Start mit Hindernissen
Trine hat es für ein Jahr in die schottischen Lowlands verschlagen. Nach einer stressigen Hinreise, folgte direkt ein Schock nach dem anderen. Doch Trine lässt sich nicht unterkriegen und hat inzwischen sogar Gefallen an Schottland, seinen Menschen und Bergen gefunden.
Es ist nun also tatsächlich schon eine Woche her, dass ich am Flughafen stand und meiner besten Freundin und meinem Freund für eine lange Zeit auf Wiedersehen gesagt habe – um für ein Jahr in die schottischen Lowlands am Rande der Highlands zu gehen. Ich war aufgeregt. Logisch, wäre wohl auch ungewöhnlich gewesen, wenn nicht.
Was würde mich erwarten?
Außer der Projektbeschreibung und den paar Informationen auf der Braendam-family-house-Homepage hatte ich nichts über das Projekt gewusst. Denn hier hatte ich mit niemandem jemals gesprochen. Lediglich ein paar E-Mails gingen hin und her.
Ich machte mir viele Gedanken über das Projekt: Wie viele Freiwillige würden dort wohl außer mir sein? Was hab ich da zu tun? Wie läuft das Leben dort ab? Und die wichtigste Frage: Darf ich Besucher empfangen? Denn in Deutschland hatten mir sehr viele angedroht, ich würde hier keine ruhige Minute haben. Wobei mein Interesse verständlicher Weise daran lag, meinen Freund hier her zu holen und Rike, meine beste Freundin.
Je später der Flug, desto größer die Verzweiflung
Mein Start hier in Braendam wurde mir wirklich nicht einfach gemacht. Es begann in Birmingham, meiner letzten Umsteigstation auf dem Weg her... Mein Flug verspätete sich erstmal um eine Stunde, dann um eine weitere halbe und dann immer wieder um zehn Minuten, so dass ich am Ende über 2 Stunden dort wartete und verzweifelter und verzweifelter wurde. Der Grund für meine Verzweiflung war der, dass ich in Braendam anrufen wollte, um mitzuteilen, dass es später würde, als geplant. Allerdings erreichte ich nirgendwo jemanden. An keinem der vielen Telefonanschlüsse, deren Nummer mir Brian zuvor gemailt hatte.
Da ich ein kleiner Paranoid bin, hatte ich sowieso Angst, dass mich in Stirling keiner abholt. Und jetzt, da ich niemanden erreichte, stieg diese Angst natürlich ins Unermessliche. Ich wollte nur noch zurück, in den Arm meines Freundes in die Wärme meines Hauses. In dieser Verzweiflung hab ich dann meine Eltern angerufen.
Oh, ich kann euch sagen, tut so etwas nicht! Meine Mutter hat dann die ganze Nacht nicht geschlafen, aus Sorge um mich. Dabei hab ich nach meiner Landung in Glasgow sofort jemanden erreicht und wurde auch top-zuverlässig an der Trainstation in Stirling abgeholt.
Der nächste Schock
Als ich also absolut entspannt im Auto saß, glücklich, endlich angekommen zu sein, begannen die weiteren Schocks: Ich musste mir ein Zimmer teilen. Da ich, was so etwas angeht, eher unkompliziert bin, machte mir das jedoch nach einem kurzen Seufzer keine weiteren Schwierigkeiten. Denn ich war mir sicher, dass ich dort, wo wir hinfuhren, auch außerhalb des Hauses Rückzug finden könnte.
Als wir dann in Braendam ankamen, begegnete ich das erste Mal dem mysteriösen Brian. Er sah freundlich aus und sehr verständnisvoll, und das ist er auch. Allerdings versetzte er mir gleich den nächsten Schock: am nächsten Tag würde ich mich nicht etwa einleben können und mir alles anschauen, nein, ich müsse zurück nach Stirling zu einem „Elementery-food-hygiene“-Kurs.
Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass es inzwischen halb ein Uhr nachts und ich seit elf Uhr morgens unterwegs war (plus eine Stunde, denn hier ist es eine Stunde früher, als zu Hause). Mir war inzwischen irgendwie alles egal und ich willigte ein, weil ich nur noch ins Bett wollte. Also stand ich am nächsten Tag auf, um diesen Kurs mitzumachen, der am Ende einen schriftlichen Test abverlangte, den ich bestehen musste. Da erst ging mir auf, dass das alles in Englisch stattfinden würde und ich begann zu verzweifeln...
Naja, letztlich war’s tierisch langweilig und ich bestand den Test mit 45 von 45 möglichen Punkten, obwohl ich einige der Fragen nicht wirklich verstanden habe.
Am nächsten Tag sollte ich dann das erste Mal arbeiten. Dazu muss ich sagen, dass im Moment nicht die normale Braendam-Arbeit anfällt, da derzeit keine Familien hier sind. Stattdessen findet hier derzeit ein IVS-Volunteer-Workcamp statt mit acht oder zwölf Freiwilligen aus aller Welt.
„Du bist nicht allein“
An dieser Stelle könnte ich auch mal erwähnen, dass ich nicht die einzige Freiwillige hier bin, was wohl allein daraus hervor geht, dass ich mir ein Zimmer mit Cindy teile. Sie kommt aus Costa Rica und ist für sechs Monate hier. Sie kam eine Woche vor mir an. Eben so Daniel aus Honduras. Die beiden sind eigentlich ganz nett, nur etwas eigenbrötlerisch und reden miteinander immer spanisch, was ich unhöflich finde, aber bitte...
Mit auf meinem Flur lebt noch Caterina. Ich glaube, sie kommt aus Tschechien, aber ich weiß es nicht genau. Caterina ist schon länger hier und bleibt noch bis Januar. Sie ist unglaublich lieb und hilfsbereit. Dann gibt es noch zwei weitere Freiwillige, die gemeinsam in einem Caravan leben. Das ist zum einen Melis aus der Türkei: ein liebes aber schüchternes Mädchen. Sie kam am gleichen Tag an, wie ich, etwa drei Stunden früher. Und Anja aus Deutschland. Sie hat mir hier alles gezeigt, da sie schon seit drei Monaten hier ist. Insgesamt bleibt sie zwölf Monate, also bis Juli. Wir haben uns sehr schnell, eigentlich ohne drüber zu reden, darauf geeinigt, dass wir nur Deutsch sprechen, wenn wir uns ganz sicher sind, dass niemand da ist, der es hört. Denn wir finden es beide unhöflich und außerdem wollen wir üben, Englisch zu sprechen und zu denken. Aber es ist angenehm zu wissen, dass im Zweifel jemand hier ist, der mich versteht, wenn ich mal nicht weiß, wie ich etwas sagen soll. Wobei ich das Problem derzeit noch nicht hatte.
„On-arrival-training“ einmal anders
Zurück zum Mittwoch. Ich sollte also arbeiten, aber irgendetwas in meinem Bauch weigerte sich dagegen, und so lag ich den ganzen Mittwoch mit Magen-Darm-Grippe im Bett, nachdem ich die Nacht von Dienstag auf Mittwoch überwiegend auf dem Klo verbrachte. Da ergab sich auch schon das nächste Problem: Am Donnerstag sollte ich zu meinem fünftägigen „On arrival training“. Da es mir im Laufe des Mittwochs immer besser ging beschloss ich, am Donnerstagmorgen zu entscheiden, ob ich dazu bereit war. Am Morgen entschied ich, dass das so sei und brach zusammen mit Anja (sie hatte ihre erste Möglichkeit zum „On arrival training“ verpasst und musste nun hin), Caterina und Melis nach Glasgow auf, um dort den Anschlussbus nach Manchester zu bekommen.
Die Luft im Bus von Stirling nach Glasgow war stickig und warm und mir wurde übel. Ich hatte eine kleine Schüssel Müsli gefrühstückt, aber ansonsten seit Dienstagabend nichts mehr gegessen und das hatte ich alles wieder ausgespuckt. Als ich also in Glasgow aus dem Bus stieg wurde mir schwindelig und schwarz vor Augen. Ich setzte mich und musste mich an der Bank festhalten um nicht ganz umzufallen. Da ich diesen Zustand kannte, wusste ich, ich hätte vielleicht zehn Minuten gebraucht, dann hätte ich wieder aufstehen können. Leider hatte ich keine zehn Minuten, da unser Bus fünf Minuten später fuhr, an einem 5 Minuten Fußweg entfernten Ort...
Dazu war ich nicht fähig, also beschloss Anja, mit mir in Glasgow zu bleiben und mich nach Braendam zurück zu bringen. Sie hätte durchaus mitfahren können, aber sie wollte gar nicht zu dem Training – was hätte auch ein „On arrival training“ für einen Sinn gemacht, sie war ja schon drei Monate hier.
Brian war etwas böse darüber, da er mir vertraut hatte, dass ich fit genug sei, wenn ich das sagte. Er schickte mich auf mein Zimmer und bat mich, es nicht mehr zu verlassen. Das tat er nicht aus Ärger, sondern, weil er es musste. Wenn jemand Magen-Darm Probleme hat (Durchfall oder Erbrechen), muss er bis zu 48 Stunden nach dem letzten Mal von der Arbeit und den öffentlichen Räumen fernbleiben. Ich hatte Glück, dass der Internetcomputer auf meinem Flur und damit im Staff-Bereich steht, denn sonst hätte ich nichts machen können, außer zu lesen.
So verbrachte ich also einen äußerst langweiligen und deprimierenden Donnerstag in meinem Zimmer und im Staffroom und bin recht früh ins Bett gegangen. Am Freitag war ich dann aber wirklich wieder fit und durfte auch wieder arbeiten.
Endlich arbeiten?
Da kam die nächste ungewöhnliche Sache auf mich zu... Anstatt mit den IVS-Volunteers zu arbeiten, fuhr ich mit nach Stirling zum jährlichen Vorstandstreffen von Braendam. Wirklich arbeiten musste ich da auch nicht. Das Buffet aufbauen und abbauen, dazwischen kurz gehaltenen Reden lauschen und das Buffet verspeisen.
Am Nachmittag sollten wir dann den IVSlern helfen, aber die hatten selbst kaum was zu tun. Also taten wir so, als hätten wir was zu tun und machten dann bereits um fünf Uhr, anderthalb Stunden zu früh, Feierabend.
Naja, und nun ist Wochenende... Das heißt: im Prinzip hab ich noch nichts gemacht, aber bin trotzdem schon eine Woche hier. Einerseits klingt das sehr entspannt, andererseits bin ich Trine und mag Action und viel zu tun. Rumsitzen und Langeweile deprimieren mich, und so bekam ich regelmäßig Heimweh und wollte zu meinem Freund.
Anti-Heimweh-Aktionen
Aber ich habe eine gute Waffe dagegen gefunden, die da heißt: Ablenkung! Bei mir besteht sie derzeit daraus, zu lesen, oder, wie gestern, Tagesfüllende Dinge zu tun. Ich war mit den IVS Freiwilligen in Stirling. Dort haben wir uns als erstes das Castle angesehen. Kurz und knapp dazu: es lohnt sich nicht. Zwei Stunden bin ich dort herumgerannt um irgendetwas Schönes zu finden. Das einzig Schöne war die Aussicht – es ist auch das Einzige, was ich fotografiert habe. Denn es gab mehrere wunderschöne Regenbögen direkt über Stirling. Und einer war von besonders intensiver Farbe, das musste fotografiert werden! Ich weiß allerdings nicht, wie das Foto geworden ist, es ist noch nicht fertig. Der Rest des Castles war nicht nur langweilig, sonder hässlich. Alles war sehr neumodisch renoviert und mehr als stark auf Tourismus ausgelegt. Nahezu nichts war noch altertümlich erhalten – die Küche z.B. war mit weißer Farbe gestrichen worden und im Kerker hatte man statt der zu erwartenden Steindecke Stahlbeton über sich...
Naja, nach diesem atemberaubenden Aufenthalt im Stirling Castle haben wird dann den wohlüberlegten Entschluss gefasst, uns zu Fuß auf den Weg zum Wallace Monument zu machen, wo wir abgeholt werden sollten. Wir hätten auch den Bus nehmen können, aber irgendetwas in mir verlangte, sich zu bewegen. Vermutlich die lange Pause über Mittwoch bis Freitag, in der ich kaum „Auslauf“ hatte. Ich fürchte, meine Entscheidung, zu gehen, hat die anderen dazu bewegt, es auch zu tun. Jedenfalls war es wirklich toll, etwa eine Stunde bei altbekanntem schottischen Nieselregen durch einen echt nicht schönen Teil von Stirling zu laufen, um dann einen wirklich hohen Berg hinaufzugehen, um dann wiederum festzustellen, dass das Monument geschlossen hatte, da wir etwa eine viertel Stunde zu spät waren. Hmm, „who cares“? Sind wir also wieder hinunter gestiegen, um auf Brian zu warten... Durchgefroren, durchnässt und müde...
Ein ähnliches Gefühl hatte ich nach unserer heutigen Exkursion: Wir sind auf einen Berg geklettert. Frag mich bitte keiner, wie er hieß. Der Aufstieg dauerte etwas länger als eine Stunde, der Abstieg etwa 45 Minuten. Es hat geregnet ohne Ende und an offenen Hängen war es verdammt stürmisch. Ich war zum Schluss durchnässt bis auf die Socken, zumindest untenherum. Oben wurde ich beschützt von einer durchaus sehr tauglichen Regenjacke von Tchibo (danke Mama!) und einem super klasse australischen Regenhut (Danke Schatz!).
Schöne Aussichten
Die Aussicht von diesem Berg war gigantisch, auch wenn man nicht weit sehen konnte, da der Nieselregen nach einigen Metern Wolkenform annahm. Aber man konnte doch über Loch Katrin und ein weiteres Loch sehen und die Berge dort hinter erahnen. Nun, es war das erste Mal, dass ich wirklich ernsthaft auf einen Berg geklettert bin. Und so anstrengend es auch war, ich möchte das bei schönem Wetter wieder tun.
Freitagabend war ich dann mit den IVSlern in einem Pub in Callender. Es war recht nett dort, aber leider lief nur Standardmusik und kein Folk, wie ich gehofft hatte. Dafür konnte man Karaoke singen, was sehr lustig war.
Morgen beginnt für mich vielleicht die erste anständige Arbeitswoche, welche jedoch bereits wieder am Donnerstag endet und mich in ein dreitägiges Wochenende entlässt. Mal schauen, was ich an dem Wochenende so machen werde. Die Freizeitgestaltungsmöglichkeiten sind hier einerseits sehr vielfältig, andererseits sehr lau. Denn das nächste Dorf mit Busanbindung ist zwei Meilen Fußweg von hier entfernt und Callender, wo ein bisschen mehr zum erleben ist, glaub ich sechs Meilen. Dafür könnte man sich ein Fahrrad nehmen, aber bei Regen will ich das nicht so wirklich.
Alles im allem bin ich sehr zufrieden mit dieser Einrichtung und werde noch viel zu berichten haben, aber für den Anfang sollte dies denke ich reichen.
Trine