Wie im Irrenhaus
Christlicher Fundamentalismus trifft auf fernöstliche Ansichten. DiesseitsderStille hat es nicht leicht in seinem Projekt und vor allem mit seiner Kollegin.
Ich hatte ja bisher wenig Zweifel daran gehegt, in einer Art Kaschperletheater gelandet zu sein, doch die Entwicklung der letzen Tage ist echt pathologisch.
Nachdem meine Mitfreiwillige Natalia ihre psychische Labilität ja bereits vor zwei Wochen mit einem legendären Nervenzusammenbruch unter Beweis gestellt hatte, haben sich nun auch die Mitarbeiter von ihrer gestörten Seite gezeigt.
Alles begann damit, dass Natalia Yoga machen wollte; der Widerstand seitens unserer Organisation war enorm – was anfangs wie ein Scherz klang, sollte sich jedoch als bittrer Ernst herausstellen.
„Als christliche Organisation können wir derlei heidnische Aktivitäten nicht billigen“, so unser Mentor. Und er setzte noch einen drauf, als er erfuhr, dass Natalia in ihrer Freizeit Rockmusik hört, indem er vollkommen konsterniert bemerkte, dass „sich ihre Seele in akuter Gefahr befindet“. Zustimmung erhielt er von allen hörenden Mitarbeitern des Instituts, die sich vollkommen schockiert im Verdacht, Natalia könnte eine Ungläubige sein, bestätigten.
Soviel dazu.
Natalia ist dann erstmal nach Hause abgehauen, ich war total happy, vor allem weil sie vor ihrer Rückreise in die Ukraine angekündigt hatte, nicht mehr wieder zu kommen.
Leider stand sie dann doch gestern früh wieder vor meiner Tür, und ihren Gestank hatte sie auch mitgebracht.
„Oh no“, dachte ich, machte aber gute Miene zum bösen Spiel.
Im Institut machten die meisten dann einen kleinen Bogen um sie. „Wer weiß, wer weiß, vielleicht steht sie mit dem Teufel im Bund“, phantasierte ich ganz im Sinne des Kollegiums.
Natalia, die anscheinend noch viel kaputter ist, als ich bisher geglaubt hatte, sollte jedenfalls mithilfe Gottes Kraft in den Schoß der Kirche und in die Gemeinschaft der Gläubigen zurückgeholt werden.
Besonders auffällig an ihr war, dass sie sich im Laufe ihres bisherigen Dienstes immer mehr zurück gezogen hatte. Sie hatte praktisch alle zwischenmenschlichen Kontakte, bis auf das „mir-auf-den-Wecker-gehen“ eingestellt, und legte auch im Institut eine sagenhafte Kontaktscheue an den Tag. Negativ aufgestoßen ist unter anderem, dass sie immer wenn wir Gebärdensprachkurs hatten, früher in die Unterkunft musste und auch sonst allen möglichen Veranstaltungen aus dem Weg ging. Glücklicherweise ist sie auch dem Chor ferngeblieben, ich glaube, sie hat sich dort wegen der anderen Menschen nicht wohl gefühlt. Menschen liegen ihr nicht so.
Aus grenzenloser, christlicher Herzensgüte bemühte sich dann eine Mitarbeiterin darum, eine Alternative zum Yoga zu finden. Mit anderen Worten: Natalia darf etwas in ihrer Freizeit machen, aber bitte nur etwas, mit dem die Organisation einverstanden ist.
Volleyball sollte es sein. Und deshalb mussten wir alle, also zwei Mitarbeiter, ich und meine „Freundin vom Planeten Sorg“ heute Abend in einen Volleyballverein gehen, nur weil Natalia irgendwann mal gesagt hatte, das könnte sie sich vorstellen.
„Na toll“, dachte ich „auch das noch“.
Das absurdeste daran war, dass die einzige Person, die sich dann im Angesicht des Volleyballnetzes nicht aufs Spielfeld traute, Natalia war.
Sie verbrachte den restlichen Abend dann damit am Rand zu sitzen und schlechte Stimmung auszustrahlen, während alle anderen, eigentlich nur ihr zuliebe, von den gekonnten Bällen der gegnerischen Mannschaft runtergeputzt wurden. Die blauen Flecken auf meinem Körper zeugen davon.
Überhaupt muss ich feststellen, dass sich mein ganzer Alltag mehr und mehr um Natalia dreht, oder besser gesagt, dass Natalia meinen Alltag um sich dreht.
Bereits früh am Morgen hämmert sie gegen meine Tür, ganz gleich ob ich noch schlafe oder unter der Dusche stehe. Mittlerweile ignoriere ich sie, meistens will sie eh nur irgendwas „borgen“ was ich dann sonst wo wieder finde….
Ich muss mich dann immer beeilen, das Haus schon vor ihr zu verlassen, damit ich wenigstens auf dem Weg ins Institut meine Ruhe habe, aber meistens lauert sie mir auf. Dann kommen wir immer zu spät, weil „Eile“ schlecht für ihr Charma ist. Außerdem muss ich mir ständig ihr spirituelles Gequatsche anhören, in dem es meistens darum geht, dass ich nicht bewusst genug lebe und sich mein inneres „Chi“ im Ungleichgewicht befindet.
Gipfel ihrer Esoterik ist, dass sie meint, alle Menschen sind Spinner, weil sie durch ihr Leben hetzen und körperlichen Genüssen erliegen anstatt ihre Erleuchtung in der Meditation zu finden.
Zugegeben, an dieser Stelle denke ich manchmal doch, dass Yoga ein bisschen schädlich ist, muss aber nicht am Yoga liegen, ist glaube ich eher ihrer Gestörtheit geschuldet.
Wenn sie dann fertig gequatscht hat, sind wir meistens schon zu spät, aber Hauptsache sie hat ihr Seelenfengshui austariert und mich mal wieder für meinen konventionellen Mainstream-Lebensstil kritisiert. „An sich sind alle Menschen so medienmanipuliert und materialistisch eingestellt“, außer natürlich sie, die ja alles durchschaut hat blabla „man müsste alternativer leben“ blabla…
In dem Style geht’s dann den restlichen Arbeitstag weiter, wobei ich bemerken muss, dass dieser Arbeitstag von unserem Mentor auf drei Stunden reduziert wurde, von denen wir immer eine halbe Stunde zu spät sind und eine Stunde Pause machen, und eine halbe Stunde früher gehen dürfen. Mathematisch irrsinnig wird diese Rechnung am Freitag, wo wir nur zwei Stunden da sein müssen… Meistens suche ich mir zum Feierabend einen Vorwand, dass ich noch irgendwas kaufen muss, damit Natalia mich nicht wieder auf dem Weg zur Unterkunft zutextet, überhaupt bin ich nur noch auf der Flucht vor ihr.
Die Arbeitszeiten sind so lächerlich, die Arbeit ist keine Arbeit und Natalia ist ein Fluch.
Soviel zum Stand der Dinge.
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