Und hinter dem Durdle Door beginnt das Paradies...
Das war dann also Minehead. Bald geht es nach Hause. Wie kann man sich am besten von einer Zeit verabschieden, in der man die Leidenschaft zum Reisen entdeckt hat? Mit einer Abschlussreise durch den bisher unerkundeten Süden Englands!
Meine Vorbereitungen waren diesmal nur sehr dürftig. Ich hatte nur die Busfahrpläne zu meiner ersten Station herausgesucht, und mehreren Jugendherbergen eine Anfrage per Mail geschickt, ob sie für mich einsame Backpackerin wohl noch ein Plätzchen frei hätten.
Mit dem Bus quälte ich mich dann früh morgens etwa 3 Stunden von Taunton nach Weymouth. Erstaunlicherweise hat alles gut geklappt, kein Bus hatte Verspätung (obwohl mein Vorhaben, nur 15 Minuten zwischen dem Umsteigen Zeit zu haben, für englische Verhältnisse sehr, sehr gewagt war!).
In Weymouth angekommen, erst einmal die Haltestelle für die Weiterfahrt gesucht. Vergeblich. Dann im Tourist Office erfahren, dass der Bus, den ich nehmen wolle, zu dieser Jahreszeit leider noch nicht fahre, und mir nichts anderes übrig bleibe, als eine halbe Stunde den selben Weg zurückzufahren, dort umzusteigen und so weiter. Also wieder mal ein Umweg, und nicht die schöne Strecke an der Küste entlang! Toll, danke auch!
Aber wenn ich schon mal in diesem Seebad war, dass im Sommer auch viele (vor allem deutsche) Sprachschüler empfängt, wollte ich es mir auch anschauen. Gefallen hat es mir aber nicht besonders gut. Vielleicht lag es aber eher an den Umständen. Einige schöne Eckchen hat Weymouth eigentlich schon.
Irgendwann hatte ich allerdings den Drang endlich weiterzufahren, da es anfing zu regnen, und ich noch unbedingt vor Dunkelheit zur Jugendherberge in Lulworth Cove kommen wollte. In Dorchester die lange Zeit des Wartens mit einer heißen Schoko überbrückt.
Später bat ich den Busfahrer um Hilfe, fragte ihn, wann ich denn aussteigen müsse. Er kannte die Jugendherberge leider auch nicht. Bin dann eben am Meer ausgestiegen. Und habe mich gleich in Lulworth verliebt! Da war eine kleine süße Häuserreihe, die zum Meer führte im Sonnenuntergang. Aber leider weit entfernt von der Jugendherberge…
Also ging ich die geschätzten 2 1/2 Meilen in die angegebene Richtung. Zwischendrin traute ich lieber einem Schild, das auf ein Feld wies, als den netten Wanderern, die mir den Weg schildern wollten. Was zur Folge hatte, mit einem doch recht schwer werdenden Rucksack einen steilen Hügel erst hoch, und später wieder runter laufen zu müssen.
Wiederum fragte ich einen hilfsbereiten Einwohner, der mit seinem Auto und Hund eher so aussah, als wäre er direkt den 20er Jahren entstiegen (wie in England sowieso viele schöne Oldtimer noch heute überall herumfahren - da könnte man glatt zum Oldtimerfanatiker werden!). Und wieder lief ich eine halbe Stunde querfeldein, weil ich an der Richtigkeit der Angaben zweifelte. Irgendwann nahm ich eine Abzweigung nach unten. Und am Ende der Straße: Endlich die Jugendherberge! Gerade rechtzeitig zum Einsetzen der Dämmerung!
Es schien eher ein kleiner; einfacher, rustikaler Schuppen zu sein, wie man es in so verlassenen Gegenden eben hat. Nachdem ich „eingecheckt“ hatte – die Herbergsleute waren wie überall so nett, mich alleine in einem Zimmer einzuquartieren -, und mit Mühe mein Bett bezogen hatte (das System mit dem Betten beziehen muss man erst einmal ‚drauf haben’), bekam ich ein „üppiges“ Abendessen zubereitet: Fleischbrühe mit Nudeln und Toast, und zum trinken...ja, Fleischbrühe!
Das ganze verzehrte ich zum Blöken vieler Schafe und Lämmer. Später blätterte ich in Prospekten. Die Jugendherberge wurde mir immer gemütlicher, und ich fand das Blöken bald nicht mehr nervig, sondern immer schöner. Beruhigend, zeitlos, entspannend.
Die Jugendherberge lag am Ende eines kleinen Dorfes, weit vom nächsten Supermarkt entfernt, ohne die modernen zivilisatorischen Errungenschaften wie Fernseher, ohne Netz (das Handy konnte man nur am anderen Ende des Dorfes gebrauchen), ohne funktionierenden Fernseher - und mit nur 4 anderen Gästen!
Nach einer langen Nacht bekam ich ein leckeres Frühstück (Toast zu Fleischbrühe und Schokobiskuits), diesmal mit Ausblich auf die Schafe, die ich am Tag davor nur gehört hatte, und deren Umrisse ich wegen der Dunkelheit nicht mehr hatte erkennen können, obwohl sie direkt vor dem Fenster standen.
Es war einfach klasse, die Lämmer so herumspringen zu sehen. Der Herbergsvater platzte geradezu, als ich ihm erzählte, dass das Ganze eigentlich sogar besser als Fernsehen sei, war wie aufgetaut und gab mit plötzlich lauter gute Ratschläge: Was ich in der Gegend gesehen haben sollte, was der beste Wanderweg sei, welchen Zug ich nehmen sollte.
Kurzentschlossen ließ ich meinen Rucksack bis auf unbestimmte Zeit in der Jugendherberge und lief los. An der Weide „meiner“ Schafe vorbei, über den Berg, bis ich endlich die Lulworth Cove sah: Eine fast kreisrunde Einbuchtung des Meeres, die vor allem bei Geologen für ihren „Fossilienwald“ berühmt ist. Diese umwanderte ich. Bei den steil abfallenden Felsen empfand ich plötzlich wieder Höhenangst. Trotzdem genoss ich das Fleckchen Erde. Irgendwo entdeckte ich ein lächelndes Gesicht aus Steinen im Meer. Anschließend wanderte ich weiter zum Durdle Door, einem bekannten und wunderschönem Felsentor. Die Ruhe und Abgeschiedenheit tat gut.
Bald nahm ich aber auch wieder ‚Kontakt’ zur Außenwelt auf, verständigte mit dem Handy meine Mutter, dass ich den ersten Tag heil überlebt hatte. Mit meinen Beschreibungen des Meeres, der Küste und des Tores machte ich sie ganz neidisch!
Leider war dann auch irgendwann die Zeit zum Umkehren gekommen, weil mein Ziel des Tages eigentlich Poole und Bournemouth war, und der Bus nur jede zweite Stunde fuhr. Also ging ich vorbei an Lulworth Cove, durch Lulworth West zurück zur Jugendherberge, um meinen Rucksack abzuholen, „meinen“ Schafen Lebewohl zu sagen und zur Bushaltestelle zu gehen.
Die lag im Mittelpunkt des Ortes – das heißt an der Kirche neben dem Kriegsdenkmal und dem Pub. Und wieder erlebte ich einen besonderen Moment: Die Häuschen gegenüber sahen so gemütlich und ruhig aus, dass ich am liebsten dort sitzen geblieben wäre - für immer, nur auf die Straßenzeile schauend. Der ganze Ort hatte auf mich zweifellos eine große Faszination ausgeübt.
Obwohl die ganze Reise schon wieder fast 2 Monate her ist, ist sie mir noch genau im Gedächtnis geblieben. Es war nicht nur der längste ‚Urlaub’, den ich bis dahin alleine gemacht habe, sondern er hat auch etwas hinterlassen. Etwas, das mir schon fast peinlich ist, zuzugeben: Ich schaue mir jetzt Rosamunde Pilcher Filme an. Und zwar, weil sie in der wunderschönen Landschaft des Südwestens gefilmt wurden. Vieles erkenne ich von meinen Kurztrips wieder. Das Durdle Door kann man beinahe jedes Mal bewundern. Und dabei werden eben sehr schöne Erinnerungen wach.