anzuschauen, und da ich zufällig auch in London war, konnten wir uns an einem der Abende gleich treffen. Gott, war das schön, ich hab sie so vermisst! Wir sind essen gegangen und haben uns dann noch einen Cocktail gegönnt, während wir über alles Mögliche geratscht und getratscht haben – richtig toll! Viel Zeit hatten wir leider nicht, aber das war nicht so schlimm, denn am 13. April sind wir dann eh zusammen in den Zug gestiegen, um nach Preston zu fahren. Die Zugfahrt war leider dank eines Anfalls von dämlicher Reiseübelkeit nicht ganz so spaßig, aber dafür kamen wir in den Genuss britischen Humors auf der Zugtoilette: der Klodeckel sowie die Durchsage haben nämlich in trockenem, ernstem Ton verkündet: „Please don´t flush nappies, sanitary towels, paper towels, gum, old phones, unpaid bills, junk mail, your ex´s sweater, hopes, dreams or goldfish down this toilet.“ („Bitte keine Windeln, Damenbinden, Papierhandtücher, Kaugummi, alte Handys, unbezahlte Rechnungen, unerwünschte Post, den Pullover Ihre(s/r) Ex, Hoffnungen, Träume oder Goldfische herunterspülen.“)
In diesem Sinne, bis bald – zum zweiten Abschnitt!