[3/3] 2.511 Kilometer
(Teil 3 von 3) Siebzehn Tage, sieben Länder, elf Orte, pi mal Daumen drei Stunden Schlaf insgesamt, eine Millionen Bilder, Menschen und Eindrücke, eine veränderte Lena. Das ist meine Bilanz.
// Teil 2 //
Skopje war nach Tirana eine seltsame Erfahrung. Die Innenstadt ist ein wenig geteilt, hier durch den Fluss. Eine Seite ist fast schon erdrückend mit sicher einem Dutzend pompöser Statuen und erstickend viel Beton, in dem dann doch so viel Armut in Form von bettelnden Kindern und verwundeten Hunden lauert. Die andere Seite gefiel mir besser - ähnlich wie Sarajevo, wie ein großer Basar.
Zu erschöpft
Der Plan war, mit dem Bus zu meiner Unterkunft zu fahren, die ein paar Kilometer außerhalb lag. Die hörten allerdings nach halb sechs wegen den Protesten auf zu fahren, prima… ein Bekannter namens Viktor (und sein Mitbewohner, der auch Viktor heißt :D) holten mich daraufhin mit dem Auto ab und kochten sogar noch was mit mir, beziehungsweise für mich, weil sie meinen Küchenfähigkeiten - zurecht - nicht ganz trauten. :D Viktor hat zwei Hunde, oder eher zwei Wolken auf Pfoten, so was Flauschiges und Süßes hab ich lang nicht gesehen... ich hatte ihm Tee mitgebracht und genau den erwischt, gegen den er allergisch ist, klasse gemacht! Die beiden wollten noch mit mir ausgehen, aber nach 36 Stunden ohne Schlaf kam das nicht mehr in Frage für mich. Nur noch ins Bett!
Aufgewacht bin ich am nächsten Tag um 12. Schätze, mein Körper hat das gebraucht. Meine erste Amtshandlung? Eine Sonnenbrille für 200 Denar kaufen… bin ich echt vor weniger als einer Woche noch durch wadentiefen Schnee gestapft?
Unangenehme Bekanntschaften
Nachmittags traf ich mich mit einem Mazedonier namens Martin, den ich aus einem Portal kannte. Und, hm, es kann nicht jede Reisebekanntschaft schön sein. Der Junge balancierte permanent auf der Grenze zwischen interessant und unangenehm. Interessant insofern, dass er von Obdachlosen bis Bankkaufmännern jeden in der Stadt zu kennen schien (und mich demnach auch zu einem Treffen mit zwei Mormonen mitnahm, eine Erfahrung, die ich weit oben auf der verrückte-Reiseerlebnisse-Liste notierte). Unangenehm insofern, dass er die Art von Mann ist, die mit komplett egozentrischen Blick durch die Welt läuft und seine Meinung und Neigungen über die Gefühle aller anderen stellt. Den ganzen Nachmittag flirtete und berührte er mich und bat permanent um mehr, egal wie deutlich ich ihm sagte, dass da kein Interesse und auch keine “connection” ist - beleidigte und erniedrigte mich und andere aber gleichzeitig im Namen der Meinungsfreiheit. Als er schließlich anfing, mir seine antifeministische und homophobe Einstellung zu mansplainen, merkte ich endlich, dass ich ihm mehr als genug benefit of the doubt gegeben habe, und ging kommentarlos.
Zum falschen Zeitpunkt
War tolles Timing, denn an dem Abend arteten die Proteste in Mazedonien aus und einige Nazidemonstranten stürmten das Parlament. Seit 17 Uhr musste ich das Zentrum notgedrungen vermeiden und kam auch nicht weg, da weder Busse noch Taxen fuhren. Hatte also keine große Wahl, als mit ihm in die Bar zurückkehren und das Ganze vorbeiziehen zu lassen. Und auch wenn ich auf dem Weg dahin nach seiner sehr seltsamen Entschuldigung eisige Stille herrschen ließ, war es dort sogar noch ganz nett. Scheinbar hatte dort eine Art EVS-Sprachcafé stattgefunden, das nun aber vorbei war. Die Leute waren allerdings noch dort und echt lieb. Ich musste ihnen alles über meine Reise erzählen, und besonders über den Straßenverkehr dort, fragt mich nicht wieso. Am Ende kratzten sie alle ihr Geld zusammen, um mir ein Taxi nach Hause zu zahlen. Ich muss mich nicht über eine so widerliche Person ärgern, wenn mir sowas beweist, wie viele gute Menschen auf ihn kommen.
Bevor ich schlafen ging, redete ich allerdings noch ein wenig mit Viktor - dem ich nun endlich den richtigen Tee mitbringen konnte. Über seine Hunde, Reisen, Mazedonien, Kochen… bin ich froh, dass ich wenigstens ihn kannte.
Und zuletzt...
Und dann schon wieder fast schlaflos in den Bus, nach Sofia, Bulgarien, letzter Halt. Mein erster Eindruck von Sofia war der Geruch der unzähligen Blumen am NKD, als ich dort aus der Metro kam. Dort traf ich Lena (ja, wir heißen beide so, was oft für Verwirrung sorgte :D), eine EVS-Freiwillige dort, und kaufte ihr ein Eis bevor wir mein Gepäck zu ihr brachten. Sie hat eine echt schöne Wohnung und zwei total süße Mitbewohnerinnen aus Portugal und Spanien - hach, ich bin immer neidisch auf WGs, die nicht ständig dagegen ankämpfen müssen, auseinanderzubrechen wegen mangelndem Platz oder Gemeinschaftsraum oder wegen permanentem Druck, Stress und Negativität im Projekt. Und ich bin immer neidisch auf alle, die eine richtige Küche besitzen. Julianas Kürbisrezept zog natürlich nicht wenn eine Portugiesin im Haus ist die das tausendmal besser hinkriegt als ich. Aber wir kochten mein Kichererbsencurry, mittlerweile meine Spezialität - und das war toll, na also. Als ich Lenas kein-Mensch-ist-illegal-Tasche sah, fiel mir erst auf, dass wir uns politisch vollkommen einig sind, und spätestens dann war jede Angespanntheit verflogen.
Am nächsten Tag war das Wetter drückend, ich hab auch einfach kein Glück. In der Metro wurden Lena und ich von zwei bulgarischen Jungen angesprochen, die total aufgeregt waren dass wir deutsch sprechen und selbst eine deutsche Schule besuchen. War das knuffig… Lena setzte mich bei der Walking Tour ab bevor sie ins Büro ging, und meine Güte, war die voll. Selbst als man alle Teilnehmer in vier (!) Gruppen einteilte, waren in meiner noch etwa 30 bis 40 Leute. Demnach hatte ich schon schönere Touren. :D
Abstoßend!
Kurz bevor ich mich wieder mit Lena am Nationaltheater traf, hörte ich laute Knalle, die mich genau so erschraken wie sie. Nunja, Sofia ist nicht umsonst überall vollgeschmiert mit Hakenkreuzen, und einige Minuten später liefen wir fast frontal entweder in die lokalen xenophoben Fußballfans oder in einen riesigen, grölenden Naziaufmarsch - falls da ein Unterschied besteht. Mit Böllern, Farbbomben, Hitlergrüßen etc.
Manchmal ist die Welt einfach abstoßend zum brechen. Wir hätten am liebsten ein paar Leute in der Menge fertiggemacht.
Das Treffen mit Lenas Mitbewohnerin Ana und ihrem Bekannten Tomás, beide aus Portugal, war deswegen nicht ganz so einfach wie gedacht, doch dann gingen wir in Anas Lieblingscafé, was echt gemütlich war. Über Espresso und Käsekuchen kam erneut das Thema LGBT+ auf - und Gott, es war purer Balsam, nach meinen Erfahrungen in Skopje mit so offenen und vernünftigen Leuten zu sprechen. Die drei sind echt lieb!
"When your food is good, your day is good"
Abends nahmen sie mich noch mit in ein bulgarisches Restaurant. Meine Güte, das war lecker! Oder vielleicht hatte ich vernünftiges Essen einfach vermisst. Beides wahrscheinlich. Die Bulgaren streuen so einen salzigen Käse über ihren Salat, es ist toll. Danach zogen wir noch durch ein paar Bars in der Stadt, trafen sehr irritierende Leute und fanden am Ende andere EVS-Leute in Sofia - eine von ihnen kam doch tatsächlich aus Cluj! Die war vielleicht herzerwärmend und wollte mir direkt mal eine Eurovision-Party dort organisieren.
Nach einer Weile hörte Lena auf zu laufen und begann zu hüpfen und “be happy” zu rufen, und ungefähr so fühlte ich mich auch.
Und dann brach auch schon der letzte Tag dieser verrückten Reise an, unfassbar. Kurz war er. Lena nahm mich und Tomás noch in ein vegetarisches Restaurant mit, in dem wir einfach vier von fünf Gerichte vom Daily Menu bestellten und uns alles teilten. Wow. So was Gutes habe ich wahrscheinlich seit Monaten nicht mehr gegessen. Besonders die Pizza mit Rote-Beete-Pesto und Spinat wird mich noch in meine Träume verfolgen.
Wir liefen noch durch die Stadt - Lena machte ganz unauffällig Fotos von Tomás und mir - und dann musste ich auch schon die Metro zum Busbahnhof nehmen… der Abschied hat mich traurig gemacht. Trotz der seltsamen Zwischenfälle war Sofia ein wunderschöner Abschied für meine Reise.
La revedere
Und das war es auch schon. In Bukarest konnte ich für die paar Stunden noch bei der lieben Romina unterkommen, die mir in typisch rumänischer Manier bei meiner Ankunft um Mitternacht zunächst einmal jede Menge zu Essen auftischte und noch mit mir quatschte. Und dann hieß es auf zum Flughafen in den Flieger nach Cluj...
Wahnsinn. Ist das seltsam, zurück zu sein. Das nächste Wochenende brauche ich wirklich für mich, um all das endlich, endlich in Ruhe verarbeiten zu können.
Im Reisen habe ich wirklich meine Leidenschaft gefunden, und bin ich froh, dass ich sie so früh gefunden habe. Und meine Bilanz von meiner letzten Soloreise kann ich Wort für Wort übernehmen: ich reise nie allein. Ich fahre nur allein los.