About Kings and Queens
Fremde Länder entecken. Neue Kulturen erleben. Sich dabei selbst finden. Das hört sich nach der besten Zeit unseres Lebens an, nicht wahr? Jeder Reise-Vlog ist voll von wunderschönen Sonnenuntergängen und Affen-Kuscheleien.
Aber ich frage mich: Ist es nicht unsere Aufgabe - die, die wir so frei und unbeschwert durch die Welt reisen - für Aufmerksamheit zu sorgen? Aufmerksamkeit für beide Seiten dieser Länder, den guten wie den schlechten.
Singapur. Eine Stadt auf der anderen Seite der Welt. Oder ein Land? Recherchen ergeben: Stadtstaat. Mit über 5.5 Millionen Einwohnern. 14.000 davon leben auf dem Campus der Nanyang Technology University - das sind fast so viele wie in meinem Heimatort - und ich würde einer davon sein.
Ich ging nicht zum ersten Mal ins Ausland. Manche sagen, mit meinen 24 Jahren habe ich schon mehr gesehen, als andere am Ende ihres Lebens.
Aber trotzdem: Singapur war etwas Neues. Und ich war aufgeregt und überwältigt von der Größe des Campus, der Auswahl an Kursen und der schieren Anzahl an Austauschschülern. Denn von meiner Sorte gab es 800. ACHTHUNDERT.
Und die trafen sich jeden Mittwoch an der Canteen 2 zum Vorglühen. Gingen dann auf die Ladies Night in die Stadt zum kostenlosen Saufen und für ein verlängertes Wochenende reisen, jedes Mal in ein anderes Land. Vier Tage Vollgas, man will ja alles sehen! Der Standartsatz: "I did Thailand last week! And the week before I did Vietnam!" Sie "taten" es mit diesen Länden? Interessant. Tiger Tempel, Elefanten-Reiten, Full Moon Party und baden in heiligen Quellen war dann immer angesagt. Alles zack zack. Geld schien dabei oft keine Rolle zu spielen, immerhin ist in Südostasien ja alles so günstig! Und wenn wir dann von zu viel Alkohol in den Buckets auf den fremden Boden kotzten, war das nicht unser Problem.
Wir waren die Könige und Königinnen.
Das brachte mich zum Nachdenken. Warum gehen wir ins Ausland? Was zählt beim Reisen wirklich?
Ich entschied mich dazu Singapur nicht nur "zu tun", sondern "zu erleben".
Dort gab es den Tree Top Walk mit seinen Affen. Der Mount Faber. Der East Coast Park. All die Hawker-Center, mit den unglaublich guten einheimischen Mahlzeiten. Unzählige Museen. Unglaubliche Architektur. Jeden Tag verschiedene Events. Menschen mit Geschichten. Eine riesige Anzahl von Schätzen. Und dann die andere Seite:
Sieht die Stadt dem Westen doch so ähnlich, trügt der Glanz. Im Inneren gibt es da noch das "alte" Singapur, das mehr Malaysia als Deutschland ähnelt. Dort lebten Singapurianer mit meist chinesischer, malaysischer oder indonesischer Herkunft zusammen. Und das wurde innerhalb einer Generation überrumpelt, platt gemacht. Nun stehen überall Wolkenkratzer, statt Hütten. Das Marina Bay Sands spiegelt sich nachts im Marina Bay, statt die Silhouette des Dschungels im Meer. Statt Familiengeschichten hört man grölende Expatriate, die sich am Circular Quay betrinken. Der Tequila-Shot kostet 20 SGD, das sind umgerechnet 13€. Aber das ist nicht viel für die ausländischen Arbeitskräfte, die im Finanzviertel arbeiten. Für die Einheimischen hingegen schon.
Diese erzählten, dass sie sich die Miete in Condos - Wohnungen - nicht leisten konnten. Dass sie alles sparten und in die Bildung ihrer Kinder steckten. Dass der Leistungsdruck unglaublich hoch war, genauso wie die Suizidrate unter asiatischen Schülern.
Dank den strengen Gesetzen war Singapur ein unglaublich sauberes und sicheres Land. Aber war es auf deren Kosten auf emotionaler Ebene auf der Strecke geblieben?
Dank der Regierung gab es auch kaum Arbeitslose und Obdachslose. Dafür verdienten manche aber so wenig, dass sie bis ins hohe Alter und - wortwörtlich - bis zum Umfallen, arbeiten mussten. Und wohnte man in einem der von der Stadt gezahlten Sozialeinrichtungen, dann hatte man keinerlei Rechte. Omas und Opas wurden einfach umgesiedelt, in ein fremde Gegend, ohne die Nachbarn, die täglich vorbei schauten. Stattdessen kam einmal in der Woche ein Fremder vorbei um nach dem Rechten zu schauen. Davon abgesehen vegetierte man so vor sich hin.
Es gibt von allem zwei Seiten. Singapur ist kein schlechter Ort und er hat definitiv viel mehr Gutes zu bieten als nur ein aufpoliertes Touristeneck und den Singpore Sling.
Das habe ich gelernt, zusammen mit was für ein Privileg es ist, im Ausland studieren zu können. Zu reisen. In anderen Ländern zu Gast zu sein. Und nicht den Druck zu spüren, dass auf meinen Schultern die Altersvorsorge der ganzen Familie liegt. Und ich wünschte mir, dass wir genau daran denken, wenn wir uns das nächste Mal auf reisen begeben.
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