Auf großer Reise
Chouchette kommt viel herum: zuerst geht es an ihrem Geburtstag auf ein EVS-Seminar in der Bretagne, dann besucht sie einen anderen Freiwiligen in Paris. Aber auch die Arbeit kommt nicht zu kurz.
Nun komme ich also doch endlich mal wieder zu einem neuen Eintrag - wer hätte noch damit gerechnet?
Zu berichten gibt es allerhand und der Abend ist mal wieder kurz. Selbst zum Tagebuchschreiben komme ich nicht mehr, geschweige denn dazu, endlich mal mein verdammtes Konto zu eröffnen. Zudem erschwert mir meine deutsche Tastatur zusätzlich das Schreiben, da ich mich auf Arbeit schon so an die Französische gewöhnt habe.
Aber von vorn.
Ich hatte mal wieder ein Seminar. Wer hätts gedacht. Und wie immer fiel es mir schwer zu fahren, noch dazu weil es mein Geburtstag war, an dem ich mich siebeneinhalb Stunden in den TGV von Strasbourg über Paris und Rennes nach St. Brieuc setzen durfte. Zudem habe ich einen ziemlich starken Schnupfen gehabt, was die Sache nicht besser machte und mich daher besonders zum Selbstmitleid bewegte.
Allein die Erinnerungen an die zwei Nächte zuvor hielten mich ein wenig auf Trab. Bevor ich nämlich meinen Geburtstag mit meinen vielen neuen, beziehungsweise alten Freunden in Strasbourg unterm Münster, in einer Bar und später in der Küche gefeiert habe, war ich mit Laurent, einem befreundeten Franzosen auf einer Party.
Vielmehr handelte es sich dabei um "Les Nuits de l'Ososphere", die nur einmal im Jahr, nämlich im Herbst, im stadtbekannten Club "La Laiterie" (ein bisschen wie das Industriegelände Dresden) abgehalten werden. Da kommen dann die irrsinnigsten Gestalten und Persönlichkeiten aus allen Winkeln der Stadt zusammen und tanzen dann sozialerweise mit Leuten wie mir und meinen Freunden sechs Stunden die Nacht zu knallharter Elektromusik durch, bis die Füße schmerzen. Ach, es war einfach genial. Und das, obwohl ich ja sonst eher ganz ganz andere Musik höre... (Ich möchte hierbei nur fix an meinen Besuch auf "Wacken" im Sommer erinnern).
Alors, dennoch verlief das EVS-Seminar in der Bretagne natürlich gut. So ist das immer. Und man mags am Anfang irgendwie nie glauben. Warum eigentlich? Weil wir auf einem "Dorf" waren, wenn man das so bezeichnen kann, das mitten im Nichts lag? Drei Häuser, Wiese, Wald, Bäume und ganz am Horizont paar Lichter. Die einzige Attraktion da war der wahnsinnige Sternenhimmel, den man so unglaublich deutlich sehen konnte, weil einen weit und breit keine Menschenseele mit Lichtquelle daran gehindert hat.
Achso, und viel Wind. Endloser Wind und aller fünf Minuten Regen. Irre.
Am letzten Tag des Seminars sind wir dann nach der allseits beliebten Auswertung noch in eine Crêperie gegangen, was eine Ausnahme war, denn die Tage vorher haben wir für uns 20 Leute das Essen meist selbst zubereitet. Das bedeutet, wir haben allerhand Spezialitäten aus den vertretenen Ländern probiert und manchmal zu fünfzehnt dreieinhalb Stunden in der Küche gestanden. Vertreten waren: Ungarn, Polen, Serbien, Tschechien Makedonien, Spanien, Littauen, Deutschland und natürlich Frankreich, speziell die Bretagne.
Die darauf folgende Abfahrt bedeutete dann für die meisten wieder Abschiednehmen, was für mich jedenfalls jedes mal der größte Nachteil an einem Seminar wie diesem ist. Alle Leute wieder gehen lassen.
Dennoch kann ich mich nicht beschweren, denn ich habe mit zwei lieben, befreundeten und ursympathischen anderen Freiwilligen noch das Wochenende in Paris verbracht.
Wir kannten uns schon vor dem Seminar und haben uns extra dazu verabredet, wir, das sind Anna und Esteban, unseren Freund Knut, der auch Freiwilliger ist, in Paris zu besuchen. Daraufhin haben wir den TGV nur bis Paris genommen, sind dann schnurstracks - jedenfalls so gut es mit dem massenhaften Gepäck eben ging - ab in die Stadt.
Wir waren hin und weg.
Haben uns kaum wieder gefunden vor Glück und unsere Kameras und Wangen zum Glühen gebracht. Für großzügige neun Euro kamen wir dann auch in den Genuss, direkt vorm Eiffelturm gemeinsam zwei riesige Schokocrêpes zu verzehren und haben da wahrscheinlich eine Stunde allein mit Staunen und Freuen verbracht. Es war der Hammer!
Um unseren Zug nicht zu verpassen mussten wir uns dann allerdings so beeilen, dass wir durch die gesamte Metro gehetzt sind wie drei Verrückte, haben den Musikern in der Bahn mitleidig applaudiert und am Straßenrand noch schnell Andenken und Karten abgestaubt. Erst noch Sacre-coeur, Montmartre und dann noch schnell zum Zug gerannt. Uff!
Knut kam uns dann abholen und ab ging's wieder in die Einöde Frankreichs. Gefühlte drei Stunden Fahrt führten uns nach Compiègne, wo wir uns dann zu viert das Wochenende köstlichst amüsiert haben. (Was zum einem an dem beeindruckenden "Château au Pierrefonds", an unseren selbstgemachten Raviolis und zum anderen aber auch an den Unmengen bretonischem Cidre und Bier lag, was wir Knut als "Geschenk" mitgebracht hatten...)
Zurück in Strasbourg waren wir nicht weniger glücklich. Endlich wieder daheim!
Klingt komisch, ist aber so - selbst wenn ich es bis vor einem Monat nicht geglaubt hätte. Den Boden vor dem Bahnhof haben wir geküsst, so bezaubert waren wir.
Danach gings für mich sofort acht Stunden zur Arbeit, was widererwarten und trotz der drei Stunden Schlaf ein voller Erfolg war.
Das Haus hatte Großversammlung und so waren viele (aber natürlich bei weitem nicht alle) der Kinder und Frauen anwesend zu der kleinen hausinternen Fete, die man in Frankreich aber wie gesagt eher "Versammlung" oder "Beratung" nennt. Kein Wunder, dass die Franzosen das aller paar Tage machen. Macht ja auch extrem viel Spaß!
Heute der Tag dann verlief zu dem gestern nicht weniger anstrengend. Nachdem ich da nämlich zwei ausrastende Kinder mit Einsatz aller körperlichen Kräfte davon abhalten musste, sämtliche Kassetten zu zertreten und sich gegenseitig zu schlagen und beleidigen, ergaben sich auch heute auf Arbeit wieder allerhand "aufregende" Situationen.
Nach unserem Kaffekränzchen, was ich zusammen mit der neuen Psychologin organisiert und abgehalten habe (mir wurde prophezeit, es sei schon ein Wunder wenn nur allein fünf Frauen kämen, sodass ich meine Directrice mit der überraschenden Anzahl von 13 (!) überraschen konnte) ging es dann wieder zur Sache.
Unsere eine psychisch sehr instabile Mitbewohnerin hat fast einen weiteren Zusammenbruch erlebt, ihre Tochter wurde von ihrem Vater abgeholt, der sich wiederum mit meiner Kollegin Diabou gestritten hat. Es ging dabei so heiß her, mit all den Drohungen und Konsequenzen die angesprochen wurden, dass ich diesem Menschen am liebsten das kleine Mädchen entrissen und ihm ein paar Takte erzählt hätte.
Zudem teilen mir meine Kollegen inzwischen sehr viel über die Frauen und deren Geschichten hier mit, sodass ich zeitweise echt Bedarf habe, mich vor Erschrecken zu setzen. Heute war wieder so ein Tag, wie gesagt.
Nichtsdestotrotz gefällt mir die Arbeit sehr. Dieses Wochenende fahre ich mit Lionel, meinem Kollegen, drei Frauen und fünf Kindern in die Vogesen auf einen Bauernhof. Wandern, Reiten, Pilze sammeln und kochen. Die Woche drauf habe ich dann für meine Frauen Kinobesuch "Faubourg 36" geplant, sowie ein "Atelier Patisserie" (wir backen Kuchen und probieren neue Rezepte mit den Familien aus) und eventuell einen Deutschkurs geplant. Denn ich merke, es herrscht anscheinend Nachfrage und Bedarf. Hier im Elsass ist das ja verständlich.
Man sieht also unschwer, mich überrennt das Leben hier praktisch und ich bin eifrigst bemüht, soviel wie möglich davon in mich aufzusaugen und mitzunehmen. Das ist so wahnsinnig aufregend, interessant und absolut wunderbar, dass es dennoch auch unglaublich anstrengend sein kann.
Wahrscheinlich komme ich daher nur noch so selten zum Schreiben. Aber wenigstens habe ich hiermit wieder erstmal für eine Weile ausgesorgt.
PS.: Viele der besten Photos fehlen noch, werden aber nachgereicht!