Abschiedsschmerz und Neuanfang
Julias Zeit in Pécs, Ungarn, ist zu Ende gegangen, verbunden mit großem Abschiedsschmerz. Nun studiert sie in Leipzig Erziehungswissenschaften und Deutsch – ein Entschluss, der während ihres Freiwilligendienstes in Ungarn gereift ist.
Hallo Ihr Lieben, endlich schreibe ich mal wieder ein paar Zeilen von mir. Eine Ewigkeit hat es ja schon gedauert, was mir echt Leid tut. Ich hatte oft vor, mich hinzusetzen und einfach mal zu schreiben. Aber wie es oft so ist: spätestens, wenn man dann zu Hause ist, fällt man nur noch tot auf sein Bett und bewegt sich erst mal nicht mehr. Jetzt muss ich also viele Dinge nachholen, wodurch ich sie mit sehr viel Abstand beschreiben werde.
Bei mir hat sich nämlich auch sehr viel getan. Ich bin im Mai nach Hause nach Berlin geflogen. Der Abschied aus Ungarn fiel mir sehr, sehr schwer. Ich habe viel geweint, als der Zug aus Pècs hinausfuhr und ich im letzten Wagen ganz hinten am Fenster stand und die Leute, die mich in aller Frühe zum Bahnhof gebracht haben, immer kleiner wurden.
Abschied schneller als geplant
Das Ganze war allerdings auch mit sehr viel Aufregung verbunden. Am letzten Abend saßen wir noch zusammen und ich dachte, dass es vielleicht eine gute Idee ist, wenn ich mal noch bei AirBerlin anrufe, um herauszufinden, ob mein Flug auch wirklich stattfindet. Das tat er auch, jedoch fast zehn Stunden früher als geplant. Dann musste ich also ganz schnell packen, aus unserem geplanten, letzten Frühstück wurde nichts, weil ich um fünf Uhr früh den Zug nach Budapest nehmen musste.
Die letzten Tage in Pécs
Da fuhr er also, der Zug. Oft heißt es ja, dass es einfacher ist, andere zu verlassen, als verlassen zu werden. Das empfand ich keineswegs so. Ich fand es furchtbar ungerecht, dass ich jetzt zurück nach Berlin musste – obwohl mich dort ja auch tolle Dinge erwarteten, aber dazu später. Justyna war schon zwei Wochen früher als ich nach Hause geflogen, wodurch ich noch sehr viel Zeit in Pécs hatte, die ich meist mit Ani verbrachte. Ich habe auch noch bis zum letzten Tag gearbeitet, allerdings meist ohne Jule, denn sie wollte noch ein wenig Zeit vor ihrer Abreise mit ihrem Freund Laci verbringen, und hörte deshalb früher auf zu arbeiten.
Mit Ani verbrachte ich also fast jede freie Minute. Wir gingen nach der Arbeit mal ins Kino, dann – wie könnte es anders sein – ins Cafe oder – und auch das ist typisch für uns – wir haben zu Hause gekocht und gebacken.
Ohne sentimental klingen zu wollen, aber das war echt so ziemlich die beste Zeit in Ungarn. So zum Ende hatte ich echt das Gefühl, dass ich dort hingehöre. Und irgendwie fühlte ich mich echt zu Hause. Auch wurde die Sprache so langsam mein Freund, und ich konnte mich gut verständigen. Umso schwerer fiel mir der Abschied. Und der wurde durch die vielen Abschiedspartys natürlich nicht leichter.
Aber süß fand ich es trotzdem, als mich auf arbeit alle umarmten und sagten, dass sie mich vermissen würden, und ich jederzeit wieder willkommen bin, dort zu arbeiten. Wie gerne wäre ich dort geblieben und mit den Abschiedsgeschenken, die ich bekommen habe, hätte ich einen ganzen dritten Koffer füllen können, dazu später auch mehr.
Bahn ja, Mercedes-Taxi nein
Alles Aufschieben und Verlängern hieß aber doch, dass ich irgendwann nach Hause musste. Und als ich dann so im Zug endlich meinen Platz eingenommen hatte, und zum tausendsten mal nach Budapest fuhr, und die mir so bekannte Landschaft noch mal sah, wurde mir so bewusst, dass es jetzt erst mal vorbei sein sollte.
In Budapest angekommen, lud ich meine zwei verdammt schweren Koffer aus dem Zug, und freute mich auf das U-Bahn-Fahren. Das habe ich immer sehr genossen, außerdem hatte ich in der anonymen Metropole noch mal Zeit für mich selbst. Allerdings wollte mir ein sehr tüchtiger Taxifahrer diese Zeit nicht gönnen. Er empfing mich gleich auf dem Bahnsteig und begleitete mich bis zur U-Bahn-Tür. Immer wieder mit den Sätzen: „Taxi, viel bequemer!“, „Ist Mercedes!“ und „Kostet nur 3000 Foreint!“ Als ich dankend verneinte (schließlich sollte ich in Deutschland genug Mercedes sehen und ich hatte auch keine 3000Forint mehr, außerdem sprach der nette Taxifahrer auch noch Deutsch, was meine Laune nicht unbedingt verbesserte, weil ich die letzten paar Stunden im ungarischen Landen mit allen Zügen genießen wollte…) na ja, als ich also verneinte, war er total beleidigt und sagte „Mercedes wohl nicht gut genug?!“ „Sehr bequem!“ und „Etwa zu teuer, Deutsche hat doch Geld!“ So hatte ich bis zur U-Bahn also nette Begleitung, mein Gepäck durfte ich aber trotzdem selbst tragen.
Das bisschen Gepäck…
Irgendwann kam ich dann auch am Flughafen an und wollte einchecken. Ich hatte ja schon damit gerechnet, dass mein Gepäck Übergewicht haben wird, aber nur ein bisschen. In dem Fall hätte ich auf meinen Charme gesetzt und darauf, dass mir die AirBerlin-Tante Verständnis entgegenbringt, denn schließlich war ich ja acht Monate in Ungarn...
Zumindest war das in Amerika so, aber hier sind wir in Ungarn. Ich konnte es nicht glauben, es sollte tatsächlich ein Problem werden. Und obwohl ich darauf bestand, dass ich ja Sportgepäck frei hätte (ich hab doch ach so fleißig Hockey gespielt und brauche ja eine ganze Ausrüstung... die AirBerlin-Tante hat bestimmt an Eishockey gedacht, nicht an Feldhockey...aber egal...), sollte ich noch 25 Euro zahlen. Wie ich aber schon beim Taxi festgestellt hatte, waren 25 Euro nicht mehr drin.
Aber es gibt ja noch die deutsche Kontokarte. Ich hatte noch versucht, die Dame zu überzeugen, dass die deutsche Karte in Ungarn nicht funktioniere, aber auch nur, um davon abzulenken, dass ich nach acht Monaten meine PIN-Nummer nicht mehr wusste. Wie peinlich wäre das denn gewesen.... Aber das wollte mir die nette AirBerlin-Frau nicht abnehmen. Nebenbei bemerkt: ich war an diesem Tag nur von netten Leuten umgeben. Ich sehe es wirklich so, auch wenn es sich jetzt nicht so anhört, aber Ungarn hätte schon mehr bieten müssen, um bei mir noch in Missgunst zu geraten. Also wollte ich es doch probieren, vielleicht würde mir der PIN ja doch noch einfallen. Nachdem ich gegrübelt habe und zwei meiner Fehlversuche schon verprasst hatte, ging ich noch mal zu der Tante und erklärte ihr die ganze Angelegenheit. Sie lachte nur und meinte, dass ich das nächste Mal besser auf mein Gepäckgewicht aufpassen solle. Und schon war ich eingecheckt. So funktioniert das, aber wahrscheinlich auch nur in Ungarn.
deutsch = schlecht?
Im Flieger lief alles wie immer. Ich saß am Fenster direkt neben dem Notausgang und mir liefen die Tränen unaufhaltsam. Von meiner Nachbarin hab ich sogar eine Servierte bekommen. In Berlin angekommen erschlug mich gleich die deutsche Kultur. Bei der Passkontrolle auf dem Berliner Flughafen standen alle in einer Reihe (!), warteten, dass sie dran sein würden (!), keiner sagte ein Wort (!), jeder war mit sich selbst beschäftigt und der Herr von der Passkontrolle hatte ein sauberes, zugeknöpftes Hemd an und guckte in jeden Pass wirklich rein (in Rumänien war das ja nicht so).
Das alles konnte ich aber noch ertragen.
Als allerdings eine behinderte Dame im Rollstuhl aus dem Flieger geschoben wurde und nun die nächste AirBerlin-Tante um Platz bat, damit die Dame nicht in der Schlange warten müsse, machte ich geduldig Platz. Vor mir hörte ich nur: „Nur weil sie behindert ist, kann sie wohl nicht in der Schlange warten! Frechheit!“ In diesem Moment wäre ich gerne wieder eingestiegen. Vielleicht kommt das jetzt vielen nicht so „deutsch“ vor, aber in meiner Situation war alles Schlechte auch deutsch. Die guten Dinge wollte ich an diesem Tag nicht sehen...
Zurück im Schoß der Familie
Meine Mama nahm mich dann endlich in Empfang. Als sie fragte, wie es mir ginge und wie mein Flug gewesen wäre, strömten die nächsten Tränen aus meinen Augen und ich jammerte nur: „Ich will zurück!“ Man mag mich als Heulsuse betiteln, aber ich konnte nicht anders. Meine Mama guckte auch traurig, denn sie hatte sich natürlich sehr auf mich gefreut. Und ich stand da und weinte, als ich sie wieder sah (Oh, ein Reim ;) ).
Berlin – ein Kulturschock
Die nächsten paar Tage habe ich irgendwie echt ausgeblendet, denn ich weiß nichts mehr von ihnen. Ich sollte auch nicht lange in Berlin bleiben, denn ich hatte im Dezember schon einen Flug nach Santiago de Chile gebucht, um meine Freundin Tina in Südamerika zu besuchen. Sie hat dort ein Jahr Praktikum im Goethe-Institut gemacht, und wir wollten noch ein bisschen die Gegend dort unsicher machen und ein bisschen durch das Land reisen.
Von meinen paar Tagen in Berlin dazwischen weiß ich allerdings fast nichts mehr. Ich kann mich nur noch an das Gefühl erinnern, dass ich hatte: Ich traute mich nicht raus. Ich saß fast nur in meinem Zimmer, weil ich die Realität dort draußen scheute und Angst hatte, dass ich wieder ein Teil davon werden würde. Mir gingen die Leute auf den Keks, die mit grimmigem Gesicht durch die Straßen ziehen, völlig in Gedanken bei ihren Sorgen und Problemen – und dabei scheint die Sonne. Ehrlich, ich habe festgestellt, dass niemand lächelt. Also habe ich angefangen, die Leute anzugrinsen, und die gucken ganz verstört weg, weil sie dachten, ich hab sie nicht mehr alle.
So zog ich es vor, zu Hause zu bleiben. Ich wollte nichts mit deutscher Kultur zu tun haben... Ich glaube, so etwas nennt man auch einen Kulturschock.
Vier Wochen Chile und Peru
Na ja, aber es kam die Zeit, da machte ich mich dann endlich auf nach Santiago. 13 Stunden von Madrid nach Santiago, das war ein Ritt. Und angekommen inmitten der Anden nahm mich die Tina in Empfang. Die nächsten vier Wochen würden ein ganzes Buch füllen, würde ich erzählen, was wir alles auf unserer Rucksacktour durch Chile und Peru erlebt haben.
Es war einfach genial!
Und was wir alles gesehen haben. Der Wahnsinn! Ich konnte zwar gar kein Spanisch, aber die Situation, dass ich niemanden verstehe, die kannte ich ja nun schon zu gut. Deshalb hatte ich auch kein Problem damit, mich wieder mit Händen und Füßen zu verständigen. Tina hat natürlich auch geholfen, denn sie sprach ja äußerst fließend Spanisch.
Wir haben in der Wüste Halt gemacht, waren im Urwald für vier Tage wandern, guckten uns alte Inkastädte an, streunten durch südamerikanische Dörfer, aßen bei Einheimischen zu Mittag, erlebten die Großstätte bei Nacht, badeten in heißen Quellen und in Salzseen (man schwimmt oben und muss nicht mal den kleinen Finger bewegen), schliefen in Bussen auf der Fahrt ins nächste Abendteuer, radelten durch trockene Steinwüsten, im Hintergrund ein rauchender Vulkan, rutschten mit einem Sandboard Sanddünen hinunter, schwitzen tagsüber in der Sonne, nachts froren wir in unseren Lehmhütten, ruderten zu kleinen Inseln voll mit Pinguinen, sammelten Seeigel, fotografierten Vogelspinnen und Pelikane.... In einem Wort: ABENTEUER!
Es war unglaublich. Zu Hause in Deutschland machte man sich allerdings ganz schöne Sorgen um mich, weil ich so weit weg war. Aber ich bin heil wieder zu Hause gelandet und überlege jetzt, vielleicht doch irgendwann noch einmal Spanisch lernen zu wollen. Es war toll!
Tina und ich haben auch einen kleinen Reiseklub gebildet, dass heißt, dass wir uns vorgenommen haben, ab und zu einfach mal raus zu fahren, und eine andere Ecke zu entdecken. Mal gucken, wo es uns das nächste Mal hinträgt.
Ferien(lager) an der Ostsee
Mich hat es dann erst mal nach Hause getragen. Ich war arbeiten und dann wieder an der Ostsee im Ferienlager. Das war wieder so toll, obwohl ich natürlich einige Probleme mit meinen Kindern hatte, dass sie ein bisschen frei gedreht haben. Aber das war alles im Rahmen. Letztlich haben sie es auch sehr genossen und mir am Ende für so tolle Ferien gedankt. Das hat mich dann schon sehr stolz gemacht.
Da das Wetter dann supertoll war, bin ich gleich noch länger belieben und habe noch fast zehn Tage Urlaub dort oben in Markgrafenheide gemacht. Eigentlich wollte ich nur drei Tage bleiben und hatte auch nur ein T-Shirt mit. Aber jeden Morgen guckte ich in den Himmel und dachte. „Nein, heute fährst du noch nicht nach Hause!“ Na gut, ich gebe es auch zu, manchmal guckte ich nicht nur in den Himmel, sondern auch in die himmelblauen Augen eines süßen Betreuers. Aber das ist wieder eine Geschichte, die hier die Rahmen sprengen würde…
Freiwilligen-Nachschub und Warten auf die Zulassung
Dann war ich also irgendwann auch mal wieder in Berlin. Da hab ich dann auf meine Studiumszulassung gewartet und nebenbei Seminare gemacht. Ich helfe nämlich bei Seminaren für die nächsten Freiwilligen, die mit dem Programm JUGEND ins Ausland gehen. Da hab ich dann auch die Freiwilligen kennen gelernt, die praktisch meine und Jules Nachfolger sind. Wie hab ich sie beneidet, dass sie alles noch vor sich haben! Ich hatte irgendwie Angst, dass sie Ungarn nicht zu schätzen wissen, weil so viele doch nach England gehen und dort ein supertolles, durchorganisiertes Projekt haben werden...
Hätte mich jemand gefragt, ich wäre sofort wieder gefahren. Aber ich spürte irgendwo auch, dass es Zeit ist, etwas Neues zu machen.
Ich brauchte wieder Wissen in meinem Kopf, also Studium! Bald hätte ich mich auch vor den Briefkasten gesetzt und jeden Tag den Briefträger persönlich gefragt, ob er meine Zulassungsbescheinigung dabei hat. Denn es dauerte ganz schön lang und meine Nerven lagen ganz schön blank. Dazu kam noch, dass mein lieber Zahnarzt auf die glorreiche Idee kam, dass er mir doch die Weisheitszähne noch rausrupfen müsse. Dann hätte ich also mit dicker Backe vor dem Briefkasten gesessen und auf meine Zulassungsbescheinigung gewartet...
Schließlich habe ich sie erhalten und damit wären wir beim Hier und Jetzt.
Ab nach Leipzig
Ich sitze jetzt am Laptop in meinem WG-Zimmer in einer 6-er WG in Leipzig. Gestern bin ich mit Sack und Pack umgezogen. Mein Zimmer und auch meine WG sind ein Traum. Die Leute sind wirklich superlieb und ich fühle mich einfach wohl hier. Obwohl mich sehr die Zweifel plagten, denn ich konnte niemandem sagen, warum ich mich für dieses Zimmer entschieden hatte. Es gab so viele negative Dinge, aber mein Bauch sagte: „Dieses!“ Also habe ich dank meiner neu erworbenen ungarischen Spontaneität dieses Zimmer genommen und nun studiere ich ab dieser Woche Erziehungswissenschaften und Deutsch als Fremdsprache auf Magister in Leipzig.
Warum nicht in Berlin? Nun, Berlin ist mir einfach zu groß. Ich wollte eine Stadt, die so ähnlich ist wie Pécs, und da ich ja gebürtige Leipzigerin bin, kam mir das nur gerade Recht.
Und warum Erziehungswissenschaften und Deutsch als Fremdsprache? Erziehungswissenschaften wollte ich schon letztes Jahr beginnen, aber ich war mir nicht so wirklich sicher. Durch meine Arbeit in Ungarn habe ich aber festgestellt, dass ich doch eher der soziale Mensch bin. Und dass mich Sprachen interessieren, wusste ich schon vorher. Allerdings fand ich es sehr spannend, wie man andere Sprachen überhaupt lernt, also wie ich in Ungarn erst mal die Sprache lernen musste. Was kommt mir da gelegener, als Deutsch als Fremdsprache? Zumal man damit vielleicht irgendwann wieder ins Ausland – nach Ungarn? – gehen kann, um dort Deutsch zu unterrichten…
Heute habe ich also die erste Nacht in meiner eigenen Wohnung verbracht und dann heute auch endlich meinen Bafög-Bescheid bekommen und meinen Studentenausweis. Ihr glaubt gar nicht, wie stolz ich war!
Allerdings gibt es auch noch ein paar Problemchen: Ich bin das viele Fahrradfahren noch nicht gewöhnt und habe ganz schönen Muskelkater. Dazu kommt noch, dass ich viele Wege zwei- oder sogar dreimal fahren muss, weil ich mich ständig verfahre, weil ich die Stadt ja noch so gar nicht kenne.
Also alles sehr spannend, und ich hoffe, dass es das auch noch eine Weile bleiben wird. Mal sehen, ob ich mich in nächster Zeit etwas öfters melden kann, damit es dann nicht wieder so ellenlange Texte geben muss.
Danke für das viele Lesen! Liebe Grüße an alle! Julia