Alternativ und Alternativen in Russland
Toleranz, Homosexualität, Straßenkinder und Antialkoholkampagnen. St. Petersburg präsentiert sich als eine Stadt mit vielen Facetten - einige davon wenig glänzend. DraCKo berichtet.
Queer in St. Petersburg
17. September 2009, während der amerikanische Pharmakonzern "Pfizer" sich in einem Rekordumsatztief befindet, während in Deutschland Bundeskanzlerin Merkel der Autoindustrie ihre weitere Unterstützung zusagt, während ich in Russland an meinem "On-Arrival-Training" teilnehme, wird zur gleichen Zeit, am gleichen Ort – St. Petersburg, dem Venedig des Nordens und der Wiege dreier Revolutionen - das internationale "Queerfestival" eröffnet.
Schaut man im Wörterbuch nach, so findet man für das englische Wort "Queer" die Übersetzung: "sonderbar, seltsam, komisch oder auch schwul". "Was ist eigentlich Queer? Queer, das ist der Mangel am Etikett! Queer vereint Menschen! Queer - das ist das Fest der Vielfalt!", so lautet die offizielle Variante der Veranstalter.
Man könnte meinen, dass jene Toleranz selbstverständlich für eine fünf Millionen Metropole sei. Weit gefehlt! Im letzten Jahr, als ein ähnliches Fest mit gleichem Inhalt stattfinden sollte, schlossen alle Clubs in der zweitgrößten Stadt Russlands. Doch nicht nur die Veranstaltung ist alternativ, auch der Ort ist wohl ausgewählt - eine alte Fabrik im Herzen der Stadt.
Nach der Pressekonferenz mit schwedischer und niederländischer Beteiligung, von der Unterstützung für das Festival ausging, wurde die Fotoausstellung "Fiolet" eröffnet. Bis zum 27. September konnte sie noch besucht werden. Verschiedene Veranstaltungen im Rahmen des Festivals rundeten es ab.
Feierliche Eröffnung der ersten deutschen Schule in St. Petersburg
Unabhängig davon, doch auch festlich begangen, eröffnete zwei Tage später die erste deutsche Schule in St. Petersburg, die vor allem Diplomaten sehr entgegenkommen dürfte. Jene Schule sei ebenso eine "Beruhigung für Geschäftsleute", so Dr. Peter Ammon, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, in seinem Grußwort an Kinder, Eltern und Gäste.
Schon ab dem 1. September lernen hier 16 SchülerInnen der 1.-7. Klasse und 10 KindergartenbesucherInnen die Grundbausteine für ihr späteres Leben. Für 100 SchülerInnen sowie 30 KindergartenbesucherInnen ist das Gebäude ausgelegt.
Der festliche Akt mit Reden, einem Gesangsauftritt der Kinder, einem Gruppenfoto und Rundgang im neuen Schulgebäude schloss mit typisch deutschem Buffet sowie dem Auftritt der Zirkusgruppe "Upsala" ab. Jene voller Heiterkeit und Stolz glänzenden Augen stammen von Heranwachsenden, die Teile ihre Kindheit auf der Straße verbringen mussten. Zwei Welten trafen somit aufeinander. Während die Erwachsenen dem Buffet mehr Interesse als den auftretenden Kindern zeugten versuchten einige ihrer Schützlinge die vorgeführten Kunststücke nachzumachen.
Straßenkinder und Alkoholismus in Russland
Allein in St. Petersburg sollen es tausende Kinder sein, die auf der Strasse leben. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Man kann nur von Schätzungen ausgehen. Sie fliehen aus ihren Familien, wo sie elterlicher Gewalt und ungeregelten Verhältnissen ausgesetzt sind. Durch Arbeitslosigkeit und Armut stehen in vielen Familien Alkoholismus und Gewalt auf der Tagesordnung.
"Wenn man von der offiziellen Statistik spricht, haben wir zwei bis zweieinhalb Millionen Alkoholiker", sagte Russlands oberster Amtsarzt, Gennadi Onischtschenko, in einem Interview des Radiosenders "Echo Moskwy". Die Hälfte aller Todesfälle gehe auf Alkoholmissbrauch zurück.
Die Regierung reagiert mit einer Alkoholkampagne. 500 Millionen Rubel sollen im Rahmen eines staatlichen Programms zur Senkung des Alkoholkonsums beitragen.
Zurzeit gibt es Bier in fünf Liter Flaschen zu kaufen. Dies solle sich zukünftig ändern. Bier, was oft als ein unalkoholisches Getränk angesehen wird und gerade deshalb einen optimalen Einstieg für Jugendliche in die Abhängigkeit bietet, solle in kleinere Flaschen abgefüllt werden, so Dmitri Medwedew. Denn nicht nur privat wirkt sich das ungelöste Alkoholproblem auf das Land aus, auch die Arbeitsweise leidet unter jenem Einfluss.
Michael Gorbatschows Antialkoholkampagne in den 80-iger Jahren war wenig erfolgreich, hat sogar bewirkt, dass Schwarzbrennereien blühten und die Russen weiter tranken.
Es bleibt abzuwarten was die Zukunft des aktuellen Lösungsansatzes bringt.
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