Zugreisen, Ungarisch sprechen und andere Probleme
In letzter Zeit hat der Stress bei Julia zugeschlagen, und das direkt auf mehreren Baustellen: beim Ungarisch Lernen, bei Reisen zwischen den Jahren und bei ihrer Arbeit. Glücklicherweise hat sie ein erstes Gegenmittel gefunden: Entspannung pur in einem Schwefelheilbad in der Nähe von Pecs.
Hallo alle miteinander! Endlich finde ich mal wieder Zeit, ein bisschen was zu schreiben. Ich hatte echt nie Ruhe genug, um zu berichten, was hier so alles passiert ist. Ich glaube auch, dass ich es nicht mehr zusammen bekomme, aber wenigstens ein paar Dinge.
Normalerweise sagt man ja, wenn sich jemand nicht meldet, dann geht es ihm gut. Bei mir war das in der letzten Zeit nicht immer so. Es ist wirklich viel Alltag hier reingekommen. Vieles ist jetzt nichts Neues mehr. Doch dann fing letzte Woche unser Intensivsprachkurs an. Für zwei Wochen gehen wir nun nicht zur Arbeit, sondern sitzen fast sechs Stunden jeden Tag über den Ungarisch-Büchern. Ich dachte, dass das eine gute Abwechslung für mich sein würde und ich wieder neue Kraft für meine Arbeit schöpfen kann, aber das hat sich nicht so ganz als richtig herausgestellt.
Ich glaube mittlerweile, dass ich diese Sprache niemals lernen werde. Ich bin jetzt seit über vier Monaten hier und kann zwar eine Menge Vokabeln, aber ich bekomme keine Sätze auf die Reihe. Viele würden einfach sagen: "Sprich doch einfach, dann wird das schon!" Wenn es doch so etwas wie eine Hemmschwelle nur nicht gäbe.... Mich stinkt es mittlerweile gewältig an, dass ich die Leute in meiner Umgebung nicht richtig verstehe. Wenn ich im Bus sitze habe ich meistens keinen Plan, was mein Nachbar zu seinem Gesprächspartner sagt. Zu Anfang hat mich das kaum gestört, mittlerweile verzweifle ich bald, weil ich nichts verstehe. Um so mehr hänge ich mich in den Sprachkurs rein, aber ich bin mir nicht sicher, wieviel das bringt.
Auch bei meiner Arbeit hatte ich oft in letzter Zeit das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Ich hatte ja berichtet, dass hier alle Workshops umziehen mussten und sich die Ungarn davon erhofften, dass die Behinderten motivierter sind. Genau das Gegenteil ist eingetreten und wir haben mehr Probleme als sonst, sie dazu zu bewegen, etwas zu tun. Auch weil wir viel allein gelassen wurden. Nichtsdestotrotz haben wir ständig neue Ideen gehabt, aber so wirklich wollte es nicht gelingen.
Es soll sich jetzt nicht so anhören, als ob es mir megaschlecht geht, es gibt auch ständig viel zu lachen. Aber irgendwie ist die Fröhlichkeit aus den Dingen und aus der Arbeit ein bisschen verschwunden undich brauche eine Auszeit nur für mich. Was in einer WG, wo ich mir ein Zimmer teile, nicht so einfach ist, .... Aber Probleme sind ja dazu da, dass man an ihnen wächst. Und ich denke, dass sich auch das bald geben wird. Ob ich jedoch jemals fließend Ungarisch sprechen werde, mag ich bezweifeln.
Gestern waren wir hier inder Nähe von Pecs in einem Schwefelheilbad. War super entspannend. Wir sind erst in die Sauna und in diese Massagebecken und haben uns so richtig durchsprudeln lassen. Meine Silberkette ist danach nicht mehr silber gewesen, sondern golden. Nicht genug damit , nachdem wir im Schwefelwasser waren, hatte ich eine schwarze Kette um den Hals. Ich hab echt ein bisschen Angst bekommen, dass sie so bleibt. Doch nachdem ich sie über Nacht in Zahnpasta gelegt habe, hatte ich heute Morgen wieder eine silberne Kette. (Ihr lieben Chemiker, könnt ihr mir das erklären???) Trotzdem hatten wir echt eine schöne Zeit. Und wer auch immer mich hier besuchen kommen sollte, kann sicher sein, dass ich sie in das Bad schleppe.
Da hätte ich jetzt fast vergessen, allen gemeinsam noch ein schönes neues Jahr zu wünschen. Ich hoffe, es sind alle gut reingerutscht. Ich war mir da nicht so sicher, dass das passieren wird, denn bis zum 31. Dezember bin ich noch in der Weltgeschichte rumgereist und wusste nicht, ob ich es bis zum Silvesterabend wieder nach Pecs schaffe.
Aber jetzt die ganze Geschichte von vorne: Nach Weihnachten war Pecs wie leergefegt, weil alle Welt Verwandte besuchte und hier in Pecs nichts los war. Also dachte ich mir, dass ich die freie Zeit nutze und ein bisschen herumreise. Ich habe also Veronika in der Slowakei angerufen (sie ist auch eine Freiwillige) und wir haben uns am nächsten Tag in Budapest getroffen und dann spontan entschlossen, nach Rumänien zu fahren.
Also haben wir ein Ticket gekauft und sind nach Oradea gefahren. das liegt kurz hinter der Ungarisch-rumänischen Grenze. Dort haben wir bei Alex geschlafen. Er ist ebenfalls Freiwilliger und ist über Weihnachten nach Hause, nach Oradea gefahren. Er hat uns also seine Heimatstadt gezeigt. Obwohl es äusserlich nicht viel anders aussah als eine ungarische Stadt haben wir recht bald gemerkt, dass es doch etwas anders funktioniert. Schon im Zug haben wir bemerkt, dass Rumänen sehr argwöhnisch betrachtet werden. Die Grenzkontrolle hat in unsere Pässe nicht einmal reingesehen, aber die rumänischen Pässe wurden gescannt, geknickt und weiß der Teufel was noch. In Oradea am Bahnhof wurden wir gleich von ein paar Zigeunern belagert, die um Geld bettelten. Sie sind uns gefolgt, immer in der Hoffnung, dass wir noch mehr geben. Das war echt eine Erfahrung. Ich hab mich so reich gefühlt, das war nicht mehr schön. Und mir war ganz unwohl, dass man es uns scheinbar auch sofort ansah... Dabei sind wir nicht reich, schon gar nicht als Freiwillige ;-) Oradea an sich war aber sehr schön. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben auch in einer orthodoxen Kirche und ich wusste echt nicht, dass die Unterschiede so gross sind.
Da wir aber nicht in Oradea bleiben wollten, haben wir uns kurzerhand entschlossen, nach Bukarest zu fahren. Das ist nicht unbedingt um die Ecke, aber da wir sowieso kein Geld für ein Hotel hatten, haben wir eine Nachtzugfahrt gekauft und im Zug geschlafen. Wenn man das schlafen nennen konnte, denn es war so voll und so heiss in dem Zug, das habt ihr noch nicht erlebt. Schon alleine die Tickets zu bekommen war ein Kampf, weil immer nur eine Stelle die Tickets verkauft. Wir sind also durch die gesamte Stadt gelaufen, auf der Suche nach dem richtigen Ort, der gerade Tickets verkauft.
In Bukarest angekommen haben wir unsere Reiserucksäcke eingeschlossen und sind durch Bukarest gestiefelt. Leider war es an diesem Tag echt nebelig und man hat kaum was gesehen. Aber ich denke, dass Bukarest trotzem eine schöne Stadt ist. Wir haben auch Bekanntschaft mit der rumänischen Freundlichkeit gemacht. Als wir am Präsidentenpalast waren und reingehen wollten ging das leider nicht. Also sind wir da so ein bisschen rumgelaufen, bis uns ein Sicherheitsbeamter ansprach und nett fragte: "How do you do?" Unsere ebenfalls nette Antwort war: "Oh, fine, thanks and you?" Das fand der liebe Herr aber weniger nett, denn er wollte eigentlich fragen, was wir denn hier machen. Denn diesen Teil des Palastes durfte man sich nicht ansehen. Also haben wir uns tausend Mal entschuldigt und sind dann schleunigst verschwunden. Aber komisch war die ganze Situation trotzdem.
So sind wir also durch Bukarest getingelt. War superschön. Am Abend sind wir dann wieder in den Zug gestiegen und nach Timisoara gefahren. Das war wieder eine Nachfahrt und weder haben wir geschlafen, noch haben wir geduscht oder Zähne geputzt. War aber entspannter als die Hinfahrt, denn es war nicht ganz so voll im Zug. Dafür hatten wir eine Grossfamilie im Abteil sitzen, mit drei kleinen Kindern, die die ganze Nacht geschrien haben und ich sie fast zum Fenster rausgeschmissen hätte.
Am nächsten Morgen waren wir also in Timisoara. Eine superschöne Kleinstadt mit viel Flair. Timisoara liegt schon wieder nahe der ungarischen Grenze, und ich dachte, ich könnte von dort direkt nach Pecs fahren, denn das liegt ungefähr drei Stunden entfernt. Nichts da. Ich musste über Budapest nach Hause fahren - was ein Umweg von fast einem Tag war, weil ich in Budapest über Nacht bei Freiwilligen schlafen musste (da gab es dann endlich auch eine Dusche!). Anfangs hiess es, dass wir im alten Jahr gar nicht mehr nach Ungarn können, was mir echt ein bisschen Angst gemacht hat. Aber glücklicherweise haben wir einen netten Mann getroffen, der perfekt Englisch sprach und uns geholfen hat. Wir waren ja sehr vorsichtig, denn wir dachten, dass es da einen Haken geben muss, wenn uns jemand so doll hilft. Aber wir haben uns getäuscht. Er war glücklich, uns geholfen zu haben, und hat uns im Zug noch gewunken.
Das war also mein kleiner Trip nach Rumänien. Ich hatte echt eine tolle Zeit mit Veronika, aber ich war auch froh, wieder zu Hause zu sein. Silvester habe ich dann mit Freunden auf dem Szecseny ter hier in Pecs verbracht. Dort sind wir allerdings erst zu Mitternacht hingegangen. Vorher haben wir bei einer Studentin feucht-fröhlich gefeiert. Viel geknallt wurde hier in Ungarn übrigens auch nicht. Jeder kauft sich stattdessen eine Tröte und Punkt 24.00 Uhr fangen alle an zu tröten. Ich finde, das ist echt eine Alternative zum Knallen.
So sind wir also in das neue Jahr gekommen. Viel vorgenommen habe ich mir nicht, außer, dass ich Ungarisch lernen möchte. Wobei wir wieder beim alten Thema wären. Ich finde auch, dass ich jetzt genug geschrieben habe. Ich hoffe, dass ich mich bald wieder melden kann, und denke auch, dass es mir dann schon um einiges besser geht als jetzt.
Bis dann! Love Julia
P.S.:Eine Sache noch: Mittlerweile bin ich ja auch 20 geworden und habe mein Älterwerden auch entsprechend gefeiert. Nichts Besonderes, nur mit meinen Freunden, es hat wirklich Spass gemacht. Außerdem haben so viele Leute an mich gedacht und mich angerufen, das fand ich echt schön.
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