Ein neues Zuhause schaffen
Nach fünf Monaten in den USA und drei Wochen in Deutschland ist es wieder an der Zeit, mir an einem Ort mein kleines Nestchen zu bauen. Doch wo sind die Zweige?
Helles Sonnenlicht reflektiert in mein Zimmer. Ich kann den klaren, blauen Himmel erahnen, doch der Ausblick vom Balkon aus wird durch die gegenüberliegende Häuserreihe dominiert. Zwar haben die meisten Nachbarn große Balkone, doch um ihre Wohnungen vor der Sommerwärme zu schützen, sind die Rollladen heruntergelassen worden. Mein Zimmer bekommt kein direktes Sonnenlicht ab, ist dennoch mit Tageslicht gefüllt und wirkt einladend. Der braune Parkettboden bildet einen schönen Kontrast zu den hohen, weißen Wänden. Noch sind sie kahl, aber der Raum sieht bereits belebt aus. In der einen Ecke steht mein Eastpack-Rucksack und zwei Taschen mit dem Logo der Uni Bonn. Mein kleiner Schrank ist bereits eingeräumt. Seine Schiebetür bedeckt immer nur eine Hälfte des Schranks. Das finde ich gar nicht so schlecht, denn es zwingt mich dazu ihn immer ordentlich zu halten. Gegenüber vom Schrank steht ein kleiner Tisch mit schwarz bemalter Tischplatte. Davor ein weißer Stuhl und daneben mein 1,30 m breites Bett. In dem Zimmer werde ich also die nächsten vier Monate leben. Ich brauche noch ein wenig, um mich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Ich war die letzten drei Woche gedanklich mehr mit dem Weggehen als der Vorbereitung des Ankommens beschäftigt. Da macht es Sinn, dass ich für das Ankommen nun etwas länger brauchen werde.
Auf einmal bin ich wieder ganz allein. Keine sozialen Verpflichtungen, keine Verabredungen zum Essen, keinen Termin, den ich noch unterbringen muss. Natürlich gibt es weiterhin Dinge auf meiner To-Do-Liste, aber die meisten können warten. Eigentlich sollte ich froh sein. Ist doch wie Urlaub! Naja, irgendwie ist das Urlaubsgefühl noch nicht angekommen. Gestern war ich in der Lissaboner Innenstadt unterwegs. Wunderschöne Stadt, viele Sehenswürdigkeiten, super Wetter. Keine Frage, aber ich glaube, ich bin noch zu überwältig, um die ganzen Eindrücke wirklich wertzuschätzen. Ich brauche eben noch etwas Zeit um anzukommen. So ein Umzug in ein anderes Land und der Wunsch, sich hier ein neues Zuhause zu schaffen, sind anstrengend. Das merke ich jetzt wieder. Besonders fällt mir wieder die Wichtigkeit von Sprache auf und wie viel sie auslösen kann. Obwohl Portugiesisch eine romanische Sprache ist und ich mir mithilfe von Englisch, Deutsch und Latein einiges erschließen können sollte, kann ich praktisch fast nichts verstehen. Besonders schwierig finde ich, dass die Aussprache von Wörtern für mich nicht direkt aus ihrer Schrift hervorgeht. Zwar habe ich in China Chinesisch gelernt und mein Englisch ist mittlerweile ziemlich gut, aber ein Sprachtalent bin und werde ich nicht mehr. Zum Glück hilft mir Englisch hier aber sehr. Zwar habe ich auch bereits Leute angesprochen, die Englisch nicht verstehen konnten, aber ein Großteil der Lissaboner kann, schätze ich, Englisch. Das macht die Stadt umso touristenfreundlicher. In der Innenstadt sieht man viele Touri-Busse, hört viele verschiedene Sprachen, es werden Fotos und Führungen gemacht. Die Touris haben wie gesagt auch allen Grund zu kommen. Es gibt viel zu sehen, die Stadt ist relativ sicher, hat Strände, Meer, Surfer, Natur in der Umgebung, besondere Architektur und kulinarische Höhepunkte. Bisher habe ich die leider verpasst. Meine gestrige, frische Limonade war weniger frisch und die Pflaumen zwar billig, aber weich. In meinen Reiseführern sind allerdings viele Cafés und Restaurants empfohlen. Ich warte aber noch ein wenig bis ich bereit bin dafür Geld auszugeben.
Nächste Woche lerne ich erst einmal die Cafeteria der Uni kennen. Da beginnt das Orientierungsprogramm. Ich lerne meine Kommiliton*innen kennen und werde mehr über meine Kurse, deren Aufbau und die Erwartungen der Dozent*innen erfahren. Hoffentlich sind bis dahin auch meine Mitbewohnerinnen in der WG. Bis dahin habe ich die Wohnung noch für mich. Ist wahrscheinlich gar nicht so schlecht. Das gibt mir mehr Zeit und Ruhe um hier anzukommen, ohne mich über Dreck in der Küche oder ein besetztes Badezimmer zu ärgern...
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