Polens neuer alter Präsident - Entscheidung vertagt
Polen hat gewählt. Nach dem Tod des amtierenden Präsidenten Lech Kaczynski und der Jahrhundertflut verlief der Wahlkampf ruhig. Das Ergebnis: Ein Patt, das Jaroslaw Kaczyński hoffen lässt.
"Im Osten nichts Neues - der gestern gewählte polnische Staatspräsident trägt denselben Namen wie sein Vorgänger." So oder ähnlich sollte heute die eine oder andere Meldung im deutschen Blätterwald beginnen. Die politische Ausnahmesituation in Polen macht es möglich. Doch dann kam alles ganz anders. Aber der Reihe nach:
Nach dem tragischen Unfalltod des polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński am 14. April übernahm der Marschall des polnischen Parlaments, Bronisław Komorowski verfassungsgemäß die Staatsgeschäfte. Ein Paradox - sollte er doch selbst als Kandidat der liberal-konservativen PO (Bürgerplattform) bei den ursprünglich für Herbst 2010 angesetzten regulären Wahlen ins Rennen gehen. Nun kandidierte er plötzlich als de-facto Amtsinhaber bei den vorgezogenen Wahlen. Sein stärkster Herausforderer: Lechs Zwillingsbruder Jarosław. Somit würde der neue Präsident Polens entweder der Interimspräsident oder wieder ein Kaczyński. Polens neuer Präsident - in jedem Fall der alte!
Der erste Wahlgang war schließlich gemäß der Verfassung für den gestrigen 20. Juni angesetzt. Er blieb ohne klares Ergebnis. Während Komorowski nach Angaben der Internetplattform gazeta.pl 41,2 Prozent der Stimmen erlangte, kam Jarosław Kaczyński auf gute 36,7 Prozent. Somit konnte Letzterer deutlich aufholen. Am Abend hatten die ersten Hochrechnungen Komorowski weiter vorne gesehen. Es wird also wieder spannend in Polen. Im Mai dominierte Komorowski als klarer Favorit mit über 50 Prozentpunkten die Umfragen. Ein zweiter Wahlgang in zwei Wochen wird die endgültige Entscheidung bringen. Entscheidend ist dann, wie sich die gut 13 Prozent der Wähler, die für den drittplazierten linken Kandidaten Grzegorz Napieralski gestimmt haben, entscheiden werden. Dieser darf nicht noch einmal antreten.
Das vorläufige Patt folgt einem Wahlkampf, der eigentlich keiner war. Beide Spitzenkandidaten zeigten sich versöhnlich - beziehungsweise inhaltsleer. Sonst übliche persönliche Attacken unterblieben; der als Hardliner bekannte Jarosław Kaczyński rief sogar dazu auf, "den polnisch-polnischen Krieg" in der Innenpolitik zu beenden. Und Herausforderer Komorowski waren als Interimspräsident die Hände gebunden. Jeder schwere Angriff auf Jarosław Kaczyński wäre ihm als pietätlos angesichts dessen schweren persönlichen Verlusts im April ausgelegt worden. Viele Polen interpretierten diese Charakterstärke als Farb- und Konzeptlosigkeit.
Doch eigentlich reden in Polen die Wenigsten noch über den Tod von Lech Kaczyński im Frühjahr. Die nicht enden wollende Flut an Weichsel und Oder bestimmt Volksgemüt und Politik. Besonders letztere zeichnet durch katastrophale städte- und landschaftsbauliche Fehlplanung für das existenzvernichtende Hochwasser mitverantwortlich. Doch auch dieses Thema wurde im Wahlkampf weniger instrumentalisiert, als man es hätte erwarten können.
Auf den neuen Präsidenten Polens, der anders als in Deutschland außenpolitisch mehr Mitspracherecht hat, warten viele wichtige Aufgaben: mögliche Euroeinführung in Polen, die EU-Ratpräsidentschaft 2011, Gesundheitsreform, eine nachhaltige Energiepolitik für das Land. Es bleibt zu hoffen, dass der Kandidat, der am 4. Juli endgültig gewählt wird, dem gerecht werden kann.
Lügen gestraft sind alle - auch deutschen - Kritiker, die in der Vergangenheit besonders den konservativen polnischen Eliten aufgrund der heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen Konsensfähigkeit und Staatsräson absprachen. Das schwierige Jahr 2010 zeigt eines ganz deutlich - Polen ist eine gefestigte Demokratie.