Generation der Angst?
Wir haben ständig Angst, abgehängt zu werden - In der Uni, in der Liebe oder auf der Arbeit. Aber auch im sozialen Bereich, immer mehr junge Menschen leiden unter der sogenannten FOMO, der Fear of Missing Out. Ist unsere Generation von Angst und Sorge bestimmt?
Viele meiner Freunde sehnen sich fast schon nach einem kleinbürgerlichen Leben - Und das, während andere Generationen in jungen Jahren nichts als feiern, reisen und studieren wollten. Und ich erlebe das nicht nur in meinem Freundeskreis, es scheint mir, als würde unsere Generation Sicherheit über Freiheit wählen. Viele heiraten bereits mit Anfang 20, manche Paare bekommen bereits Nachwuchs und die ersten Häuser werden verkauft. Aber auch unter denen, die noch keinen Bauspar-Vertrag unterschrieben haben, herrscht wenig sorgenloses Party-Leben: Die Karriere wird geplant und vorbereitet, man qualifiziert sich lieber als Spaß zu haben. Produktivität ist der Maßstab, alles andere ist prokrastinieren und sein Leben nicht auf die Reihe bekommen.
Der Soziologe Heinz Bude hat diesen gesellschaftlichen Trend erforscht, und kam zu dem Schluss, dass tatsächlich viele Menschen sich in ständiger Konkurrenz fühlen, dass sie Angst haben, nicht zu genügen und sich deshalb nach Stabilität und Sicherheit sehnen. Und das trotz allen Wohlstands - Ein wahres Angstparadox. Je sicherer man ist, je mehr man hat und je mehr man erreicht, desto mehr Ängste hat man. Jeder weitere Gewinn oder das Erreichen eines Ziels werden weniger verbucht als ein Verlust, und das macht viele permanent unzufrieden und immer auf der Suche nach Mehr. Herr Bude argumentiert, dass wir gerade aufgrund all unserer Lebenschancen und Konsumentscheidungen ständig Angst haben, schwerwiegende Fehler zu begehen. Darüber habe ich mit meinen Freunden viel diskutiert: Macht uns also die Auswahl unfrei? Das konnten viele bestätigen: Bereits ein Wocheneinkauf zieht sich über Stunden, weil man eben für jedes Produkt hunderte von Möglichkeiten abwägen muss. Ein Abendessen mit der Freundin kann zum Streitpunkt werden, gerade weil es zu viele Möglichkeiten in der Lieferservice-App gibt ( Auch so eine Sache, die unser Leben leichter machen sollte, es aber nicht wirklich tut).
Was uns richtig stresst, ist auch das Gefühl, etwas zu verpassen: Waren die anderen Möglichkeiten etwa besser? Wäre ich erfolgreicher, wenn ich doch etwas anderes gemacht hätte? Nutze ich mein Potential aus? Neben dieser beruflichen Perspektive stresst uns unser Privatleben aber auch: Gerade wenn wir so viel arbeiten, so hart studieren und so viele unbezahlte Praktika machen, müssen wir auch unsere Freizeit genießen. Dieses Phänomen kennt viele Konzepte, so wie „Work-Life-Balance“, Selbstverwirklichung, „Quality Time“ und Lebensgenuss. Es scheint auch immer, als würden andere das besser hinkriegen: Instagram, Facebook und Youtube sind die Plattformen, auf denen sich perfekt organisierte Individuen präsentieren.
Auch wenn unsere Generation eigentlich sehr gute Chancen später auf dem Arbeitsmarkt haben wird, fühlen wir uns doch sehr unsicher. Unzählige meiner Freund*innen und Kommiliton*innen versuchen sich permanent weiterzubildenden und zu qualifizieren: Wir können gar nicht genug Fremdsprachen lernen, Arbeitserfahrungen sammeln oder Abschlüsse haben. Herr Bude beschreibt das als „ das Gefühl, immer noch ein Extra bieten zu müssen, eine Zusatzkompetenz, um im Rennen um die besten Plätze mithalten zu können.“ Mich irritiert auch der große Hype um Leadership und Entreprenuership, es kann ja nicht jeder eine Führungspersönlichkeit oder ein Gründer sein, und wir müssen auch zufrieden mit uns selber sein, wenn wir beruflich eine untergeordnete Rolle spielen - Das sagt ja noch nichts über unsere Person und unser persönliches Glück aus.
Viele westliche Industriestaaten unterlegen diversen gesellschaftlichen Angstströmungen: Die Finanzkrise von 2008 hat eine Art untergründige Systemangst mit sich gebracht, die Erkenntnis, wie fragil unser kapitalistisches System ist, auf dem sich unser Wohlstand gründet. Das Auseinanderdriften der sozialen Schichten weckt eine Angst des sozialen Abstiegs, gegen den auch kein Universitätsabschluss hilft. Die moderne Welt bringt uns an den Rand der Kontrollierbarkeit - Und das macht gerade der jungen Generation Angst. Viele reagieren darauf mit Esoterik, Coaching oder Fitnesstraining, um so etwas Kontrolle wiederzuerlangen.
Wir dürfen uns von der Angst nicht leiten lassen, gerade junge Menschen dürfen sich nicht verrückt machen. Wir müssen versuchen, Sicherheit in uns und in unseren sozialen Beziehungen zu finden. Und ansonsten müssen wir anfangen, diese Angst auch positiv zu sehen: Sie ist ein Motor der Veränderung, sie treibt uns zu Höchstleistungen und zu Innovationen. Also: Nehmt eure Ängste war, nehmt sie als Treibstoff aber beruhigt euch in den wichtigsten Aspekten des Lebens!
Quellen:
Podiumsdiskussion mit Heinz Bude: https://www.youtube.com/watch?v=mYo8dnG4dog
PDF zu Heinz Bude Buch: Gesellschaft der Angst: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=12&ved=2ahUKEwiBrLiIi8XgAhWFAmMBHcA-BtoQFjALegQIDRAC&url=https%3A%2F%2Fwww.bpb.de%2Fsystem%2Ffiles%2Fdokument_pdf%2FSeiten%25201-17%2520%2520aus%2520Bude%2520Gesellschaft%2520der%2520Angst%2520Druckfassung.pdf&usg=AOvVaw24CvbQra5Cnmcd4gvgT4oK
https://www.fluter.de/die-bedrohlichen-anderen
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