Wie die Iren mit dem Sturm umgehen
Seit Anfang des Jahres suchen immer wieder Schlagzeilen über Sturmfluten an der Westküste Irlands die Medien heim. Die Iren haben ihre eigene Methode gefunden, mit den Schäden und Reparaturkosten umzugehen.
Seit Anfang des Jahres wird die Westküste Irlands immer mal wieder von Sturmfluten heimgesucht. Die Schäden sind für die Iren verheerend. Ein Beispiel dafür gibt eine Mauer in dem Ort Lahinch:
Die Mauer an der Promenade, die mit ihrer durchgehenden, hüfthohen Steinbegrenzung als Bollwerk vor dem Meer friedlich vor sich hingedöst und unzählige, in der Sonne aalende und das Meer betrachtende Touristen auf ihren Rücken getragen hatte, ja diese Mauer hatte bruchstückhaft die Flucht vor den wuchtigen wütenden Meeresmassen ergriffen und ist zitternd und teilweise völlig am Boden zerstört zurückgeblieben. Und als ob das noch nicht genug wäre, musste sie sich von den nervtötenden menschlichen Wesen der Gattung Besserwisser, die auf dem selben Planeten wie sie ihre Heimat gefunden haben und immer und überall ungefragt ihre hoch geschätzte Meinung lauthals hinausposaunen müssen, von diesen Menschen also, ihre angeblichen Konstruktionsmängel anhören:
„Ja, selbstverständlich musste die Brüstung der Mauer weggespült werden. Sehen Sie sich das doch einmal an! Die Steine stehen hervor und können so natürlich einfach vom Wasser weggetragen werden …..“ Natürlich! Wenn das so offensichtlich ist, warum hat diese Person das denn dann nicht schon eher angemerkt und die arme Mauer vor ihrer gischtgebadeten Angstattacke und der Schwindsucht befreit?
Aber bisher rede ich immer nur von der Mauer und deren Trauma. Das ist zwar tragisch für sie, aber wäre ja noch irgendwie zu verkraften. Die eigentliche Hauptkatastrophe war jedoch der Spielplatz. Normalerweise an das Jauchzen und Weinen von Kindern gewöhnt, ist er stiller Zuhörer des regen Kommunikationsverkehr zwischen den Eltern, die noch vollkommen übernächtigt vom letzten Pub-Abend ihren Pappbecher Kaffee in der Hand haltend herumstehen. Dem Spielplatz hat die Sturmflut glatt den Sandboden unter den Spielgeräten weggezogen. Das ist schlimm, da er doch der einzige Neuigkeitenumschlagsplatz mit gratis Kinderbeschäftigung im Umkreis von mehreren Kilometern ist. Darum wird er also dringendst benötigt, um Informationsdefizite und die fiese Krankheit der Klatschunterernährung zu verhindern. Um die nahende Katastrophe zu verhindern, wurde nun also Geld für den armen Spielplatz gesammelt, damit dieser bald wieder einsatzfähig und vom Dauerregen blankgeputzt im neuen alten Glanz erstrahlen kann.
Und so haben die Iren das gemacht, was sie am besten können: Musizieren, Tanzen und Unterhalten. Eigentlich hätte dieser feucht fröhliche Programmabend schon Anfang Januar stattfinden sollen, aber da das Meerwasser zu diesem Zeitpunkt noch mit der Inspektion des vorgesehenen Konzertsaales beschäftigt gewesen war, hat man das Konzert eben kurzerhand verschoben.
Das Programm war bunt gewürfelt und die Iren haben kurzzeitig das heimische Pantoffelkino gegen einen Veranstaltungssaal eingetauscht, ohne sich jedoch von ihrer geliebten Jogginghose und ihrem Grundnahrungsmittel, Chips, wahlweise mit Käse-Zwiebel oder Salz- und Essiggeschmack, trennen zu können. Entweder waren die Chips nötig, um den während des Sitzens und Zusehens zu erwartenden enormen Kalorienverbrauch und der daraus resultierenden Unterernährung vorzubeugen – oder sie haben ganz einfach typisch irisch gespürt, dass das Programm statt der geplanten zwei, eben vier Stunden geht.
Dennoch, die Veranstaltung war hervorragend. Alles begann mit athletischen jungen Mädchen, die, soweit ich das mit meinen laienhaften Augen beurteilen kann, ihre überschüssige jugendliche Energie auf hervorragende Weise in irischen Stepptanz umgesetzt haben. Wie kann man so atemberaubend schnell die Füße bewegen, dass unser armes Gehirn gar nicht mit der Verarbeitung der vom Sehnerv erhaltenen Informationen hinterher kommt und verzweifelt versucht, den Überblick zu behalten? Und wie kann der Tanz bei dieser Geschwindigkeit auch noch so leicht wie eine Feder aussehen und mit einem ununterbrochen, unverkrampften fröhlichen Gesichtsausdruck dargeboten werden? Ich hätte mir an der Stelle der Tänzer wahrscheinlich schon mehrfach die Gliedmaßen verknotet und mich schlussendlich bewegungsunfähig am Boden wiedergefunden. Beeindruckend also was die Mädchen auf der Bühne da leisten!
Nachdem also schon mein Gehirn bei dem Versuch kapituliert hatte, jedem einzelnen Tanzschritt mit den Augen zu verfolgen, hinkten schließlich auch meine Ohren etwas der Schallgeschwindigkeit hinterher. Wie die Tänzer mit ihren Irish Step Shoes, auch Heavy Shoes genannt, ihre Bewegungen und die Musik unterstützen – das muss man einfach einmal live erlebt haben. Ursache dafür sind die speziellen Kunststoffe, die am Absatz und den Spitzen der Schuhe verarbeitet sind und eben jenes charakteristische Klacken bei jedem Schritt verursachen. Früher verwendete man dafür gehärtetes Leder, hartes Holz oder Holz mit – Achtung – Nägeln. Na hoffentlich war die Sohle dick genug ….
An dieser Stelle muss ich einmal einschieben, dass der Tanz in Irland eine lange Tradition hat. Selbst die Engländer hatten ihn nicht ausrotten können, auch wenn sie alles versucht haben, denn ganz Irland war einmal unter englischer Herrschaft. Ganz Irland? Nein, ein paar Menschen haben immer erfolgreich Widerstand geleistet und so die Traditionen ihres Volkes gerettet. 1893 gründeten sie die „Gealic League“, deren Bestrebungen es war, das irische Kulturgut wieder zum Leben zu erwecken und dazu zählte eben auch das Tanzen. 1902 wurde sogar ein Buch herausgegeben mit dem Titel: „Handbook of Irish Dances“. Man kann diesen mutigen Menschen gar nicht genug danken, denn ansonsten wäre Irland einfach nicht dieses herzliche, lebenslustige, aufgeschlossene, musikalische, tanzende Land, das wir heute noch kennen lernen dürfen und welches mir seinen ganzen aufrichtigem Charme an jenem Abend wieder einmal offenbarte.
Der nächste Beitrag stammte von einem Geschichtenerzähler mit grauem Rauschbart, der sein Handwerk meisterlich beherrschte und eine niedliche Anekdote von einem Wiesel erzählte mit der Moral: „Stehle niemals, wirklich niemals etwas, was einem Wiesel gehört, ansonsten wirst du deines Lebens nicht mehr froh“, denn die Geschichte ging so: Es war einmal ein Mann, der diesem bewussten niedlichen Tierchen dessen Beute, einen Hasen, frech entwendete, um das Fleisch des Langohren genüsslich selbst zum Abendbrot zu verzehren. Doch gegen diese Idee hatte das Wiesel anscheinend etwas. Darum folgte das gewitzte Tierchen dem zunehmend verängstigten Dieb kilometerweit bis ins Nachbardorf nach, immer in Sichtweite und die vorwurfsvoll leuchtenden Augen auf den Räuber geheftet. Erst als der Mann die Beute seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgab, verschwand das Wiesel und der reuige Sünder konnte ohne unliebsame Begleitung nach Hause gehen – ohne Hasen zwar, aber beruhigt, dass das Wiesel nicht des Nachts in sein Haus kommen würde. Denn ganz egal wie fest er sämtliche Fenster und Türen verschließen würde, das Wiesel würde immer einen Weg hinein ins Heim finden und sich das holen, was ihm genommen wurde – und sei es nur ein Hase!
Um keinen Hasen, aber dafür den Einfallsreichtum der Iren ging es im nächsten Beitrag, DEM Höhepunkt des Abends, der sich darum doch etwas kaugummiartig in die Länge zog: Eine Live- Internetverbindung ans andere Ende der Welt nach Australien, wo gerade ein natürlich allseits bekannter Einwohner des Örtchens Lahinchs (hier kennt ja jeder jeden) einen längeren Auslandsaufenthalt verbringt. Vermutlich wollte der Mann mal ein etwas trockeneres und wärmeres Land kennen lernen und herausfinden, wie die Sonne denn eigentlich aussieht. In Irland geniert sie sich ja immer so schrecklich und geht nur mit ihrer Wolkendecke aus dem Haus. Sie ist ja so unglaublich sensibel und schnell zu Tränen gerührt … Doch das nur nebenbei. Jedenfalls gab es da eine Liveübertragung eines auf einer Gitarre begleiteten Liedes und parallel dazu wurde auf der Bühne die passende Bassbegleitung gespielt. Verrückt. Die Idee an sich ist ja ganz reizend, allerdings sind die Internetverbindungen in Irland bekanntlich nicht die besten …. Das hat dem Programmpunkt leider etwas Abbruch getan. Dennoch, es hatte was. Und nach dem rockigem Lied wurde natürlich Mama gegrüßt, was extra Applaus gab.
Doch der seehhhrrrr lange Abend hatte ja noch so viel mehr zu bieten: Traditionelle rhythmische Musik von Groß und Klein und, das fehlte schließlich noch, eine Tombola, hier „Raffle“ genannt. Ich habe noch nie so ein Tombola begeistertes Land kennen gelernt. Ohne Raffle geht in Irland nichts, aber wirklich gar nichts. Besuchst du ein Musical, fein. Aber vergiss bitte nicht Geld für die Lose mitzunehmen und ich glaube hinterher lautet die Frage auch nicht: „Und, wie war die Musik?“, sondern: „Und, hast du was gewonnen?“ Es ist unglaublich wie man nur so raffleverrückt sein kann! Ok, es war diesmal für einen guten Zweck, denn das gesamte Geld des Abends kam dem Spielplatz zugute, aber warum muss denn jede Oma ihrem Enkel geschätzte drei Lose kaufen? Ich glaube, Raffle ist hier so etwas wie ein Volksport und ich sollte es wahrscheinlich einfach als gegeben hinnehmen. Aber als auf schulischem Niveau ausgebildeter Mathematiker frage ich mich dann doch, was der Sinn dabei ist, sich solche Gewinnlose zu kaufen, wenn bei diesem hohen Loskonsum die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen doch bedeutend geringer ist, als barfuß eine im Teppich versteckte Nadel zu finden. Irland ist also immer wieder für eine Überraschung gut und so ging ein ereignisreicher Abend zu Ende.