Und wieder grüßt das Murmeltier
Ich sitz mal wieder da und zähle die Tage bis zum Abschied. Ich krieg noch die Krise - jedes Jahr das gleiche. Aber an sich bin ich ja auch selber Schuld! Ein Bericht kurz vor der Abreise.
Es ist verdammter Mist, jedes Mal das gleiche.
Wann kommt sie an? Wann fährt sie? Wann kommt sie wieder.
Verdammt ich rege mich noch auf. Und das schlimmste ist dass ich das alles schon mal durchhabe und das Gefühl habe wieder im selben Gefühlseimer zu stecken. Letztes Jahr saß ich in Frankreich und einsam und doch erfüllt vom vergangenen Jahr im ausgeräumten Zimmer in der verlassenen WG meiner zwei verblieben Freunde. Mein Franzose, mein Ungar und ich. Niemand sonst. Ließ die Tür offen weil ich Angst hatte, naja oder hoffte jemand käme vorbei.
Und jetzt ist es wieder so. Diesmal ist das Zimmer erleuchtet, voll von Leuten, der Fernseher läuft ohne Ende von früh bis spät; auch wenn nachts niemand mehr schaut und mir das Gelaber und das Fiepen des offengelassenen Kühlschranks auf den Keks geht. Ich bin krank geworden, so kurz vor meinem Abflug. Und ich habe keine Lust mehr. Es ist anstrengend sich jedes Mal zu entwöhnen und jedes Mal wieder woanders dran gewöhnen zu müssen. Du kommst wohin, kennst nichts und keine Menschenseele und baust dir dein kleines Luftschloss auf. Aus Palmen, Sand, erfüllten Abenden, neuen Melodien und Bildern die du übers Jahr erhaschst und die sich dir einprägen. Die Straßen die dir anfangs noch so fremd und neu und unbeschrieben vorkamen kennst du inzwischen in und auswendig. Bemerkst jede Veränderung, jeden neuen Laden, neue Gesichter, neue Werbeposter an den Haltestellen und die neue Mode in den Schaufenstern. Über das Jahr hinweg stellst du fest, dass wir alle doch irgendwie zusammengehören, dass wir doch alle irgendwo letzen Endes gleich sind auf dieser Welt. Die meisten das gleiche wollen und zum gleichen streben.
Aber ein Strand mit Palmen und Sangria und Sonnenuntergang machen keinen Spanier. Ein Baguette auf dem Küchentisch zeugt für Nostalgie an ein vergangenes Jahr, denn die Baguettes in Spanien, jedenfalls in Catalunya sind vergleichsweise grottenschlecht. Hier ist es nicht so wie in Frankreich.
Es gibt hier so ne Serie die ich gerne gucke und die mich immer zum Lachen gebracht hat. Auch wenn ich alle Sendungen schon auswendig kann und weiß was sie als nächstes sagen werden. Doch seit zwei Wochen macht mir das keinen Spaß mehr. Ich weiß nach einem Jahr, dass hier in dem Haushalt in dem ich wohne, es jeden, jeden, jeden verdammten Tag Reis zum essen gibt. Mit Kartoffeln und Fleisch. Immer. Wirklich immer. Ich glaube wenn man die Limonade hier durch Wasser ersetzen könnte, würde der Durchschnittsbewohner meiner "WG" selbst unfreiwillig 5 Kilo abnehmen.
Aber das alles ist nicht wichtig. Als ich hier ankam bin ich in eine neue Welt eingetaucht und hatte anfangs zwei Wochen Sprachkurs, von dem ich hellauf begeistert war. Tolle Leute, super Lehrer und nach bereits einer Woche war mir meine Angst genommen und ich begann zu sprechen wie ein Kind, das die ersten Worte über die Lippen bringt. Ebenso war auch die Freude meiner Umwelt die mir entgegen schlug. Arbeitssuche, Fiestas, neue Freunde, Gesichter, Bars, Gerichte, Getränke, Straßen, Namen, Ziele und Klamotten im Schrank. So viele Farben und Töne, Erinnerungen, Musik und Stimmen. Neue Wörter – alles neu macht der Mai. So schnell konnte ich gar nicht gucken.
Bis es Weihnachten ist, dauert es am Anfang eines solchen Jahres immer ein bisschen. Und danach kannst du deinen Mantel an den Nagel hängen, denn dann geht es rasend schnell. Zack war es Juli und ich nach sieben Monaten wieder zu hause. Das war wie Generalprobe. Und der Tag an dem ich fuhr war grausam. Innerlich. Uns war das irgendwie allen klar und ich habe geheult als ich aus dem Haus raus war. Meinem Hund konnte ich gar nicht erst tschüss sagen. Und als ich im Bus saß war es beinah wie im Film. Die Lust einfach alles hinzuschmeißen, scheiß auf den Koffer, raus hier! Zurück. Ich gehöre hier nicht hin, in dieses Deutschland? In diese Welt? Was sind das für Leute? Wer bin eigentlich ich? Ist das peinlich, ich stehe jedes Mal wieder vor mir selbst als ich 15 war und anfing mir selber auf die Füße zu treten.
Ich habe es vielleicht nicht gelernt Abschied zu nehmen in diesen zwei Jahren. Vielleicht ist alles schlimmer geworden oder sonst wie, ich weiß es nicht. Ich weiß dass ich hier ein unbeschreibliches, unbezahlbares und unglaubliches Jahr (in jeder Hinsicht) verbracht habe. Ich habe auch keine Lust mehr, mir selber mehr Herzschmerz zu bereiten als nötig. Ich bin so dankbar für all das hier. Aber ich erinnere mich wie ich damals im Frankreich mit einer Ehemaligen Freiwilligen am Fenster stand, die das alles schon durch hatte. Mein Franzose und Ungar waren grade Eis holen und ich sagte so: Vielleicht habe ich noch das Schwierigste an dem ganzen Jahr hier vor mir. Das nach Hause fahren; worauf sie beschwörend nickte.
Und sie sollte Recht behalten. Damals war es wirklich schwierig. Ich dacht meine Welt bricht zusammen. Ich war noch nie so traurig. Saß auf der Toilette im ICE zum Abschlussseminar und heulte Rotz und Wasser.
Diesmal wird es anders sein. Anders schlimm wahrscheinlich. Juhuu und ich weiß dass das auf mich zukommt. Doch auch da muss ich durch und das mit wachen Augen. Man kann ja nur lernen. Und ich finde es ist inzwischen Zeit, auch mal in ein anderes Leben hineinzuschauen. In das mehr oder weniger Normale eines Studenten. Man kann nicht nur wissen können, was man nicht will. Man muss auch wissen was man will, und das ist zehnmal schwieriger.
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